Deutschland gegen Spanien:Fast so flott wie ein Finale

Deutschland gegen Spanien: Mesut Özil (l.) im Zweikampf: Starkes Länderspiel zwischen Deutschland und Spanien

Mesut Özil (l.) im Zweikampf: Starkes Länderspiel zwischen Deutschland und Spanien

(Foto: AFP)
  • Thomas Müller steuert gegen Spanien den Ausgleich nach früher Führung der Gäste bei.
  • Am Ende hätte das Spiel zu beiden Seiten kippen können.
  • Das 1:1 bringt die Erkenntnis, dass etwas dran ist an Joachim Löws Mahnung, man werde bei der WM "Unmenschliches" zur Titelverteidigung leisten müssen.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Für den Bundestrainer Joachim Löw ist die spanische Nationalmannschaft eine exklusive Auswahl aus den drei Spitzenklubs Real Madrid, FC Barcelona und Atlético Madrid, sozusagen das Beste vom Besten. "Von Real haben sie die Dynamik, von Barcelona den Ballbesitz und von Atletico das aggressive Pressing", lobt Löw, weshalb sich am Freitagabend in der Düsseldorfer Arena die Expertenfrage stellte, wie man solch eine Fußballmannschaft überhaupt besiegen kann. Antwort: zurzeit gar nicht.

Seit die Spanier im Achtelfinale der EM 2016 gegen Italien ausgeschieden sind, haben sie kein Spiel mehr verloren. Als 17. Kontrahent in dieser Reihe versuchte sich die deutsche Auswahl, scheiterte aber an dem Unterfangen und musste sich mit einem gleichwohl hochklassigen 1:1 (1:1) begnügen. Das war aber auch insofern ein gefühlter Triumph, als die deutsche Mannschaft ja selbst seit dem Halbfinal-Aus bei der EM gegen Frankreich in nunmehr 22 Spielen nicht mehr verloren hat. Thomas Müller steuerte diesmal den Ausgleich nach früher spanischer Führung bei. Am Ende hätte das Spiel zu beiden Seiten kippen können.

Für diese viertletzte Testpartie vor der Weltmeisterschaft in Russland hatte man sich natürlich absichtlich eine besonders schwierige Aufgabe ausgesucht. Man gewann, wenn schon nicht das Spiel, so zumindest die Erkenntnis, dass etwas dran ist an Löws dramatisch anmutender Mahnung, man werde bei der WM "Unmenschliches" zur Titelverteidigung leisten müssen. Zur weiteren Stärkung solcher Fähigkeiten soll das drittletzte Testspiel am Dienstag gegen Brasilien in Berlin herhalten. Verlieren sie auch diese Partie nicht, dann hat Löw einen 38 Jahre alten Rekord des Bundestrainers Jupp Derwall mit 23 Spielen ohne Niederlage eingestellt.

Fehlstart in der sechsten Minute

Sieben Spieler aus der Luxusselektion - drei von Real, drei von Barcelona, dazu Koke von Atlético - standen in der spanischen Startelf. Löw bot mit dem Torwart Marc-André ter Stegen und dem Mittelfeldmann Toni Kroos zwei Spezialkräfte auf, die den spanischen Fußball prächtig verinnerlicht haben. Kroos spielt bei Real, ter Stegen bei Barcelona, und während sie sich im Laufe einer Saison gegenseitig sonst eher weniger Glück wünschen, hielten sie diesmal zusammen. Ter Stegen wird mit Barcelona ziemlich gewiss Meister, Kroos und Real sind zurzeit nur Dritter hinter Atlético.

Die deutsche Mannschaft war zwar nicht mit optimaler Betriebstemperatur ins sogleich flotte Länderspiel gegangen, dafür aber mit total gutem Gewissen, denn ihre Aufwärmshirts bestanden aus Fasern wiederaufbereiteter Plastikabfälle von den Malediven. Ihre Trikots hingegen waren dann aus gutem altem Polyester, aber das bewahrte sie nicht vor einem kapitalen Fehlstart. Die im besten Sinne ballverliebten und geschmeidig zirkulierenden Spanier gingen nämlich bereits in der 6. Minute in Führung, als Andreas Iniesta einen zuckersüßen Steilpass durch die grobmaschige deutsche Abwehr schmuggelte und damit Rodrigo Moreno erreichte, der Marc-André ter Stegen keine Chance ließ. "Eviva Espana", sangen die auswärtigen Fans in ihrem Eckblock und hatten bis hierher vollkommen Recht.

Dabei hatte Löw gegen den Weltmeister von 2010 seine nominell wohl stärkste Startelf aufgeboten. Von den elf Akteuren waren vor vier Jahren nur ter Stegen, Joshua Kimmich, Jonas Hector und Timo Werner nicht Weltmeister geworden. Jérôme Boateng, Mats Hummels, Toni Kroos, Thomas Müller und Mesut Özil hatten auch im Finale in Rio in der Anfangsformation gestanden, aber im Gegensatz zu damals fehlte ihnen diesmal weitgehend die defensive Stabilität.

Zwei Teams, die die WM auch in der finalen Phase mitgestalten könnten

Während die spanische Liga schon wegen ihrer immigrierten Heroen Cristiano Ronaldo (Portugiese bei Real) und Lionel Messi (Argentinier bei Barca) in Deutschland auf größtes Interesse stößt, schauen die Spanier eher keine Bundesliga. Das hatte Toni Kroos vor dem Spiel verraten, diese triste Mitteilung allerdings mit dem tröstlichen Zusatz versehen: "Vor unserer Nationalmannschaft haben sie aber schon Respekt." Und so gehört sich das ja auch. Deutschland ist schließlich noch immer amtierender Weltmeister, und als solcher versteht man sich auch dann aufs Toreschießen, wenn man nur schwer in des Gegners Strafraum gelangt. Nach 35 Minuten hatte Thomas Müller aber vorübergehend mal keine Lust mehr auf dieses Hin und Her vor dem spanischen Strafraum und drosch den Ball spontan aus 20 Metern in den Winkel.

Aber es war auch nicht so, als ob sie den spanischen Torwart David de Gea fortan nicht zu beschäftigen bereit gewesen wären. Timo Werner ließ sich wiederholt als Empfänger mutiger Vertikalpässe einbinden, und als Julian Draxler kurz nach der Pause dachte, dass man sich für Fernschüsse nicht zu schämen braucht, musste ManUnited-Keeper de Gea seine ganzen 193 Zentimeter Körperlänge in die rheinische Abendluft werfen.

Jetzt, aber auch wirklich erst jetzt, war die deutsche Elf das bessere Team. Auch dass Sami Khedira nach 50 Minuten angeschlagen vom Feld musste und durch Ilkay Gündogan ersetzt wurde, bedeutete keine qualitative Wertminderung. Gündogans ersten Torschuss kratzte Torwart de Gea soeben noch von der Linie.

50 653 Zuschauer ließen sich von einem endlich mal wieder ausverkauften Länderspiel mitreißen. Mitte der zweiten Halbzeit warfen die Zuschauer auf den Rängen reihum die Arme hoch, weil ihnen gar so gut gefiel, was sie sahen. Die Partie gab einen aufdringlichen Hinweis darauf, welche zwei Mannschaften die WM in Russland auch in der finalen Turnierphase noch kreativ mitgestalten könnten.

In der 65. Minute war die deutsche Mannschaft dann sogar ganz nah dran an einem Sieg, als Kroos einen Freistoß in den Strafraum lupfte und dort Hummels antraf, dessen Kopfball aber nur auf die Latte des spanischen Tors tropfte. Den Zuschauern war dieses klitzekleine Manko aber keinen Pfiff wert. Sie applaudierten sich nach dem Schlusspfiff die Finger wund.

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