Süddeutsche Zeitung

Deutschland steht im EM-Viertelfinale:Warten aufs Spektakel

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Deutschlands Nationalspieler sind zufrieden mit sich - obwohl der Sieg gegen Dänemark und der erste Platz in der schweren Gruppe B hart umkämpft war. Der fehlende Glamour des deutschen Spiels dürfte vor allem an der Defensive der Gegner liegen. Ungebrochen ist jedoch das Grundvertrauen: Irgendeiner schießt halt immer noch ein Tor.

Thomas Hummel

Morten Olsen ist nun 62 Jahre alt. Die Haare sind längst weiß, die kleine Brille unterstützt das Image eines Intellektuellen. Morten Olsen gibt den weisen, lebenserfahrenen Lehrer. So jemanden kritisiert man nicht. Außer man heißt Joachim Löw.

"Die Dänen sind ja nur um den Sechzehner rumgestanden und haben das Spiel verschleppt, als wollten sie hier gar nicht gewinnen", analysierte der Bundestrainer. Dabei hätte der Gegner doch gewinnen müssen, um das Viertelfinale dieser Fußball-Europameisterschaft zu erreichen. Doch Löw habe nie das Gefühl gehabt, "dass sie auf Sieg spielen. Andere hätten vielleicht mehr gedrängt."

Joachim Löw ist kein Mensch, der einem Mann wie Morten Olsen fies einen verbalen Ellbogen in die Seite rammt. Er war nur gerade so drin in der Analyse dieser Partie. Man hatte ja durchaus diese Fragen stellen können: Hätten die Dänen nicht mehr riskieren müssen? Hätten sie nicht irgendwann ihren straffen Abwehrverbund mit stets neun Feldspielern um den eigenen Strafraum herum ein wenig lockern müssen?

Eine Viertelstunde nach Löws Analyse saß Morten Olsen auf dem gleichen Stuhl in den Katakomben des Stadions in Lemberg (Lwiw) in der Ukraine. Als er mit Löws Analyse konfrontiert wurde, wurden aus seinen Lippen zwei dünne Striche, seine hektischen Fingerbewegungen verrieten eine innere Wallung: "1:1 wäre ein gutes Ergebnis für uns gewesen. Wenn du zu viel riskierst, dann sind sie im Konter sehr stark, also musst du sehr aufpassen, nicht zu naiv zu spielen." Dann wurde er grundsätzlich: "Wir spielten gegen eine fantastische Mannschaft. Als neutraler Zuseher macht es Spaß, ihnen zuzusehen. Sie haben es verdient, die Gruppe zu gewinnen." Deutschland sei einer der Favoriten auf den Titel.

Erinnerungen ans rauschende Offensivfest der WM 2010

Der Blick von außen auf diese deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist oft ein anderer als die Sichtweise aus der Heimat. Dort haben die Menschen das rauschende Offensivfest der WM 2010 in Erinnerung, die Feiernächte in den Testspielen gegen Holland und Brasilien, die Tormaschinerie in der Qualifikation.

Und nun bei der EM? Läuft diese Mannschaft 90 Minuten lang mühselig gegen elf Dänen an, es scheint ihr kaum was einzufallen, es gibt wenig Chancen. Kein Schwung, wenig Energie, kein Esprit. Am Ende muss der neue Rechtsverteidiger Lars Bender einen Arbeitssieg zum 2:1 retten.

Der Erfolg an diesem heißen Sonntagabend in der Westukraine reihte sich ein in die Ereignisse der Vorrunde. Zuerst das beschwerliche, fast glückliche 1:0 gegen Portugal, dann das am Ende wacklige 2:1 gegen die Niederlande. Wo ist nur das Spektakel, der Glamour geblieben?

Würde man Joachim Löw diese Frage stellen, würden sich seine Finger mit hektischen Bewegungen verselbständigen und seine Lippen zu zwei dünnen Strichen. Diese EM-Vorrunde bot seiner Mannschaft ja drei Kaliber des europäischen Fußballs, vor allem Portugiesen und Dänen wollten alles nur nicht Opfer eines deutschen Spektakels werden und verschanzten sich mit allen Mann in der eigenen Hälfte. Während sich 2010 ein paar Gegner von den Deutschen fachgerecht auskontern ließen, liefen diese nun selbst Gefahr, Opfer einer Überfalltaktik zu werden. Und so gab Löw vor den Spielen die Devise aus: Sicherheit geht vor. Bevor einer den Risikopass in die Offensive sucht, spielt er lieber den Fünf-Meter-Pass zum nächsten.

"Wir haben mit sehr wenig Risiko gespielt", erklärte Verteidiger Mats Hummels. Die Mannschaft habe sich auf dem Feld "sehr breit aufgestellt", deshalb fehlte der Zug zum Tor.

Die Deutschen überrennen bei dieser Europameisterschaft niemanden, sie bearbeiten ihre Gegenüber.

Von einem zum anderen rollt der Ball im Flachpassspiel durch das Mittelfeld: rechts hinüber, zurück in die Mitte, links hinüber, zurück in die Mitte und so weiter. Immer auf der Suche nach einer Lücke, auf der Suche nach dem Löchlein in der gegnerischen Defensive. In der ersten Halbzeit klappte das gegen die Dänen noch ordentlich, das 1:0 von Lukas Podolski war das Ende einer dieser Passfolgen.

Dabei hatten die Deutschen diesmal auch gelernt, dass es wahrlich nicht viel braucht, um trotz aller Sicherheitsmaßnahmen hinten ein Gegentor zu fangen. Nachdem beim ersten dänischen Eckball ganz hinten im Raum Lars Bender gegen den viel größeren Nicklas Bendtner das Kopfballduell verloren hatte, wies Löw an, dass sich künftig Mats Hummels um den Stürmer kümmern solle. Doch die Flüsterpost über das Spielfeld drang irgendwie nicht durch, so gewann Bendtner auch das zweite Kopfballduell gegen Bender, die Folge war das 1:1 durch Michael Krohn-Dehli (24.). "Da haben wir uns ein bisschen doof angestellt, wir wussten was kommt beim zweiten Eckball", sagte Mario Gomez.

Obwohl es nach der Führung der Portugiesen im Parallelspiel gegen die Holländer (74.) ja durchaus noch einmal spannend wurde (hätten die Dänen gewonnen, wäre Deutschland raus gewesen aus dem Turnier), gab Joachim Löw an: "Ich bin relativ ruhig auf der Bank gesessen, weil ich eigentlich immer das Gefühl hatte, wir machen noch ein Tor."

Auch Gomez gab an, nie wirklich beunruhigt gewesen zu sein ob des lange Zeit knappen Spielstands: "Na ja, knapp, ich weiß nicht. Natürlich ist es doof, wenn es 1:1 steht. Aber knapp war es nicht wirklich, weil Dänemark hatte ja nicht wirklich eine Chance gehabt." Damit hatte er generell recht, unterschlug aber im Detail die riesengroße Möglichkeit von Jakob Poulsen kurz nach der Pause, als der Däne nach einem Konter nur den Außenpfosten traf.

Und so waren denn alle Deutschen zufrieden mit sich und ihrer Vorrunde. "Drei Spiele, drei Siege, mehr geht nicht", fasste Kapitän Philipp Lahm zusammen. Dazu in dieser Gruppe, mit den brachialen Beinamen Todes/Mörder/Hammer. Nun geht es hinein in die K.-o.-Runde, der erste Gegner Griechenland im Viertelfinale von Danzig am Freitag verspricht allerdings nicht viel Neues. Die Deutschen erwarten einen sehr defensiven Gegner, der über Konter und Standardsituationen zum Erfolg kommen will. Also ein zweites Dänemark. Es kündigt sich ein weiteres Bearbeitungsspiel an.

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