Memphis Depay:Er gibt der deutschen Abwehr Rätsel auf

Euro 2020 Qualifier - Group C - Netherlands v Belarus

Memphis Depay trifft zum 3:0 für die Niederlande im EM-Quali-Spiel gegen Weißrussland.

(Foto: Piroschka van de Wouw/Reuters)

Als Vereinsspieler umstritten, in der Nationalmannschaft der große Hoffnungsträger: Memphis Depay galt einst als Sinnbild der Krise bei Oranje - nun ist er wichtiger Teil des Aufstiegs.

Von Tobias Schächter, Rotterdam

Ronald Koeman ärgerte sich trotz des 4:0-Sieges gegen Weißrussland: So viele "Hakballetjes" (Hackentricks) habe er noch nie bei einer niederländischen Nationalelf gesehen, kritisierte der Trainer von Oranje nach dem leichten Aufgalopp in die Qualifikation zur EM 2020 am Donnerstag in Rotterdam. So viel Übermut wolle er an diesem Sonntag in Amsterdam beim Heimspiel gegen Deutschland nicht mehr sehen, sagte Koeman. Stürmer Memphis Depay versprach im Blick auf die Partie gegen Deutschland jedenfalls: "Wir sind heiß!"

Nur neun Monate nach der verpassten Weltmeisterschaft in Russland scheint der niederländische Fußball wieder auf dem Weg zurück in die Weltspitze zu sein. Während kein deutscher Klub das Viertelfinale der Champions League erreichte, stürmte Ajax Amsterdam bei Titelverteidiger Real Madrid mit den aufregenden Jungstars Frenkie de Jong, 21, und Matthijs de Ligt, 19, unter die besten Acht in Europas Königsklasse. Die Nationalmannschaft ist nicht nur dank Abwehrchef Virgil van Dijk, 27, wieder auf höchstem Niveau konkurrenzfähig: Im Angriff ist derzeit Depay der große Hoffnungsträger.

In den Niederlanden glauben viele Fachleute, dass die junge, neuformierte Abwehr des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach der Verbannung der Routiniers Mats Hummels und Jérôme Boateng vor dem schnellen und vor Kraft strotzenden Techniker Depay zittern muss. Gegen Weißrussland erzielte der Profi von Olympique Lyon zwei Treffer und bereitete die beiden anderen vor. Insgesamt stehen 15 Tore in 45 Länderspielen in seiner Statistik, alleine in den vergangenen 15 Partien gelangen ihm zehn Treffer. In der Nations League vergangenen Herbst traf Depay gegen Deutschland beim rasanten 3:0-Heimsieg ein Mal.

Es ist erstaunlich, wie schnell sich die Perspektiven im Fußball ändern können: Noch vor nicht allzu langer Zeit galt Memphis Depay als Sinnbild der Krise bei Oranje, nun ist er ein Protagonist des Aufstiegs. Großes Potenzial wurde dem mittlerweile 25 Jahre alten Angreifer immer schon zugeschrieben - aber eben auch der Hang zur Verschwendung seines Talents. Der Wechsel vom PSV Eindhoven zu Manchester United kam 2015 zu früh für den Sohn eines Ghanaers und einer Niederländerin. Weder unter Louis van Gaal, mit dem er 2014 noch mit Oranje bis ins WM-Halbfinale gekommen war, noch unter dessen Nachfolger José Mourinho, fasste Depay bei United Fuß. In Erinnerung blieb vor allem die Tatsache, dass er zu einem Spiel der Reserve mit Rolls-Royce und Cowboyhut aufschlug. Im Januar 2017 wechselte er nach Frankreich. Doch nach starkem Beginn eckt Depay nun auch in Lyon an.

Nach dem bitteren 1:5 zum Abschied aus der Champions League beim FC Barcelona kam er zuletzt zwei Mal in der Ligue 1 nicht zum Einsatz, erst sechs Treffer gelangen ihm in dieser Runde. Während ihn Trainer Koeman bei Oranje regelmäßig lobt, hat er in Lyon bei Vereinscoach Bruno Genesio und den Fans einen schweren Stand. Bei seiner Auswechslung im Champions-League-Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim (2:2) in der Vorrunde wurde er von den Lyon-Anhängern bei seiner Auswechslung ausgepfiffen. Nachdem ihn Genesio zuvor im Ligaspiel gegen Angers zunächst auf der Bank belassen hatte (nach seiner Einwechslung erzielte er den 2:1-Siegtreffer), beklagte Depay "fehlenden Respekt". Er verdiene es, "in jedem Spiel zu spielen". Der Trainer reagierte mit Ironie, der Verein bestrafte ihn für die despektierlichen Äußerungen aber nicht.

Bei Oranje zeigte Depay eine weitrere Seite seiner vielschichtigen Persönlichkeit

Das führte in Frankreich zu einer Debatte, ob Stars wie Depay in Lyon oder Neymar bei Paris Saint-Germain mittlerweile zu mächtig seien, die Vereine zu schwach. Trainer Genesio riet dem aufmüpfigen Depay: "Wenn du eine große Karriere machen willst, brauchst du Demut." Zuletzt sorgte der Angreifer erneut für Unmut in Lyon, als er erklärte: "Ich will zu einem Verein wie Real Madrid, FC Barcelona, FC Chelsea, Manchester City oder Bayern München." Lyon-Präsident Jean-Michel Aulas brachte das aufgrund der zuletzt mauen Leistungen Depays in Rage. "Jene, die von einem großen Transfer sprechen, liegen falsch. Sie sollten weniger reden und dafür mehr abliefern", sagte Aulas. Und auch, wenn er Depay nicht namentlich erwähnte, war klar, wen der Präsident gemeint hatte.

Es gibt derzeit also zwei Depays: Einen, der im Verein Flausen pflegt und jenen, der in der Nationalmannschaft überzeugt. Für Wim Kieft ist Depay deshalb ein nicht zu lösendes Rätsel. Der ehemalige Nationalspieler schreibt eine Kolumne für die Tageszeitung De Telegraaf. Nach der Gala Depays gegen Weißrussland fragte Kieft: "Wie kann man so gut Fußball spielen und sich trotzdem so beengt und bescheiden in Lyon verhalten?" Depay verweist bei der Antwort auf diese Frage auf das Vertrauen des Trainers und den tollen Teamgeist bei Oranje. Und: In Lyon wird er meist als Linksaußen eingesetzt, in der Elftal aber gibt er den zentralen Stürmer im klassischen 4-3-3. Trainer Koeman sagt: "Memphis muss mir nichts beweisen, er hat oft genug gezeigt, wie gut er ist. Vielleicht ist er hier glücklicher mit seiner freien Rolle als Stürmer, vielleicht gefällt ihm das besser als auf dem Flügel."

In den vergangenen Tagen mit der Nationalmannschaft zeigte Depay zudem eine weitere, reflektierte Seite seiner vielschichtigen Persönlichkeit, als er sich zu dem jüngsten Anschlag in Utrecht und der politischen Situation in den Niederlanden äußerte. Die Nationalmannschaft könne Vorbild für ein friedlicheres Miteinander sein: "Wir strahlen Positivismus mit dem Team aus, und das sollten wir im normalen Leben tun. Die Menschen haben Vorurteile, aber es ist so wichtig, einander zu respektieren. Zusammenleben bedeutet, füreinander da zu sein."

Wim Kieft hat also schon Recht: Memphis Depay ist ein schwer zu entschlüsselndes Rätsel - nicht nur an diesem Sonntag für die deutschen Abwehrspieler Niklas Süle, Matthias Ginter und Antonio Rüdiger in der Arena von Amsterdam.

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