Denselben Fehler wird Patrick Fischer nicht noch einmal machen. Vor einem Jahr, in Riga, wechselte der Trainer der Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft vor dem WM-Viertelfinale gegen Deutschland seinen Torhüter. Für Leonardo Genoni, so zuverlässig wie ein Zürcher Bankschließfach, nominierte er Robert Mayer. Der war gerade mit Genf Meister geworden und hatte in seinen ersten Spielen einen sicheren Eindruck hinterlassen. Genoni dagegen hatte zwei Jahre zuvor im Viertelfinale gegen Deutschland ein traumatisches Penaltyschießen erlebt. Also: Genoni raus, Mayer rein. Für Mayer war es aber auch das erste K.-o.-Spiel bei einer WM. Prompt ließ er einen harmlosen Puck ins Netz gleiten, und die Schweiz, das beste Team der Vorrunde, war ausgeschieden, im Viertelfinale, wieder mal. Gegen Deutschland, wieder mal.
"Wir waren körperlich mega fit. Und die Stimmung war gut vor dem Match gegen Deutschland", sagte Fischer. "Aber dann passierte etwas Negatives, und auf einen Schlag waren wir blockiert."
Viermal standen sich Deutschland und die Schweiz bei großen Turnieren seit 2010 in K.-o.-Spielen gegenüber. Viermal hieß der Sieger Deutschland, bei Olympia 2018 (2:1 n.V.) sowie bei den WM-Turnieren 2010 (1:0), 2021 (3:2 n.P.) und 2023 (3:1). Bei den jüngsten drei Niederlagen stand jeweils Fischer an der Schweizer Bande. Am Donnerstag (16.20 Uhr, Pro7 und Magentasport) kommt es in Ostrava zur nächsten Auflage dieses Klassikers.

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Für Fischer muss es sich anfühlen, als treibe die Rachegöttin Nemesis ein zynisches Spiel mit ihm. "Sie haben vielleicht etwas Angst vor uns, wenn man die letzten Jahre anschaut", sagt der deutsche Stürmer John-Jason Peterka. Sicher ist: Robert Mayer wird diesmal nicht das Schweizer Tor hüten. Der 34-Jährige steht nicht im WM-Kader.
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Angriff
Bislang das Trumpf-Ass der deutschen Mannschaft. 34 Tore hat das DEB-Team in sieben Spielen geschossen, so viele wie nie zuvor in einer WM-Vorrunde. Erfolgreichster Scorer mit fünf Toren und vier Vorlagen ist Peterka, 22, von den Buffalo Sabres, der im vergangenen Jahr nach dem Gewinn der Silbermedaille zum besten Stürmer der WM gewählt worden war. Großes Plus: Nicht nur die vor Spielwitz sprühende Reihe mit den NHL-Stürmern Peterka und Lukas Reichel (22, Chicago) sowie Wojciech Stachowiak (24, Ingolstadt) produziert fleißig Treffer. Das Team kann sich auch auf sein secondary scoring verlassen: 17 verschiedene Torschützen haben zum Vorrundenrekord beigetragen, alle Stürmer haben mindestens ein Mal getroffen. Musterbeispiel an Konstanz ist die Reihe mit Marc Michaelis (3 Tore/5 Vorlagen), Yasin Ehliz (2/7) und Leo Pföderl (3/6), die vom ersten Turniertag an unverändert zusammenspielt. Von den etwa 350 Feldspielern bei dieser WM ist Pföderl gar der einzige, der in jedem Spiel mindestens einen Scorerpunkt gesammelt hat.
In den Kategorien Schusseffizienz und Powerplay liegt das deutsche Team an der Spitze. Das zweitbeste Überzahlspiel hat die Schweiz, deren Offensive angetrieben wird von den NHL-Profis Nico Hischier und Kevin Fiala (je zehn Scorerpunkte). Schaut man auf die jüngsten Duelle, dürfte es am Donnerstag aber eher torarm zugehen. "Wir müssen uns darauf einstellen, dass das auch mal ein 1:0 nach Verlängerung werden kann und dass man damit dann zufrieden ist", sagt Nico Sturm.
Abwehr
"So was passiert", sagte Bundestrainer Harold Kreis vergangenes Jahr. "Wir sind nicht abhängig von einem oder zwei Spielern. Einer ist raus? Dann macht der nächste ein bisschen mehr." Was war passiert? NHL-Verteidiger Moritz Seider, gerade mal 22 und schon Eckpfeiler in Detroit und im DEB-Team, hatte gegen die Schweiz eine Spieldauerstrafe kassiert. Deutschland gewann trotzdem - weil die anderen noch ein bisschen mehr machten. Dieses Jahr ist Seider nicht dabei, weil er in Detroit um einen langfristigen Millionenvertrag verhandelt. Mit ihm und dem verletzten Leon Gawanke fehlen der deutschen Abwehr zwei der spielstärksten und robustesten Verteidiger.
Nach dem 6:4-Auftaktsieg gegen die Slowaken schien sich das Problem zu manifestieren: 1:6 gegen die USA, 1:6 gegen die Schweden - 16 Gegentore nach drei Spielen waren doppelt so viele wie im Jahr davor. Kapitän Moritz Müller beschreibt die Situation als "Do-or-die-Moment: Entweder wir sprechen ein paar Sachen an und machen sie besser und spielen ein erfolgreiches Turnier - oder wir spielen so weiter und es wird nicht gut." Am Tag nach dem Spiel gegen Schweden traf sich die Mannschaft ohne Trainer und sprach ein paar Sachen an. In den nächsten drei Partien reduzierte sich die Zahl der Gegentreffer auf fünf. Beim wilden 6:3 zum Schluss gegen Frankreich, als die Qualifikation fürs Viertelfinale bereits feststand, war nicht immer die letzte Konzentration zu spüren. "Aber ich empfand es als wichtig, dass es heute über den Kampf ging", sagte Nico Sturm. "Wir können davon ausgehen, dass es am Donnerstag auch so wird."
Die Lücken schließen WM-Debütant Lukas Kälble, der nebenbei schon drei Treffer erzielt hat, oder die Berliner Meister Kai Wissmann und Jonas Müller, der mit 21:28 Minuten im Schnitt die meiste Eiszeit aller deutschen Feldspieler herunterkurbelt. Übertroffen wird Müller vom Schweizer Roman Josi. Der NHL-Verteidiger von den Nashville Predators kommt pro Partie auf 24:05 Spielminuten und steht mit drei Treffern und acht Vorlagen auf Platz drei der WM-Scorerwertung. "Josi schreitet übers Eis wie einst Jesus übers Wasser", huldigte das Schweizer Portal Watson dem 33-Jährigen nach dem 8:0 gegen Dänemark. Was das für Josis weiteren Karriereweg bedeuten könnte, möchte man sich lieber nicht ausmalen.
Torhüter
"Wir haben hinten zwei richtig gute Männer drin", sagte Jonas Müller nach dem 6:3 gegen Frankreich. NHL-Torhüter Philipp Grubauer, 32, ist nominell die Nummer eins, Mathias Niederberger, 31, war im vergangenen Jahr einer der Garanten für die WM-Silbermedaille. In beide hat das Team absolutes Vertrauen. Bei den Schweizern dürfte diesmal Routinier Genoni, 36, zwischen den Pfosten stehen (s.o.). Außer Patrick Fischer gibt Akira Schmid, 24, den Vorzug, NHL-Talent von den New Jersey Devils. Beim 2:3 gegen Kanada, der einzigen Niederlage der Schweizer in der Gruppenphase, stand Genoni im Tor.
Coaching
Während Fischer, 48 und seit neun Jahren Chef der "Nati", unter Druck steht, wirkt Harold Kreis, 65, noch souveräner als im vergangenen Jahr. An seiner Seite weiß er wie 2023 in Alexander Sulzer (Bremerhaven) einen kundigen Koordinator der Defensive und in Serge Aubin, in den vergangenen vier Spielzeiten dreimal Meister mit Berlin, einen Experten für das Powerplay an seiner Seite. Kreis lässt andere Meinungen zu: "Ich bin nicht der Boss, ich habe einfach die letzte Entscheidung", sagte der Bundestrainer vor der WM. "Wir stehen ja nicht in Konkurrenz zueinander. Wir profitieren alle voneinander." Als sich das Team nach den beiden 1:6-Niederlagen zur Aussprache traf, setzte Kreis die Erkenntnisse der Spieler im Training um. Seitdem wirkt die Defensive aufgeräumter. "Wir haben aus der Lektion gelernt", sagt Kreis und attestiert der Mannschaft "eine gute Entwicklung".
Somit gebührt dem Team- und Dienstältesten das letzte Wort. "Am Ende ist es ein Spiel, in dem es um alles geht", sagt Moritz Müller. Deutschland gegen die Schweiz: Es kribbelt. Mal wieder.