DFB-Elf gewinnt 4:2 gegen Griechenland:Deutschland wackelt nur sechs Minuten

Joachim Löws Wechselspiel ist geglückt: Im Viertelfinale gegen Griechenland wird die deutsche Elf ihrer Favoritenrolle gerecht - und wankt nach dem griechischen Ausgleich nur kurz. Philipp Lahm, Sami Khedira, Miroslav Klose und Marco Reus schießen vier sehenswerte Tore. Im Halbfinale kommt es zum Duell mit England oder Italien.

Boris Herrmann

Philipp Lahm schießt selten To-re. Aber wenn er trifft, ist es meistens wichtig. So wie am Freitag beim 4:2 (1:0) gegen Griechenland in Danzig. Wenn man so will, hat Lahm dort die EM für die deutsche Mannschaft zum zweiten Mal eröffnet. Nach 39 Minuten schoss er jenes sogenannte Costa-Rica-Tor, mit dem er schon einmal die WM 2006 im eigenen Land in Schwingungen versetzt hatte. Er kam von links, legte sich den Ball auf rechts und zirkelte ihn an Torhüter Michalis Sifakis vorbei ins lange Eck.

135899626

Miroslav Klose und Philipp Lahm freuen sich über das 4:2 in Danzig gegen Griechenland.

(Foto: AFP)

Es war der Schuss, der Deutschlands Weg ins Halbfinale ebnete, wenngleich noch ein weiterer wichtiger Schuss von Sami Khedira (61.) sowie ein Kopfball von Miroslav Klose (68.) nötig waren, um die zähen Griechen tatsächlich zu bezwingen. Erst mit dem vierten Treffer von Marco Reus begann für das Team von Bundestrainer Joachim Löw der Wellness-Teil dieses Viertelfinales.

Neben dem beeindruckenden Torreigen in der zweiten Hälfte hatte das deutsche Team pünktlich zur K.o-Runde mit einer ganzen Reihe von wegweisenden Neuerungen aufgewartet. Zum einen war endlich auch einmal Bundeskanzlerin Angela Merkel live im Stadion dabei, die ein "Edel-Fan" (O-Ton Khedira) der Nationalmannschaft ist, seit Lahm das Original-Costa-Rica-Tor schoss.

Zum anderen würfelte Löw, der als "Edel-Fan" der Kanzlerin bezeichnet werden darf, seine Startelf überraschend stark durcheinander. Im Sturmzentrum ersetzte beim ersten DFB-Auftritt auf polnischem Boden der in Polen geborene Klose den bislang treffsicheren (aber in Riedlingen geborenen) Mario Gomez. Man hätte das als kleines Heimspielgeschenk für Klose interpretieren können, wäre nicht gleichzeitig der ebenfalls in Polen geborene Lukas Podolski aus der ersten Elf gepurzelt.

Für ihn durfte André Schürrle auf dem linken Flügel beginnen, während Torschütze Reus auf der anderen Seite für Thomas Müller einsprang. Löw hatte in der Vorrunde stets auf die gleiche Stammformation gesetzt. Es war, als ob er nun den Griechen und der ganzen Welt mit diesem gewaltigen Umbaumanöver mitteilen wollte: Was wir bisher gezeigt haben, war noch längst nicht alles!

Und siehe da, die Griechen schienen tatsächlich beeindruckt zu sein. Sie ver-masselten direkt den Anstoß, er musste wegen Fehlstarts wiederholt werden. Im 100-Meter-Lauf wären sie dafür disqualifiziert worden. Im Fußball durften sie zum Glück weitermachen. Es lohnte sich, es folgte nämlich ein höchst ereignisreiches Spiel. Die Deutschen, auch das war eine Viertelfinal-Innovation, begannen zunächst mit einer Art Sumo-Ringer-Taktik: Erst im Stehen abwarten, dann plötzlich angreifen.

Kopie der Lahmschen Costa-Rica-Kopie

Um ein Haar hätte das zu zwei schnellen Tore geführt. Klose stand bei seinem Blitztreffer allerdings im Abseits. Der Warnschuss von Reus strich am Pfosten vorbei. Aber auch so wirkte die Hereinnahme von Reus und Klose schon vor ihren späteren Toren erfrischend. Sie gaben der DFB-Auswahl ihren zuletzt eher spärlich eingesetzten Erlebnisfußball zurück.

Alles politisch korrekt

Griechenlands Angreifer Giorgos Samaras verfolgte derweil die Strategie, das deutsche Erlebnismittelfeld beizeiten krankenhausreif zu treten. Zweimal wälzte sich Khedira im Gras, beim dritten Samaras-Foul erwischte es Bastian Schweinsteiger. Merkel hatte kurz vor Spielbeginn noch politisch korrekt verkündet: "Wir wollen gewinnen, und ansonsten leben wir gut miteinander." Samaras hatte wohl nicht zugehört. Nach 13 Minuten sah er die berechtigtste Blitz-Gelbe-Karte der Turniergeschichte.

Der Abend hatte auch im weiteren Verlauf wenig Zeit durchzuatmen. Die Griechen beteiligten sich zwar nicht wirklich am Spiel, sie wagten aber aus ihrer Passi-vität heraus mehr Offensivaktionen als man ihnen zugetraut hätte. Einen Schuss von Sotiris Ninis, den manche als den hellenischen Messi bezeichnen, erwischte DFB-Keeper Manuel Neuer erst im Nachfassen (30.). Neun Minuten später versetzte dann der Linksverteidiger Lahm dem minimalistischen griechischen EM-Traum den ersten Dämpfer. Nach seinem 1:0 war das Team von Fernando Santos zum Handeln gezwungen. Von den Deutschen heißt es bekanntlich, sie mögen es, wenn ihre Gegner auch mal mithandeln.

Man hatte das bislang allerdings nicht so verstanden, dass sie deshalb vor lauter Spielfreude gleich in einen Konter laufen würden. Der EM-Startelfdebütant Schürrle, der kurz vor dem Halbzeitpfiff noch fast mit einer Kopie der Lahmschen Costa-Rica-Kopie erfolgreich gewesen wäre, leistete sich kurz nach der Pause einen kapitalen Ballverlust. Dimitris Salpingidis nahm das Geschenk auf, spurtete über den halben Platz und legte Samaras zum Ausgleichstreffer auf (55.).

Jetzt waren die Deutschen wieder zum Handeln gezwungen. Das lag ihnen besser an diesem Abend. Diesmal ging die Initiative vom Rechtsverteidiger Jérôme Boateng aus. Dessen Flanke nahm der gewohnt eindrucksvolle Sami Khedira direkt aus der Luft und drosch ihn gemeinsam mit dem gesamten Frust über den Gegentreffer in die Maschen.

Als Klose ein paar Minuten später einen Freistoß von Mesut Özil aus kurzer Distanz unbewacht ins Tor köpfeln konnte und Reus wenig später den Ball ähnlich wuchtig wie zuvor Khedira zum 4:1 unter die Latte schoss, war das zweite deutsche Eröffnungsspiel entschieden. In der Schlussminute traf Salpingidis noch vom Elfmeterpunkt zum 4:2. Und jetzt erinnerte auch das Ergebnis stark an das Costa- Rica-Spiel von 2006.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: