Süddeutsche Zeitung

Joachim Löw:Ein bisschen Feuerwerk hätte nicht geschadet

Die Verabschiedung von Ex-Bundestrainer Löw wirkt ein wenig dürftig, auch weil sie im Kontrast zum inspirierten 9:0 seiner ehemaligen Mannschaft steht. Hansi Flick ist mit dem Spiel zufrieden - und reist mit nur noch 19 Spielern nach Armenien.

Von Philipp Selldorf, Wolfsburg

Nach seinem Treffer zum 8:0 hätte Thomas Müller aus guten Gründen gelassen bleiben können. Ein 8:0 in der 86. Minute gegen eine Elf aus Liechtenstein, die quasi seit Spielbeginn in Unterzahl dasteht, ist keine bedeutende Tat mehr, und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird sein Schuss auch nicht zum Tor des Monats gekürt werden - es sei denn, die Jury steht auf mehrfach abgefälschte Gurkentore. Trotzdem begnügte sich Müller nicht mit der stillen Kenntnisnahme seines Erfolgs. Spontan riss er die Arme nach oben und jubilierte mit solch leidenschaftlichem Ausdruck, als ob ihm etwas Großes gelungen wäre.

Mit seiner Begeisterungsfähigkeit war der Münchner Angreifer nicht allein. "Einer geht noch rein", sang das Publikum in der ausverkauften Wolfsburger Arena, bis die Uhr am Ende bei 9:0 stehenblieb. Jahrmarkt-Stimmung herrschte. Wenn Manuel Neuer zum Zeitvertreib ausrückte und - teilweise in der gegnerischen Hälfte - liechtensteinische Befreiungsschläge einsammelte, dann geriet das zum Volksvergnügen. Die Leute meinten das nicht mal zynisch, denn auf dem Rasen fand tatsächlich immer noch eine Art Wettkampf statt, natürlich nicht um die Punkte, aber um das Resultat und die Ehre. Das Team aus dem Fürstenreich trotzte der aussichtslosen Lage, und vor allem Torwart Benjamin Büchel empfahl sich für die Erhebung in den Adelsstand, weil er nicht an den vielen Einschlägen verzweifelte, nicht mal an Müllers Gurkentor. Tipp für Bundesligisten mit Torwartsorgen: Büchel ist 32 und gehört dem FC Vaduz an. Von seinem Kollegen Manuel Neuer empfing er respektvolle Worte, und generell gab es reihum viel Schulterklopfen und Händeschütteln. Solche Spiele machten "trotzdem" Spaß, sagte Marco Reus nach der Ehrenrunde.

Beim Freizeitkick auf der Wiese hätte man die drei besten Spieler zum Gegner rübergeschickt

Als die Deutschen in der ersten Halbzeit binnen drei Minuten von 1:0 auf 4:0 erhöhten, sah es allerdings nicht so aus, als ob die Gäste Spaß hätten. Beim Freizeitkick auf der Wiese hätte man diskutiert, ob man die Teams neu wählt oder die besten drei Spieler rübergehen zur Mannschaft im Rückstand. Der Uefa wäre das natürlich nicht recht gewesen, und Hansi Flick wohl auch nicht. Er trieb seine Elf bis zum Schluss nach vorn. Der Bundestrainer wollte, dass sich das Wolfsburger Publikum und ein spezieller Ehrengast bis zum Schluss gut unterhalten fühlen: "Wir wollten dem Jogi noch mal ein schönes, attraktives Fußballspiel bieten, und das ist uns auch gelungen", sagte Flick.

Weniger gelungen fand mancher langjährige Wegbegleiter hingegen die seit Monaten avisierte Abschiedsfeier für Flicks Vorgänger Jogi Löw. Geplant war, Löw vor dem Anpfiff durch ein Spalier seiner ehemaligen Spieler zur Ehrung schreiten zu lassen. Wer jedoch fehlte, waren die ehemaligen Spieler. Sami Khedira, Mario Gomez, Lukas Podolski, Julian Draxler, Miroslav Klose und Mats Hummels bildeten ein dürftiges, beinahe kompromittierend dürftiges Geleit für den Auftritt des Mannes, der 15 Jahre die Nationalelf geleitet hatte. Die DFB-Beschäftigten Oliver Bierhoff und Benedikt Höwedes füllten die Reihen auf, der aus Lyon herbeigereiste Jérome Boateng steckte noch im Stau. Etliche andere wurden vermisst: Bastian Schweinsteiger oder auch Philipp Lahm, der am Donnerstag Geburtstag hatte. Mario Götze musste, so hieß es, einen privaten Termin einhalten, Toni Kroos dem Trainingsplan von Real Madrid genügen.

Eine Rede zur Würdigung des scheidenden Bundestrainers gab es zwar, aber nicht im Stadion vor den Augen der 26 000 Besucher und den Millionen vor den Fernsehern, sondern später im Mannschaftshotel. DFB-Interimspräsident Peter Peters sprach dort, wie erzählt wurde, "ein paar Worte" - was auch nicht gerade nach einer rührenden Szene klingt. Feuerwerk und Blaskapelle im Stadion wären vielleicht nicht nach dem Geschmack des in eigener Sache eher reservierten Löw gewesen, aber ein bisschen fröhlicher und lebendiger hätte das Ganze ruhig sein dürfen. So hatte man den Eindruck einer irgendwie verklemmten Veranstaltung, die im Kontrast mit dem inspirierten 9:0 seines Ex-Teams umso trostloser wirkte. Einen spaßigen Akzent im Defilee setzte eigentlich nur der karierte Mantel von Mats Hummels, und natürlich hat Lukas Podolski darüber am lautesten gelacht.

Von 31 Spielern bleiben Flick für die Reise nach Armenien noch 19

Während Löw am Freitag erst mal in sein Privatleben zurückkehrte, organisierte sein Nachfolger die nächste Dienstreise. Das Aufgebot für den Trip nach Armenien hat Hansi Flick noch mal zusammengestrichen, von den insgesamt 31 Mann, die er im Laufe der turbulenten Tage einberief, bleiben ihm noch 19. Die vielbeschäftigten Manuel Neuer und Marco Reus bekommen Sonderurlaub, Antonio Rüdiger fliegt nicht mit, weil er wegen einer Gelbsperre ohnehin nicht spielen dürfte, und Leon Goretzka kehrt nach München zurück, um sich von dem attentatsartigen Tritt seines liechtensteinischen Gegenspielers zu erholen. Flick versicherte, man fahre "mit absoluter Vorfreude" nach Eriwan. Noch ein weiterer Sieg im letzten Pflichtspiel des Jahres, und der immer noch neue Bundestrainer Flick darf sich eine Schärpe umbinden. Aufschrift: Sieben auf einen Streich.

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