Wenn es zwei Orte gibt, an die das Team D wirklich besonders schöne Erinnerungen haben wird nach diesen Olympischen Spielen in Paris, dann liegen diese nicht Paris. Jedenfalls, wenn es um mehrere Olympiasiege in nur einer Sportart geht. In Versailles, weit im Westen, zeigten Jessica von Bredow-Werndl und die deutsche Equipe goldene Reitkünste. Im Wassersportstadion Vaires-sur-Marne, nicht weit weg von Disneyland, tief im Osten, in dem auch am Freitag der Wind ordentlich über den Kanal fegte, setzten die deutschen Kanuten ihre Medaillenfahrten fort.
Denn nach dem Olympiasieg des Männer-Vierers und Silber durch den Vierer der Frauen vom Donnerstag haben Max Lemke und Jacob Schopf im Kajak-Zweier über 500 Meter am frühen Freitagnachmittag die nächste Goldmedaille für Deutschland gewonnen. Nur 20 Minuten vor ihnen hatten sich Paulina Paszek und Jule Hake in der gleichen Disziplin Bronze gesichert. Der dreimalige Olympiasieger Sebastian Brendel enttäuschte dagegen im Einer-Canadier auf seiner Paradestrecke über 1000 Meter als Achter.
Medaillenträchtige Tage sind das in Vaires-sur-Marne für die deutschen Kanuten, besonders wichtige aber vielleicht auch aus anderen Gründen. Denn auch Bundeskanzler Olaf Scholz war zu Gast, stattete ihnen mit seiner Frau Britta Ernst einen Besuch ab, snackte mit Trainern und Funktionären am Stehtisch, sprach später noch mit Athleten. Von diesem Gespräch wird noch die Rede sein.
Aber zunächst einmal fielen Paszek und Hake mehrere Mühlsteine vom Herzen, als sie nach bangen Minuten des Wartens die Entscheidung der Jury vernahmen. Im Fotofinish wurden sie gemeinsam mit Ungarn auf Rang drei eingestuft, die Jury vergab also zweimal Bronze. Paszek war zuvor aufgelöst neben Hake auf dem Steg gekauert, die Warterei habe sich „wie ein paar Stunden“ angefühlt. Als die Entscheidung verkündet wurde, sprangen sie auf, so hoch sie konnten. „Es ist so schön, solche Momente bleiben für immer“, sagte Paszek.
„Es war ein perfektes Rennen“, sagt Jacob Schopf
Schopf und Lemke hatten die Konkurrenz lange dominiert in ihrem Rennen, am Ende wurde es aber noch einmal richtig eng. 28 Hundertstelsekunden vor den Ungarn kamen sie ins Ziel, das favorisierte australische Boot wurde nur Dritter. „Ich war ein bisschen nervös. Aber wir hatten einen guten Start, es war ein perfektes Rennen“, sagte Schopf. Kanzler Scholz applaudierte auf der Tribüne. Scholz ist ja ein passionierter Hobbyruderer, ein Weggefährte im Boot berichtete mal im Rudersport-Magazin über Scholz’ Fähigkeiten auf Alster-Ausfahrten: „Anfangs war er Fiat-500-mäßig unterwegs. Hochtourig. Viel Frequenz. Inzwischen fahren wir ruhiger, bulliger, technisch sauberer. Eher so Richtung Sechszylinder. Man kann mit ihm wunderbar Zweier fahren.“
Und damit rüber zum Gespräch des Kanzlers mit den Athleten.
Scholz unterhielt sich einige Minuten mit Tom Liebscher-Lucz, der zusammen mit Max Rendschmidt Fünfter im Kajak-Zweier geworden waren. Es ging dabei auch um den ganzen Strauß an schwierigen Themen, die Sportdeutschland bewegen: die Streichung von Fördermitteln, zu wenige Trainerstellen, Olympiabewerbungen, die geplant werden, ohne die Bevölkerung mitzunehmen. Und Randsportarten wie zum Beispiel Kanu, die nur alle vier Jahre im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Liebscher-Lucz, am Donnerstag mit Rendschmidt Teil des Gold-Vierers ist da ziemlich direkt. Und nach allem, was man da so mit halbem Ohr mithören konnte aus der Ferne, nahm er auch im Zwiegespräch mit Scholz kein Blatt vor den Mund.
Zuvor hatten sich Liebscher-Lucz und Rendschmidt auch in der Mixed Zone kritisch geäußert übers deutsche Sportsystem. „Eine zweite Medaille wäre schön gewesen, aber letztlich haben wir mit der Goldmedaille unsere Prämie geholt und auch unsere Förderung fürs nächste Jahr gesichert. Für die zweite Medaille gibt es finanziell nichts“, sagte Rendschmidt. „Doppelte Leistung wird in Deutschland nicht belohnt.“ Die Prämie ist zudem steuerpflichtig. Zum Kanzlerbesuch sagte Liebscher-Lucz: „Ich würde ihn gern nicht nur bei Olympia, sondern auch mal bei einer WM oder DM sehen. Stattdessen wird uns das Geld weiter gekürzt, wenn wir Erfolge feiern.“
Es ist ein großes Thema, das da aufploppte in Vaires-sur-Marne. Aber vielleicht im besten Moment, den es geben konnte. Denn der Hobbyruderer Scholz hat dort nicht nur Rückenwind gehabt.
Am Ende lud Liebscher-Lucz – auch ein gefühlter Goldgewinner an diesem Tag – den Kanzler noch zur Siegerehrung der Kollegen ein, die gerade gewonnen hatten. Doch der lehnte dankend ab, weil das Protokoll rief: Der Besuch der Athleten im Deutschen Haus in Paris stand an.