Süddeutsche Zeitung

Deutschland gegen die Niederlande:Fußball-Tennis in Amsterdam

Lesezeit: 4 min

Kopf nach rechts, Kopf nach links: Die Niederlande und Deutschland liefern sich ein unterhaltsames 1:1, aus dem beide Teams Positives mitnehmen können. Und van Gaal ist nun der erste Nationaltrainer, den Flick nicht besiegen kann.

Von Christof Kneer

Als Hansi Flick eine Trainerkarriere begann, von der nun wirklich niemand ahnen konnte, dass sie mal groß werden würde, hat er aus Bammental immer wieder nach Amsterdam geschaut. Beim dortigen Erstligisten Ajax arbeitete einer der größten Trainer dieses Jahrzehntes, der größte, wie er selber sagen würde, Louis van Gaal.

Der kleine Hansi Flick trainierte den nordbadischen Oberligisten Victoria Bammental, und heute, etwa zweieinhalb Jahrzehnte später, sagt er voller Ernst, er habe einiges von dem, was er damals bei van Gaal sah, in Bammental angewendet. Flick würde nicht so weit gehen, van Gaal ein Vorbild zu nennen, dafür sind ihre Fußball-Geschmäcker doch ein wenig zu verschieden, aber ein prägender Einfluss war er auf jeden Fall.

Zweieinhalb Jahrzehnte später sind sie nun ein paar Meter auseinander gestanden, vor dem Spiel haben sie sich die Hand geschüttelt, von Bondscoach zu Bundestrainer. Van Gaals Niederländer haben in besagtem Amsterdam die deutsche Nationalmannschaft empfangen, und wie man van Gaal kennt, hat er sich selbst einen Auftrag mit in dieses Spiel gegeben. Acht Partien hat dieser verherrlichte deutsche Trainer bisher für Deutschland gecoacht, achtmal hat er gewonnen - wer, wenn nicht der große Louis sollte diese Serie beenden? Am Ende beendete er sie - natürlich: 1:1 ging es aus. Steven Bergwijn glich die Führung von Thomas Müller aus.

Hansi Flick ist selbst gespannt gewesen vor diesem Abend, er kennt seine Mannschaft gut, trotzdem war er sich nicht sicher, welchem der beiden Einflüsterer auf seiner Schulter er glaube sollte. Dem Teufelchen, das sagte, er solle sich nichts auf die acht Siege einbilden, die seien ja nur gegen Liechtenstein, Armenien und Island zustande gekommen? Oder dem Engelchen, das ihn beruhigte, weil die Siege ja trotzdem stilvoll und überzeugend ausgefallen seien?

Wie ernst Flick diese Aufgabe nahm, ließ sich an seiner Aufstellung ablesen, die eine Art Stammelf der Übriggebliebenen darstellte. Mit Kimmich, Goretzka, Gnabry, Süle und Gosens fehlten fünf potenzielle Startelfspieler, weshalb sich Flick für ein Risiko entschied, dessen mögliche Nebenwirkungen ihm durchaus bewusst waren. Das defensive Mittelfeldzentrum vertraute er zwei Spielern an, die offensiv denken, Ikay Gündogan und Jamal Musiala - ein Zug, der sich auf den Unterhaltungsfaktor des Spiels auswirkte.

Beide wirkten als doppelte Spielmacher - sie hielten das eigene Spiel in Gang, vor allem Musiala gefiel immer wieder mit jenen großartigen schlangengleichen Bewegungen, die man weder üben noch lernen kann. Allerdings trug ihre mangelnde Härte und die naturgemäß unterentwickelte defensive Widerstandsfähigkeit auch dazu bei, dass die Niederländer sich immer wieder zügig durchs deutsche Mittelfeld kombinieren konnten. Die Innenverteidiger Antonio Rüdiger und Nico Schlotterbeck stellte dies mitunter vor schwere Aufgaben, immer wieder sahen sie orange gekleidete Sportler in hohem Tempo auf sich zuflitzen.

So entwickelte sich eine Partie, bei der sich die Zuschauer wie beim Tennis vorgekommen sein dürften. Kopf nach rechts, Kopf nach links, Kopf nach rechts ... unter Vernachlässigung ihrer zentralen Mittelfelder ließen die Offensivspieler beider Teams den Ball von Strafraum zu Strafraum sausen.

Van Gaal behält beim 1:1 gegen den DFB mal wieder Recht

Müller spielt hübsch auf Sané, Sané trifft das Außennetz (12., Kopf nach rechts); van Dijk schickt Malen, der überläuft Schlotterbeck, den Querpass verpasst Malacia knapp (18., Kopf nach links); Havertz spielt auf Raum, Raum flankt, Werner köpft an die Latte (Kopf nach rechts, Abseits, 21.). Während der gesamten ersten Halbzeit setzte sich dieses Rechts-links-Muster fort, die Trainer van Gaal und Flick sahen in nahezu gleichem Maße vieles, was ihnen gefiel (offensive Momente) und manches, was ihnen nicht so gefiel (defensive Widerstandsfähigkeit).

Erneut zeigte sich auch, was so faszinierend ist am Trainer van Gaal, abgesehen von der spektakulären Faszination, die er für sich selbst empfindet. Van Gaal ist möglicherweise der einzige Trainer weltweit, der es schafft, einen Treffer zu kassieren und dennoch Recht zu behalten. Wenn er Hansi Flick wäre, hatte van Gaal am Tag vor dem Spiel noch gönnerhaft gesagt, dann würde er auf jeden Fall Thomas Müller aufstellen - weil Müller gegen ihn, seinen Entdecker van Gaal, bestimmt besonders motiviert sein würde.

Jedenfalls lief kurz vor der Pause nochmal ein letzter Angriff durchs deutsche Mittelfeld, Schlotterbeck schickte Musiala links in den Strafraum, dessen Hereingabe zielte auf Havertz und fand über Umwege den bestimmt besonders motivierten Müller - der den Ball mit der Routine eines Torjägers unter die Latte drosch (45.). Diese Regel galt unter van Gaal, sie galt nach van Gaal, und sie gilt jetzt offenbar auch unter Hansi Flick: Wenn man hinten wackelt, muss es wenigstens vorne müllern.

David Raum verpasst das 2:0 gegen die Niederlande

Was die Trainer wohl in der Halbzeit gesagt haben? Wer den Fortgang der Partie sah, würde auf "weiter so" tippen, das Spiel blieb lebendig und im Mittelfeld viel zu offen. Während zunächst die Niederländer froh sein konnten, nach Raums Schuss übers Tor nicht 0:2 hinten zu liegen (48.), wechselte dieses Glücksgefühl später auf die Seite der DFB-Elf.

Erst ermöglichte die Passivität des deutschen Mittelfeldes dem Niederländer de Jong einen Diagonalball auf Dumfries, der das Kopfballduell gegen Raum gewann und den Ball zu Bergwijn brachte, der zum Ausgleich einschoss (68.). Fünf Minuten später nahm Schiedsrichter Pawson aus Gründen, die man interessant nennen darf, einen Elfmeter zurück, den er zuvor für die Niederlande verhängt hatte - Kehrer soll gegen Depay doch den Ball gespielt haben (73.).

Am Ende konnten beide Trainer wohl doch zufrieden sein. Flicks Elf, die durch einige Wechsel erheblich durcheinander geriet, überstand eine turbulente Schlussphase ohne weiteres Gegentor - und der große Louis van Gaal war selbstverständlich der erste, der den kleinen Bundestrainer aus Bammental am Siegen hinderte.

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