Eishockey-Finale:Deutschland verliert - trotzdem ist diese WM ein historischer Erfolg

Eishockey-Finale: Kanada ist Kanada - aber Deutschland fährt nicht mehr zu Eishockey-Weltmeisterschaften, um zu verlieren.

Kanada ist Kanada - aber Deutschland fährt nicht mehr zu Eishockey-Weltmeisterschaften, um zu verlieren.

(Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Das deutsche Eishockey-Team unterliegt im Finale der Weltmeisterschaft Rekordchampion Kanada 2:5 - und das trotz zweimaliger Führung. Silber bedeutet für eine selbstbewusste Mannschaft die erste Medaille seit 70 Jahren.

Von Johannes Schnitzler

Es sollte ein Tag für die Sport-Historie werden, das darf man ohne Übertreibung so sagen: Wie 1930, bei der ersten Weltmeisterschaft überhaupt, stand die deutsche Nationalmannschaft im Finale einer Eishockey-WM. Der Gegner diesmal wie damals: Kanada. Und zum ersten Mal seit 1953, so viel war gewiss, würde das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) mit einer Medaille von einer WM nach Hause zurückkehren. Die Frage war nur: einer silbernen wie zuletzt vor 70 Jahren - oder gar der goldenen?

Es wurde Silber. Deutschland verlor vor 10 470 Zuschauern in der Nokia Arena von Tampere 2:5 (1:1, 1:1, 0:3) und verpasste den ersten WM-Titel seiner Geschichte. Kanada ist mit nun 28 Titeln alleiniger Rekordchampion vor Russland. Das deutsche Team darf fünf Jahre nach dem olympischen Silber-Coup trotzdem einen der größten Erfolge seiner Geschichte verbuchen. "Der Tank ist leer", sagte Bundestrainer Harold Kreis. "Aber wir haben etwas gewonnen, nicht etwas verloren."

Der Tag erlaubte, ja er forderte die historische Einordnung. Kapitän Moritz Müller, neben Jonas Müller, Dominik Kahun und Marcel Noebels einer von vier Veteranen aus dem olympischen Finale 2018, sagte: "Mein Vater hat mir nach dem Schweden-Spiel schon geschrieben: ,Das sieht ein bisschen aus wie bei Olympia'." Zur Erinnerung: Das Spiel gegen Schweden, ihr erstes im Turnier, verlor die deutsche Mannschaft 0:1, und auch in den beiden folgenden Partien gegen Gastgeber Finnland (3:4) und die USA (2:3) zog sie den Kürzeren. Aber sie war ebenbürtig und danach gewann sie das Must-win-Spiel gegen Dänemark, legte Siege nach gegen Österreich, Ungarn und Frankreich, ehe sie im Viertelfinale die Schweiz 3:1 schlug und im Halbfinal-Krimi gegen die USA kurz vor Schluss ausglich und in der Verlängerung das 4:3 erzielte. "Im Vorfeld war der Glaube an uns aus der Heimat ja nicht allzu groß", erinnerte Müller.

Gerade das Spiel gegen die bis dahin ungeschlagenen Amerikaner, in dem das DEB-Team nach vier Minuten 0:2 zurücklag, "könnte den Charakter der Mannschaft nicht besser repräsentieren", sagte NHL-Profi Nico Sturm: Das Team habe durch die drei Niederlagen früh verinnerlicht, "durch diese Phasen, in denen es scheinbar nicht so gut für uns läuft, durchzugehen". Er würde "die Jungs gerne alle adoptieren", schwärmte Bundestrainer Kreis, der schon nach dem Erfolg gegen die Schweiz Tränen in den Augen hatte. Vor dem Finale sagte er: "Man sieht, was die Jungs leisten, sieht, welchen emotionalen und körperlichen Einsatz sie bringen. Das lässt einen nicht kalt."

Deutschland führt. Im Finale. Gegen Kanada

Gegen Kanada, das im Durchschnitt größte und schwerste Team dieser Weltmeisterschaft, versuchten die Deutschen ihre Geschwindigkeit zu nutzen. Und sie fackelten nicht lange. NHL-Profi John Peterka veredelte einen Traumpass von Moritz Seider zu seinem sechsten Turniertor (8. Minute) - man muss das noch mal hinschreiben: Deutschland führte! Im WM-Finale!! Gegen Kanada!!!

Aber auch die Kanadier waren flott unterwegs: Drei Minuten später glich Samuel Blais aus.

Eishockey-Finale: Doppeltorschütze im Finale: Der Kanadier Samuel Blais feiert hier das zwischenzeitliche 1:1.

Doppeltorschütze im Finale: Der Kanadier Samuel Blais feiert hier das zwischenzeitliche 1:1.

(Foto: Joel Marklund/Imago)

Mental stark bleiben, Ruhe bewahren: Diese Erfahrung hatten die Deutschen mit ins Finale genommen. Weder vom Gegentor noch von der zunehmenden kanadischen Härte wollten sie sich beeindrucken lassen. Die Kanadier sollten besser gut vorbereitet ins Spiel kommen, hatte Samuel Soramies das neue deutsche Selbstbewusstsein formuliert: "Wir werden es sein!"

Die Kanadier hatten eine der nominell unscheinbarsten Mannschaften der vergangenen Jahre nach Finnland und Lettland geschickt. Ihr bekanntester Spieler ist Kapitän Tyler Toffoli, 31, Weltmeister 2015 von den Calgary Flames, ihr talentiertester Adam Fantilli, 18, ein College-Spieler. Trotz geringer Prominenz und Niederlagen gegen die Schweiz und Norwegen hatte sich die Mannschaft von André Tourigny, Chefcoach des NHL-Klubs Arizona Coyotes, zum vierten Mal nacheinander ins WM-Finale durchgespielt. Kanada ist immer noch Kanada.

Deutschland geht abermals in Führung - aber Kanada nutzt ein Powerplay

Aber Deutschland ist nicht mehr jenes Deutschland, das zu Weltmeisterschaften fuhr, um nicht zu verlieren. "Wir spielen, um zu gewinnen", sagte Kreis. Im zweiten Drittel verstanden es die Kanadier zwar besser, die Deutschen von ihrem Tor fernzuhalten. Aber wenn sich die Chance bot, war das DEB-Team da: Daniel Fischbuch nutzte eine der wenigen Möglichkeiten schnörkellos zum 2:1 (34.). Zweites Turniertor für den künftigen Mannheimer, der vier Gruppenspiele von der Tribüne aus verfolgt hatte und nun zum gefeierten Helden aufsteigen sollte? Aber Kanada antwortete wieder: Powerplay, Lawson Crouse, 2:2 (38.).

"Solange wir weiter stoisch unseren Stiefel runterspielen, geben wir uns die beste Chance", sagte Sturm in der Pause bei Sport1. Ruhig bleiben. Wir haben nichts zu verlieren. Nur zu gewinnen.

Im Schlussdrittel zieht der Favorit uneinholbar davon

Aber dann misslang Maksymilian Szuber ein einfacher Pass und Mathias Niederberger im Tor bekam die Scheibe nicht zu fassen, und diesmal waren die Kanadier zur Stelle: 2:3, wieder durch Blais (45.). Zum ersten Mal waren die Deutschen im Rückstand. Und als sie gerade ausgeschwärmt waren, erhöhte Toffoli im Konter auf 2:4 (52.).

Die Zeit lief den Deutschen nun davon, und als Kreis den Torwart für einen sechsten Feldspieler opferte, brachte Scott Laughton (59.) Kanada uneinholbar nach vorne. "Die Kanadier haben es sehr einfach gehalten und unsere Fehler eiskalt ausgenutzt", sagte Niederberger. "Trotzdem haben wir ein Wahnsinnsturnier gespielt und können stolz sein."

Der Tag hatte mit einem anderen, zumindest für WM-Co-Gastgeber Lettland historischen Ereignis begonnen: Die Mannschaft von Trainer Harijs Vitolins bezwang wie am Vortag die Deutschen die USA nach Verlängerung 4:3 und holte sich zum ersten Mal eine WM-Medaille: Bronze.

Ein zweites erstes Mal sollte es am Abend nicht geben.

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