Deutschland siegt in der Türkei:Alle neune

Sie wollen jedes Spiel in der EM-Qualifikation gewinnen, das könnte klappen: Die deutsche Nationalmannschaft schafft auch in Istanbul einen Sieg - beim 3:1 gegen die Türkei glänzt Manuel Neuer als doppelter Torvorbereiter, Thomas Müller ist sogar an allen vier Treffern des Abends beteiligt. Endlich gelingt auch das Debüt eines lange Unglücklichen.

Am Freitagmittag hat Joachim Löw seinem Spieler Mesut Özil eine Frage gestellt. Ob er spielen könne, wollte Löw wissen, eigentlich ja, sagte Özil und ließ ein unausgesprochenes "aber" in der Luft hängen. Aber? Aber Schmerzen habe er schon noch, sagte er dann, worauf Löw die Entscheidung traf: Nein, du spielst nicht. "Wenn es um alles gegangen wäre, hätte man vielleicht dieses Riesen-Risiko eingehen müssen", sagte Löw kurz vor dem Anpfiff des vorletzten EM-Qualifikationsspiels gegen die Türkei.

Türkei - Deutschland

Gut gekämpft und gut gehalten: Manuel Neuer und Per Mertesacker freuen sich über den Sieg in der Türkei. 

(Foto: dpa)

Es ging aber nicht mehr um alles, Löws Team war bereits für die EM im nächsten Sommer qualifiziert. Özil blieb also mitsamt seinen Achillessehnen-Problemen draußen, und man wird wohl nie erfahren, welcher Schutzreflex beim DFB überwog - ob nur der Körper des angeschlagenen Özil geschützt werden sollte oder auch dessen Seele. Aber auch ohne Özil wurde die deutsche Elf in den ersten Minuten leidenschaftlich ausgepfiffen - dennoch blieben die Deutschen so cool, dass sie in der ersten Hälfte aus genau einer Chance genau ein Tor machten (Gomez, 35.).

Am Ende benötigten sie keine Glanzleistung, um den neunten Sieg im neunten Qualifikationsspiel zu schaffen: 3:1 (1:0) siegte Löws Elf - am Ende überzeugend, trotz vorübergehender Konzentrationslücken, die die Partie gelegentlich unnötig spannend machten. "Großes Kompliment an die Elf", sagte Joachim Löw, "die erste Hälfte war nicht so gut, aber vor 50.000 Zuschauern sind wir souverän geblieben, das war in Ordnung."

Ein Pflichtspiel" sei das, kein Test, darauf hatte Löw hartnäckig hingewiesen, und bald war erkennbar, was den Bundestrainer umgetrieben hatte. Er hat ein Gespür für sein Team, er hatte gemerkt, dass selbst dieser mitunter zu sympathischem Strebertum neigenden Elf aufgrund der komfortablen Tabellenlage ein paar Prozent Spannung fehlten. Zwar begann die Partie sehr pflichtspielmäßig, aber das lag an den anfangs sehr feurigen Gastgebern. Die DFB-Elf hatte sich in der Theorie viel vorgenommen, aber die Praxis hielt da nicht immer mit.

Als Hamit Altintop an Manuel Neuer scheiterte (5.), war daran zweierlei bemerkenswert - erstens der spektakuläre Reflex des Torwarts, der dankbar schien, dass er wenigstens in dieser Elf mal was zu tun bekommt. Zweitens die Tatsache, wie einfach sich die Türken durchkombinieren durften - die Deutschen suchten nicht die Nähe des Gegners, ließen ihn gewähren. In die Zweikämpfe gehen! sagte der Kopf, aber das Signal kam im Körper nicht an. "Es ist halt nicht so einfach, wenn man schon qualifiziert ist", sagte Mario Gomez, "am Ende hätten wir unsere Konter besser ausspielen müssen."

Neuer, der Spielmacher

Löw hatte die erwartete Aufstellung gewählt, an Özils Stelle sollte der 19-jährige Mario Götze als Genie tätig werden, den angeschlagenen Miroslav Klose ersetzte Mario Gomez (oder hätte Gomez ohnehin gespielt? Auch das wird man nie erfahren). Neben Bastian Schweinsteiger feierte der wütende Sami Khedira nach vier Monaten sein Comeback - ob es eine gute Idee war, vor dem Abflug noch schnell die Öffentlichkeit zu beschimpfen, muss offen bleiben. Mit seinem Schrei nach Liebe und Anerkennung hatte sich der Real-Profi selbst unter Druck gesetzt, ein paar unsaubere Pässe fielen deshalb mehr auf als sonst.

Aber bitte, Lob geht auch: Khedira war umsichtig, kämpferisch hoch motiviert und zu offensiven Ausflügen aufgelegt. Dass er damit nur selten durchkam, lag weniger an ihm, es lag an der Geometrie dieses Spiels. Die Türken verstanden es, die Räume so eng zu machen, dass den Deutschen meist nur ein 30 Meter breiter Streifen zum Kombinieren blieb. So durfte sich Löws Elf eine saubere Spielkontrolle attestieren lassen, aber es steckten zu viele kleine Ungenauigkeiten im Spiel.

Lukas Podolski? Spielte wie manchmal in Köln (wenn Köln nicht gut drauf ist). Mario Götze? Spielte durchwachsen wie zuletzt Dortmund. Seine feinen Füßen erzielten anfangs zu wenig Wirkung, später wurde er immer besser. Aber an diesem Abend wurde Özil ohnehin von einem anderer Spieler ersetzt: von Neuer. Er ist der Spielmacher unter den Torhüter, er kann das, was Trainer so lieben: blitzartig auf Offensive umschalten. Also schleuderte er einen Abwurf bis zur Mittellinie, dort nahm Müller den Ball auf, schlug ihn nach vorne zu Gomez, der Servet austanzte und vollstreckte. Ein Drei-Stationen-Tor, das jedes Lehrbuch ziert.

Auch das zweite Tor wurde später vom neuen Günter Netzer des deutschen Fußballs eingeleitet: Neuer drosch den Ball kontrolliert in die gegnerische Hälfte, wo Götze den aus 100 Meter Höhe herunter plumpsenden Ball filigran mitnahm und quer in den freien Raum hinüberlegte, wo Müller angesaust kam und den Ball ins lange Ecke schoss. Wieder ein Drei-Stationen-Tor, wieder Lehrbuch.

Das Spiel war entschieden? Dachten alle, und das war das Problem. Vielleicht dachten die Deutschen schon an ihr schönes EM-Quartier an der polnischen Ostseeküste, jedenfalls ließ Lahm Gönül einfach flanken, und Müller ließ Balta einfach das 1:2 schießen. "Das Tor geht auf mich", gestand Müller entwaffnend offen, "da war ich ein bisschen zu faul."

Es wird jetzt nochmal spannend? Dachten alle, bis Müller von Gönül gelegt wurde und Schweinsteiger den Elfmeter zum 3:1 verwandelte. Neun Spiele, neun Siege - und weil's gerade so schön war, durfte noch Marco Reus debütieren, der zuletzt viermal hatte absagen müssen. Er spielte drei Minuten und blieb unverletzt.

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