Süddeutsche Zeitung

Deutschlands 2:1:"Joa. Geht so"

Der DFB-Elf gelingt beim 2:1 in der Ukraine der erste Sieg des Jahres. Doch souverän spielt das Team von Joachim Löw auch diesmal nur bedingt.

Von Sebastian Fischer

Von einem zuletzt ziemlich hartnäckigen Gegenspieler, da war sich der Bundestrainer offenbar sicher, würde er diesmal nichts zu befürchten haben. Der Lothar sei ja "mit den Weltmeistern in der Toskana", sagte Joachim Löw vor dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft am Samstagabend in Kiew im ARD-Interview, er lächelte. Doch ob Lothar Matthäus, sollte er im Italien-Urlaub mit seinen Mitspielern von 1990 ferngesehen haben, dieses Spiel wirklich gefallen hat?

Deutschland, so viel stand rund zwei Stunden später fest, hat in der Ukraine zum ersten Mal seit dem 19. November 2019 wieder ein Fußballspiel gewonnen. Die Nationalelf hat außerdem drei Punkte in der Nations League gesammelt, was sich wiederum auf die Weltrangliste und damit die Qualifikation für die WM 2022 in Katar auswirkt; wie genau, würde den Rahmen sprengen und wird auch Lothar Matthäus nicht besonders interessieren. Doch man muss nicht mal inoffizieller Chefkritiker sein, um auch beim 2:1 (1:0) gegen die Ukraine wieder etwas erkannt zu haben, was man am deutschen Fußball der Gegenwart kritisieren könnte.

"Joa. Geht so", antwortete zum Beispiel Matthias Ginter im ARD-Interview auf die Frage, welches Zeugnis er der Mannschaft ausstellen würde. "Es helfen nur Siege, das haben wir heute geschafft", sagte er. "Aber wir wissen auch, dass wir nicht die Sterne vom Himmel gespielt haben." Und Serge Gnabry sagte: "Wir haben es heute mal geschafft, ein Spiel über die Runden zu bringen." Und vielleicht musste man damit gerade erst mal zufrieden sein.

Es war in vielerlei Hinsicht keine ganz einfache Reise der DFB-Elf, zunächst mal weil es eine Reise ins Corona-Risikogebiet war. Auch am Fernseher waren zwar die 17 573 Zuschauer im Olimpijskyi-Stadion in Kiew ziemlich deutlich zu hören, es klang ein wenig nach einem gewöhnlichen Fußballspiel, es wurde getrötet und gerufen und gebuht, doch dass es kein gewöhnliches Fußballspiel war, zeigte von vielen kuriosen Umständen wohl die Aufstellung des Gegners am besten: Ukraines Trainer Andriy Shevchenko fehlten 14 Spieler, sechs wegen positiver Corona-Tests. Im Tor stand Heorhiy Bushchan, in seinem zweiten Länderspiel. Drei Torhüter waren positiv auf das Virus getestet worden.

Es sind außerdem nicht die besten Erinnerungen, die den deutschen Fußball mit Kiew verbinden. Im bis Samstag letzten Pflichtspiel dort ging es im November 2001 darum, in zwei K.o.-Spielen irgendwie noch die Qualifikation für die WM 2002 zu erreichen. Grob zusammengefasst gelang das damals nur, weil Michael Ballack mit der Kraft seines ganzen Willens Kopfballtore erzielte.

Nun ist es rund zwanzig Jahre später um den deutschen Fußball natürlich nicht so schlimm bestellt wie damals in der berühmten Rumpelfußball-Ära. Doch es hatte sich nach dem 3:3 gegen die Türkei unter der Woche nicht nur Matthäus mit Kritik gemeldet, auch ein anderer Weltmeister von 1990, Jürgen Kohler, hatte etwas zu bemängeln. Und Berti Vogts, der Vor-Rumpelfußball-Ära-Bundestrainer, schrieb in einer T-Online-Kolumne, er würde er sich als Fan "verschaukelt" vorkommen, wenn er Spiele wie das gegen die Türkei sehe, als Löw seine Stammspieler schonte.

Das DFB-Team spielt einladende Fehlpässe

Am Samstag wurde niemand geschont, von den Stammspielern saß zunächst nur Timo Werner auf der Bank, allerdings wegen einer Erkrankung unter der Woche. Es spielten wieder alle Münchner, es spielte auch Mittelfeldchef Toni Kroos. Es brauchte dann aber einen Moment, der vielleicht sogar Michael Ballack gefallen hat, um in Führung zu gehen: Nach zwanzig Minuten schirmte Verteidiger Antonio Rüdiger den Ball nach einer Ecke am gegnerischen Strafraum-Rand ab - und lief dann mit der Kraft seines ganzen Willens an allen Ukrainern vorbei, bevor er den Ball scharf vors Tor spielte und sein Innenverteidiger-Kollege Ginter zum 1:0 traf.

Rüdiger auf Ginter, das war eine durchaus passende Beschreibung des deutschen Spiels bis dahin, denn glanzvoll wirkte der Auftritt gegen eine ukrainische Ersatz-Elf nicht. Deutschland hatte zwar sehr oft den Ball, spielte aber auch recht oft einladende Fehlpässe. Nach zehn Minuten musste Torwart Manuel Neuer per Außenrist klären, ansonsten schlugen die Ukrainer die Einladungen allerdings meist aus. Und kurz nach der Halbzeit nahm Leon Goretzka eine Einladung an: Bushchan, dem ukrainischen Torwart, fiel der Ball nach einer harmlosen Flanke von Lukas Klostermann aus den Händen, der Münchner traf per Kopf.

Danach wurde es tatsächlich ein Spiel, in dem sich die DFB-Elf ein bisschen einspielen konnte im noch immer etwas ungewohnt wirkenden System mit Dreierkette in der Abwehr. Toni Kroos spielte zwar seine Pässe eher mit einer Lässigkeit, als halte er das Einspielen tendenziell für überbewertet. Doch zum Beispiel sah man den Werner-Ersatz Julian Draxler mal wieder zum Tor dribbeln, wie mancher es dem Flügel-Angreifer, 27, der bei Paris Saint-Germain längst nur noch Ersatzspieler ist, vielleicht gar nicht mehr zugetraut hatte.

Als man schließlich denken konnte, das Spiel würde nun auf einen souveränen Sieg der deutschen Mannschaft hinauslaufen, foulte Niklas Süle rund eine Viertelstunde vor Schluss Roman Yaremchuk im Strafraum, wie es 2001 vielleicht auch Jens Nowotny oder Carsten Ramelow hätten tun können und 1990 womöglich Jürgen Kohler. Nach dem Anschlusstreffer per Elfmeter von Ruslan Malinovskyi geschah zwar nicht mehr viel. Doch bis Deutschland wieder ganz souverän spielt, könnte es vielleicht noch etwas dauern.

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