WM-Aus der Nationalmannschaft:Behäbig ins Desaster

DFB-Nationalspieler nach dem WM-Aus gegen Südkorea

Enttäuschung in allen Gesichtern: Deutschlands Spieler nach dem WM-Aus.

(Foto: Getty Images)
  • Das deutsche Nationalteam erlebt beim 0:2 gegen Südkorea das Aus bei der WM 2018.
  • Dabei wirkt die Mannschaft zu keinem Zeitpunkt so, als könne sie genügend Wucht entwickeln.
  • Es bleibt eine große Enttäuschung - denn ein Vorrundenaus gab es noch nie für den DFB.

Von Benedikt Warmbrunn, Kasan

Und dann rannte Son Heung-min alleine auf das Tor zu, vor ihm nur noch der Ball. Manuel Neuer war ja weit aus seinem Tor rausgelaufen, der Kapitän wollte noch dieses Turnier retten, fast bis zum gegnerischen Strafraum war er gerannt. Beinahe hätte er auch den Ball erobert, in einem Zweikampf gegen Ju Se-jong. Neuer verlor den Zweikampf, Ju schlug einen weiten Ball nach vorne. Son sprintete dem Ball entgegen. Die Deutschen schauten hinterher.

Sollte so die WM 2018 der deutschen Nationalmannschaft enden? 0:1 lag Deutschland zurück in dieser sechsten Minute der Nachspielzeit. Sie brauchten zwei Tore, um das frühe Aus zu vermeiden. Sollte Son treffen, wären es drei. Son rannte, der Ball wurde langsamer. Son erreichte den Ball. Er schoss ihn lässig ins leere Tor.

Sons Treffer war das Ende der Träume der Deutschen von der Titelverteidigung, es war der Abschied vom Turnier. Am Mittwochabend um 18.58 Uhr Ortszeit endete die WM für die deutsche Nationalmannschaft, mit einem 0:2 (0:0) gegen Südkorea. Schweden gewann zeitgleich 3:0 gegen Mexiko, sie sind als Gruppenerster weiter, die Mexikaner als Zweiter. Son schoss Südkorea noch auf den dritten Platz. Das Turnier endet für Deutschland auf dem letzten Gruppenplatz.

Das Spiel war nach Sons Tor nicht vorbei, das Turnier für die Germanen schon. Zwei Minuten lang lief die Partie noch, quälend lange zwei Minuten. Joshua Kimmich wischte sich mit der Hand durchs Gesicht, in den Schweiß mischten sich erste Tränen. In der neunten Minute der Nachspielzeit flog ein Kopfball von Mats Hummels aufs Tornetz.

Dann kam der letzte Pfiff. Männer in grünen Trikots plumpsten auf den Rasen, sie wischten sich mit ihren Händen durchs Gesicht, in den Schweiß mischten sich noch mehr Tränen. Ein paar versteckten das Gesicht hinter ihren Händen. Dann verschwanden sie schnell vom Rasen von Kasan, der in der deutschen Fußballgeschichte immer verbunden werden wird mit dem Aus in der Vorrunde, dem ersten überhaupt bei einer WM.

"Spätestens bei der nächsten oder übernächsten Station wäre Halt gewesen für uns"

Es wird in den nächsten Tagen viel um die Aufarbeitung dieses Spiels gehen, aber eigentlich war das Spiel nicht viel anders als die Gruppenspiele zuvor oder als die Testpartien. Das 0:2 gegen Südkorea war eine pointierte Zusammenfassung der Deutschen bei diesem Turnier. Sie spielten behäbig, sie waren nicht überraschend, sie waren berechenbar. Sie hatten spielerisch zu wenig gezeigt, läuferisch, kämpferisch. "Ich denke, dass von uns allen die Bereitschaft und der Wille nicht groß genug waren, um zu zeigen, dass wir bei dieser Weltmeisterschaft was reißen wollen", sagte Torwart Neuer, "spätestens bei der nächsten oder übernächsten Station wäre Halt gewesen für uns." Mats Hummels sagte: "Das ist ein ganz bitterer Abend für uns. Ganz, ganz, ganz bitter."

Den Willen zur Veränderung hatte Joachim Löw zumindest mit seiner Aufstellung angedeutet. Der Bundestrainer hatte die Hälfte der Feldspieler ausgetauscht. Niklas Süle ersetzte Antonio Rüdiger, er bildete mit dem genesenen Hummels die Innenverteidigung. Von seinen engsten Vertrauten berief Löw Mesut Özil und Sami Khedira zurück in die Startelf - dafür setzte er Thomas Müller auf die Bank, zum ersten Mal bei einem WM-Spiel. Außerdem rotierte Löw Julian Draxler raus, Leon Goretzka kam zu seinem WM-Debüt.

Es dauerte 40 Sekunden, bis sich ein Muster aus den vergangenen Partien andeutete, ein Muster, das beispielhaft ist für dieses Scheitern in der Vorrunde. Khedira führte den Ball an der Mittellinie, er guckte, er sah niemanden, und auf einmal hatte er den Ball vertändelt. Khedira rettete die Situation durch ein Foulspiel. Doch es gab weiter diese Unsicherheiten im Spielaufbau - anders als gegen Mexiko und Schweden führte dies in der regulären Spielzeit allerdings nie zu einer gegnerischen Torchance. Auch, weil die Abfangmechanismen funktionierten, nach sieben Minute hatte Khedira bereits zwei Bälle erobert.

Wo bleiben Witz und Geschwindigkeit?

Das Spiel wirkte dennoch in der ersten Halbzeit so, als habe jemand den Lichtschalter weit herunter gedreht. Der Partie fehlte es an Tempo, an Dynamik, an den überraschenden Gedanken. Die Langsamkeit hatte es vor allem den Südkoreanern angetan, die den Deutschen bei jeder Gelegenheit ein paar Sekündchen wegnahmen, damit diese ja nicht in ihren Spielfluss finden. Sie warteten bei Standardsituationen, sie blieben auf dem Rasen liegen. Es war eine effektive Taktik.

Das deutsche Spiel sah dann so aus: Toni Kroos spielte seriöse, richtige Pässe. Özil spielte seriöse, richtige Pässe. Aber um die beiden herum passierte zu wenig, niemand schreckte die südkoreanische Abwehr mit Sprints auf, niemand riss eine Lücke, und so rannte auch niemand in eine Lücke hinein. Gelegentlich näherten sich die Deutschen dem Tor, ganz zaghaft. Den besten Angriff leitete Timo Werner ein, er klaute Jang Hyun-soo den Ball, spielte ihn zu Özil, der sah eine Lücke, Werner sah sie auch, er rannte in sie hinein. Sein Schuss wurde abgeblockt (39.).

Die Südkoreaner wagten sich nur selten in die Nähe des deutschen Tores, und doch hatten sie die beste Torchance. Jung Woo-young schoss einen Freistoß auf Neuer, der bereitete seine Arme für eine Umarmung vor - dann flutschte ihm der Ball aus dieser Umarmung raus. Seinen Fehler bereinigte er selbst, indem er den Ball heldenhaft vor Son Heung-min wegfaustete (19.).

Die zweite Halbzeit begann wie die erste, allerdings dauerte es bis zum Ballverlust von Özil keine 30 Sekunden. Auch er blieb ohne Folgen. Es gab im deutschen Spiel nun verhaltene Tendenzen, das Tempo zu erhöhen. Nach einer Flanke von Kimmich bot sich Goretzka eine prächtige Kopfballchance - Jo parierte ebenfalls prächtig (47.). Nach einem seriösen Pass von Özil probierte Kroos es mit einem seriösen Schuss. Er traf Goretzka (61.). Je länger das Spiel dauerte, umso mehr setzten sich die Deutschen in der südkoreanischen Spielfeldhälfte fest, die Mannschaft hatte auch genug Chancen. Flanke Kimmich, Kopfball Gomez, Parade Jo (68.). Flanke Kimmich, Gomez trat neben den Ball (71.). Die beste Möglichkeit hatte Hummels, der nach einer Flanke von Özil in der Strafraum hineinmarschiert, er traf den Ball, allerdings nur mit der Schulter (87.). Auch das erste Gegentor erzählte dann eine typisch deutsche Geschichte bei diesem Turnier. In der zweiten Minute der Nachspielzeit spitzelte Toni Kroos den Ball im eigenen Strafraum, er spitzelte ihn allerdings durch die Beine von Süle aufs eigene Tor zu. Dort wartete Kim Youg-won. Er traf. Der Schiedsrichter entschied zwar zunächst auf Abseits, nach einem Hinweis des Videoassistenten änderte er zurecht seine Meinung. Deutschland blieben vier Minuten für zwei Tore. Dann rannte Son aufs leere Tor zu.

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