3:2 gegen Niederlande:Ein Abend wie gemacht für die Nationalelf

3:2 gegen Niederlande: Erleichterung bei der verjüngten Nationalelf nach einem harten Kampf.

Erleichterung bei der verjüngten Nationalelf nach einem harten Kampf.

(Foto: AFP)
  • Der Sonntagabend in Amsterdam enthält alle Zutaten, die Bundestrainer Löw in seiner verjüngten Nationalelf für eine positive psychologische Wirkung gebraucht hat.
  • Zunächst brilliert seine Mannschaft mit Konterfußball, dann zeigt sie beim Siegtreffer ein mittlerweile eher verpöntes Element: Ballbesitz.
  • Und auch der Bundestrainer trägt mit den Einwechslungen von Reus und Gündogan zur Legendenbildung bei.

Von Philipp Selldorf, Amsterdam

Nico Schulz checkte am Samstagnachmittag unter dem Namen Nico Schulz im Mannschaftshotel in Amsterdam ein, es darf als sicher gelten, dass er nicht eine einzige Sekunde darüber nachgedacht hat, sich mit einem Künstlernamen oder gar mit dem Adelstitel "Goldjunge" registrieren zu lassen. Der 25 Jahre alte Linksverteidiger der TSG Hoffenheim war bisher eher eine freundliche Randerscheinung im DFB-Kader, und das hat sich auch nicht dadurch wesentlich geändert, dass ihm der Bundestrainer zuletzt einen Vorsprung auf den alten Amtsinhaber Jonas Hector zugesprochen hatte.

Nun aber hat Schulz am Sonntagabend in der 90. Minute das 3:2 für die deutsche Nationalmannschaft geschossen, in Amsterdam gegen den zuletzt wieder sehr lästigen und selbstbewussten Alt-Rivalen Niederlande. Und als Schulz das Johan-Cruyff-Stadion verließ, in dem die deutschen Anhänger "Ohne Holland fahr'n wir zur EM" sangen, da war er für seine Kollegen nicht mehr nur der Nico aus dem Kraichgau, sondern ein strahlender Glücksbringer: "Da ist der Goldjunge!", rief Joshua Kimmich euphorisch aus, als sei ihm eine leibhaftige Lichtgestalt begegnet.

Es ist lange her, dass solche emphatischen Empfindungen im Kreis der Nationalspieler zu sehen und zu hören waren, zuletzt geschah das Anfang Juli 2017 im Krestowski-Stadion in St. Petersburg, als eine Bande von ausgelassenen Männern nach dem Endspiel des Confed-Cups die Fifa-Pressekonferenz stürmte und die Weltbühne in einen Dorffestplatz verwandelte. Der Bundestrainer wurde von den Spielern mit Sekt und Bier übergossen, er ließ die Prozedur lächelnd über sich ergehen. Von den Hauptdarstellern jener lustigen Szene sind allerdings nicht viele geblieben: trotz hochwertiger Engagements in internationalen Spitzenklubs weder der Torwart Bernd Leno und Emre Can noch, mit nicht ganz so illustren Engagements, Jonas Hector und Marvin Plattenhardt.

Joachim Löw aber ist immer noch da, und mancher Zeuge der Sekt- und Bierdusche von 2017 fühlte sich am fies kalten Sonntagabend in Amsterdam an jenen Sommerabend in St. Petersburg erinnert. Da war das gleiche Lächeln in Löws Gesicht, und es war der gleiche Effekt wie damals, der jetzt dieses Lächeln hervorgerufen hatte. Mit platter Genugtuung oder dem Gefühl, es verdammt noch mal den Kritikern wieder mal gezeigt zu haben, hatte die Zufriedenheit nichts zu tun. Darüber, dass dieser Sieg für das ramponierte Ansehen des 59 Jahre alten Dauer-Bundestrainers von besonders hilfreicher Bedeutung war, kann es zwar keine zwei Meinungen geben. Doch an solchen Debatten nimmt Löw lediglich peripher teil. Was er hingegen zu schätzen weiß: Dass da eine Mannschaft jubelte, die auf ihn gehört und der er den Weg gewiesen hatte.

Während des Confed Cups hatte Joachim Löw einen Haufen von jungen, aufstrebenden Spielern samt einiger Spätstarter wie Lars Stindl und Sandro Wagner betreut, das Unternehmen wurde für ihn tatsächlich zu einer inspirierenden Erfahrung. Der Bundestrainer durfte wieder Fußball-Lehrer sein, nicht mehr nur Moderator in einer Gruppe von altgedienten Profis, die schon alles gewonnen hatten.

Löw trägt seinen Teil zur Legendenbildung bei

Von jenen Routiniers hat sich Löw bekanntlich erst im Laufe eines stark in die Länge gezogenen Trennungsprozesses zu verabschieden vermocht, und punktgenau schlug nun in Amsterdam die erste Stunde der vom Coach ausgerufenen "neuen Zeitrechnung". Dieser Abend enthielt alle Zutaten, die ihm einen schicksalhaften Anstrich gaben und für eine ansteckende psychologische Wirkung gebraucht wurden. Während der ersten Halbzeit brillierten die Deutschen mit einem Tempo-Fußball, der auf Kontern beruhte und Anleihen beim Außenseiter-Fußball nahm, der aber auch das Resultat einer klugen offensiven Anordnung war: mit den beiden schnellen Angreifern Leroy Sané und Serge Gnabry sowie dem vielseitig orientierten Verbindungsmann Leon Goretzka dazwischen, der die Niederländer früh beim Spielaufbau störte.

Darauf folgte eine zweite Halbzeit, in der die bis dahin äußerst leichtfertigen Niederländer ungefähr zehnmal so aggressiv attackierten und schnell zum Anschlusstreffer kamen, was der Dramaturgie nur gut tat: Die Zuschauer empfanden sie als mitreißend, die Beteiligten als identitätsstiftend. "Im Nachhinein ist das 3:2 wichtiger, als wenn wir 3:0 gewonnen hätten", stellte Joshua Kimmich weise fest. Für dieses Ergebnis hatte man hart kämpfen und manchmal leiden müssen, es gab Befreiungsschläge von Niklas Süle, die wie zu den Zeiten von Katsche Schwarzenbeck mit Karacho auf die Tribüne flogen, man sah gar eine todesmutige Schussblockade des Ästheten Toni Kroos.

Schließlich trug auch der Trainer seinen Teil zur Legendenbildung bei: Zum passenden Zeitpunkt - oder auch: gerade noch rechtzeitig - wechselte er Ilkay Gündogan und Marco Reus ein, die in den wenigen Minuten ihres Zusammenspiels die Partie veränderten. Der holländische Nationaltrainer Ronald Koeman, der seine Spieler bis dahin nach vorn getrieben hatte, ahnte die Gefahr und ordnete die Sicherung des 2:2 an. Doch Gündogans und Reus' Fünf-Sterne-Technik brachte im rechten Moment ein bekanntes, wenn auch zuletzt eher verpöntes Element ins Spiel zurück: das Ballbesitz-Element, das sich just in jener Szene äußerte, die Schulz' Siegtreffer brachte.

Der Sieg sei "hilfreich für den Glauben dieser doch neu formierten Mannschaft", sagte Löw. Wie es um seine eigenen Gefühle bestellt war, teilte er erst nach insistierender Befragung mit: "Am Ende war ich innerlich zufrieden", verriet Löw, dass ihn dieser Abend in die höchste für ihn mögliche Seligkeitsstufe versetzt hatte.

Zur SZ-Startseite
DFB-Nationalmannschaft - Leroy Sane und Serge Gnabry 2019 gegen die Niederlande

DFB-Sieg gegen die Niederlande
:Bei Gnabry und Sané geht ein Raunen durchs Stadion

Ungestüm, wild, anarchisch: Die DFB-Elf zeigt beim 3:2 zum Start der EM-Qualifikation, wie gut die Mannschaft spielen kann - zumindest eine Halbzeit lang. Sogar die Oranje-Fans staunen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: