Wahrscheinlich muss man sich Marc Michaelis und Tobias Fohrler trotzdem als glückliche Menschen vorstellen. Glücklich nicht im Sinn von: hurra, sechs Richtige! Eher so: Schwein gehabt, noch mal glimpflich davongekommen.
Michaelis und Fohrler haben die vergangenen Jahre ihres Berufslebens als Eishockeyspieler in der Schweiz zugebracht. Michaelis in Langnau und Zug, Fohrler beim HC Ambrì-Piotta. Ebenso wie ihr Nationalmannschaftskollege Dominik Kahun, der für den SC Bern spielt. Anders als Michaelis und Fohrler, die nach Mannheim wechseln, muss Kahun aber nach der Sommerpause wieder in der Schweiz zum Dienst antreten. Während es in der jüngeren Vergangenheit Sitte war, dass die deutschen Legionäre ihre Schweizer Kollegen milde verspotteten, weil das DEB-Team die Schweizer "Nati" verlässlich aus einem großen Turnier geworfen hatte, wird nun Kahun allein die ganzen Retourkutschen aushalten müssen. Dabei war er am Donnerstag beim 1:3 im WM-Viertelfinale der beste Deutsche mit einem Tor und einem Pfostenschuss.
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Nach Kahuns Überzahltreffer zum 1:2 (32. Minute), "da hat man gemerkt, jetzt geht da drüben das Gedankenkarussell an", sagte Nico Sturm. Auch 2021 hatten die Schweizer im Viertelfinale 2:0 geführt, am Ende aber im Penaltyschießen verloren; vergangenes Jahr, Viertelfinale, siegten die Deutschen 3:1. Der Schweizer Kapitän Roman Josi sagte: "Die Deutschen haben ein super Team. Sie haben in der Vorrunde gezeigt, wie gut sie spielen können." Warum aber dieses Team, das in der Vorrunde 34 Treffer, so viele wie noch nie, erzielt hatte, so lange brauchte, bis es überhaupt gefährlich wurde? "Ich weiß es auch nicht", sagte Kahun.
"Wir haben es im ersten Drittel verspielt", sagt Stürmer Peterka
Josi hatte eine relativ simple Erklärung: "Wir haben sehr gut defensiv gespielt." Lediglich 16 deutsche Torschüsse ließen die Schweizer zu, die nun seit unglaublichen sechs Partien kein Gegentor mehr bekommen haben, wenn mit fünf gegen fünf gespielt wird. Die deutschen Nationalspieler dagegen beklagten im Chor eigene Unzulänglichkeiten.
Wojciech Stachowiak: "Das erste Drittel hat uns das Spiel gekostet. Da haben wir uns, Entschuldigung, ein bisschen eingeschissen." Nico Sturm: "Es hat gedauert, bis wir gemerkt haben, dass wir hier voll mitspielen können." Jonas Müller: "Nach dem 1:2 haben wir gut Gas gegeben, aber insgesamt haben wir zu wenig zum Tor gebracht." Kapitän Moritz Müller: "Am Anfang hatten wir zu viel Respekt." John-Jason Peterka: "Wir haben es im ersten Drittel verspielt. Zum Ende ist uns die Zeit ausgegangen." 57 Sekunden vor dem Ende setzte Christoph Bertschy mit seinem zweiten Treffer den Schlusspunkt hinter den Schweizer Sieg und das WM-Aus der Deutschen.
Woher dieser übergroße Respekt kam nach zuletzt vier erfolgreichen K.-o.-Duellen gegen die Schweiz? Sie wussten es auch nicht. Vielleicht waren die Schweizer einfach mal dran? Roman Josi jedenfalls war mit dem Schicksal versöhnt: "Diese Hürde zu nehmen, war für uns sehr wichtig." Das Halbfinale gegen Kanada wirkt dagegen fast wie ein Klacks.
Bundestrainer Harold Kreis verbarg seine Enttäuschung nicht. Nach der Silbermedaille zu seinem Debüt im vergangenen Jahr hatte der 65-Jährige die Erwartungen gedämpft, insgeheim aber auf einen neuen Coup gehofft: "Wir haben das Minimalziel Viertelfinale erreicht. Aber wir wollten mehr." Auch Kreis lobte die Schweizer, denen man es im ersten Drittel freilich zu leicht gemacht habe: "Wir sind uns selbst im Weg gestanden, haben zu viel rechts-links gespielt statt nach Norden. Wir haben unser Spiel verlangsamt und deren Spiel beschleunigt." So sei nun mal der Sport: "Es gibt nur einen Sieger, und der waren wir heute nicht." Das könnte sich in Zukunft wieder ändern, glaubt Kreis: "Wir haben in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht, von der Mentalität und Spielweise her. Diese Entwicklung haben wir hier bestätigt." Und das ohne die NHL-Topspieler Moritz Seider, Leon Draisaitl und Tim Stützle.
"Nächstes Jahr greifen wir wieder an", sagt Jonas Müller
Der Team-Chor sieht es genauso: "Wir sind eine Mannschaft geworden, der man gerne zuschaut" (Peterka). "Wir haben uns hier sehr, sehr gut verkauft und müssen uns vor niemandem verstecken" (Sturm). "Nächstes Jahr greifen wir wieder an" (Jonas Müller).
Die Zuversicht von NHL-Profi Sturm, der in Ostrava, wie er sagte, öfter das Gewinnerlied hören durfte als in der gesamten Saison mit den San Jose Sharks, speist sich nicht zuletzt aus dem Teamgeist in der deutschen Kabine: "Wir sind eine super Gemeinschaft, das habe ich die letzten paar Monate sehr vermisst." Dominik Kahun sprach vor der WM gar von "einer Art Sucht". Im Klub verrichte man seine alltägliche Arbeit. Die Zeit mit der Nationalmannschaft vergehe so schnell, "dass man sie genießt, und in Erinnerung bleibt, dass es so viel Spaß macht. Die ersten Tage fühlt es sich richtig komisch an, wenn es vorbei ist. Und dann schreibt man sich das ganze Jahr, wie sehr man sich darauf freut, bis es wieder so weit ist".
Ein paar Tage wird es sich noch komisch anfühlen. Dann wird er zu seinem Klub zurückkehren und sich ein paar Sprüche anhören müssen. Und dann darf er sich freuen: Im Mai 2025 ist wieder WM.