DFB-Junioren:Wer spielen will, geht nach Holland

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Nicolas Kühn im Trikot der deutschen U20 - im Verein spielt er für Ajax Jong, die zweite Mannschaft von Hollands Großklub. (Foto: Getty Images for DFB)
  • Acht Spielern im erweiterten Kader der deutschen U20 und U21 verdienen ihr Geld in der niederländischen Eredivise.
  • U21-Bundestrainer Stefan Kuntz kritisierte schon vor dem Spiel gegen Belgien, dass seine Auswahlspieler in der Bundesliga zu wenig Einsatzzeit bekämen.
  • Meikel Schönweitz, Junioren-Cheftrainer beim DFB, sieht Gründe für die Entwicklung.

Von Sebastian Fischer, München

Wenn die Scouts des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die talentiertesten jungen Fußballprofis des Landes beobachten wollen, dann fahren sie neuerdings oft in die Niederlande. Nach Groningen im Norden zum Beispiel, nach Almelo und Emmen, nach Rotterdam im Westen, nach Amsterdam natürlich, sowie nach Venlo und Kerkrade im Süden. Dass in all diesen Städten Junioren-Nationalspieler unter Vertrag stehen, ist für die Angestellten des Verbands allerdings nicht nur eine Gelegenheit, das Nachbarland zu bereisen. Es ist auch die Bestätigung dafür, dass im deutschen Nachwuchsfußball gerade etwas nicht so läuft, wie sie es sich beim DFB wünschen würden.

Die U21, die wichtigste Nachwuchs-Auswahl des Landes, hat am vergangenen Sonntag ihr Länderspieljahr mit einem 2:3 gegen Belgien in der EM-Qualifikation beschlossen, in Freiburg pfiffen sogar ein paar Fans. Aber immerhin hat Ragnar Ache, 21, in seinem ersten Länderspiel ein Tor erzielt. Meikel Schönweitz, Junioren-Cheftrainer beim DFB, sagt: "Den hatten wir vorher noch gar nicht auf dem Schirm." Bis er als Stürmer von Sparta Rotterdam mit fünf Toren auffiel. Er ist nun einer von derzeit acht Spielern im erweiterten Kader der U20 und der U21, die in der niederländischen Eredivise ihr Geld verdienen.

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Schönweitz, so etwas wie der Sportdirektor für die DFB-Junioren, hat schon während der erfolgreichen U21-EM im Sommer in Italien gemahnt, dass nach dem Turnier etwas weniger glamouröse Zeiten anbrechen könnten, weil die nachfolgenden Jahrgänge in Europa nicht zu den stärksten zählen. Die Niederlage gegen eine Spitzenmannschaft wie Belgien, die erste in der EM-Qualifikation nach souveränen Siegen gegen Wales und Bosnien-Herzegowina, sah er als Beleg dafür, dass "eine kleine Durststrecke abzusehen" sei. Dass so viele Spieler in den Niederlanden spielen, dazu noch zwei in Österreich, sieht er als Indiz für ein Problem.

U21-Bundestrainer Stefan Kuntz kritisierte schon vor dem Spiel gegen Belgien, dass seine Auswahlspieler in der Bundesliga zu wenig Einsatzzeit bekämen. "In dieser Generation ist es extrem, dass die Jungs wenig Spielpraxis haben", sagt Schönweitz. Wenn er U21-Nationalspieler aufzählt, die in der ersten oder zweiten Bundesliga etabliert sind, nennt er spontan den derzeit verletzten Arne Maier von Hertha BSC und Adrian Fein vom Hamburger SV. Von Beginn an liefen in der Bundesliga zuletzt nur Ridle Baku von Mainz 05 und Luca Kilian vom SC Paderborn auf.

Schönweitz nennt drei Aspekte, wenn er die Situation zu begründen versucht. Erstens sei der Druck auf die Vereine in Deutschland hoch und die Bereitschaft der Klubs gering, junge Spieler einzusetzen, Erfahrung sammeln und Fehler machen zulassen. "Da würden wir uns eine höhere Bereitschaft wünschen", sagt er. Zweitens "ist die Geduld der jungen Spieler nicht mehr so ausgeprägt, wie das mal war. Man erwartet heute, dass es sehr schnell geht, man lässt schnell den Kopf hängen." Drittens: "Wir müssen in der gesamten Ausbildung dafür sorgen, dass die Qualität der Spieler so gut ist, dass es für den Verein keinen Zweifel daran gibt, sie einzusetzen."

Ragnar Ache, Stürmer von Sparta Rotterdam, würde gerne in die Bundesliga wechseln

Anders als Ache, der als Zehnjähriger mit seiner Mutter und seiner Schwester aus Neu-Isenburg bei Frankfurt nach Rotterdam zog, spielten die meisten deutschen Fußballer in den Niederlanden in der Jugend für deutsche Klubs: U21-Nationalspieler Orestis Kiomourtzoglou wechselte von der SpVgg Unterhaching zu Heracles Almelo, U20-Nationalspieler Nicolas Kühn, Gewinner der goldenen Fritz-Walter-Medaille für den besten U19-Fußballer, ging von RB Leipzig zu Ajax Amsterdam. Anders als Kühn, der sich seinen Verein aussuchen konnte, verließen die meisten Fußballer Deutschland in der Hoffnung auf mehr Einsatzmöglichkeiten.

"Es ist zu vergleichen mit einem Schritt in die zweite oder dritte Liga bei uns", sagt Schönweitz. Nur dass sich eben nach seinem Geschmack deutsche Klubs etwas zu wenig für einheimische Talente interessieren. So mancher wechsle ins Ausland, weil auch die Vereine auf einem internationalen Transfermarkt um Talente werben. "Wenn man sich die A-Jugend-Bundesliga anschaut - die ist eine Europaliga geworden", sagt Schönweitz. "Es gibt internationale Transfers aus Frankreich, Spanien, England, Skandinavien bis hin zu den USA. Die Vereine holen sehr viele Ausländer sehr früh nach Deutschland."

Nun ist es natürlich Ansichtssache, was man "sehr viel" nennt. Es gibt aber Beispiele, wie den US-Amerikaner Giovanni Reyna in Dortmund oder den Norweger Noah Jean Holm in Leipzig. Selbst der MSV Duisburg hat in Courtney Watson einen Zugang vom FC Watford im A-Junioren-Kader. Er habe natürlich auch Verständnis für die Klubs, die darin nun mal ein Geschäftsmodell sähen, sagt Schönweitz. "Aber ob internationale Spieler immer besser sind?" Sie seien vielleicht hungriger auf Erfolg als junge deutsche Fußballer, räumt er ein.

Ragnar Ache, der Stürmer aus Rotterdam, würde übrigens gerne zurück, am liebsten in seine Geburtsstadt Frankfurt, wie er t-online.de sagte: Über einen Anruf von Eintracht-Manager Fredi Bobic würde er sich freuen.

© SZ vom 19.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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