Deutschland gegen Polen:Gefahrloses Wechselspiel

Länderspiel Deutschland - Polen

Wenige Fehler, wenig Risiko: Christoph Kramer (l.) im Duell mit Arkadiusz Milik.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

Beim Länderspiel gegen Polen lässt Bundestrainer Löw zwölf Neulinge debütieren. Die junge Mannschaft tritt souverän auf, lässt aber den Mut zum Risiko vermissen. Die Hoffnung, dass mancher davon für eine WM-Überraschung sorgt, hat das 0:0 nicht gerade beflügelt.

Viel war an diesem Abend die Rede davon, was nun zu sehen war und was nicht. Seit Tagen bestimmt der Fußball die Gespräche in der Hansestadt, doch dieses 0:0 dieser recht unbekannten Mannschaft am Dienstagabend, das sorgte dann doch für Verwirrung.

Zunächst, weil die Verantwortlichen dieser jugendlichen Truppe beim Training am Millerntor darauf bestanden, einen auf Beton gepinselten antifaschistischen Spruch fein säuberlich zu verhängen, um auf Fotos keine politische Aussage hinter sich zu haben, was Proteste des explizit politischen Gastgebers FC St. Pauli nach sich führte.

Am Dienstag dann liefen also zwei Tage vor dem Relegationsspiel des Hamburger SV gegen Fürth elf junge Männer über den Rasen der HSV-Arena, die die meisten im Publikum nur mit Hilfe des Stadionhefts zuordnen konnten. Gleich acht Neulinge schickte Bundestrainer Joachim Löw zum Testspiel gegen Polen aufs Feld, weil 20 Profis seines vorläufigen 30-köpfigen WM-Kaders noch anderweitig in der Pflicht stehen. Eine derartige Debütantenflut in der deutschen Nationalelf hatte es zuletzt 1950 gegeben.

Wenige Tage vor Relegation, Pokal- und Champions-League-Finale sollte Polen also die Gelegenheit bieten, den Kader für die Weltmeisterschaft in Brasilien weiter festzuzurren. Polen? Jaja, da war noch ein Gegner an diesem Abend, ohne den das Spiel nun mal nicht funktioniert.

Die Nachbarn traten allerdings selbst mit Personalproblemen an, das Dortmunder Trio aus Robert Lewandowski, Lukasz Piszczek und Jakub Blaszczykowski etwa hat ebenso wie die deutschen Nationalspieler aus Dortmund und München noch ein Pokalfinale vor sich. Der Mainzer Eugen Polanski wiederum hat derzeit noch eine Dienstreise mit der TSG Hoffenheim in Indien zu absolvieren, wo er am Dienstag beim 3:0 gegen eine Bundesstaat-Auswahl in Aizawl einen Treffer beisteuerte.

Ob Hamburg, Polen oder Indien - Hauptsache, am Ende kommt Brasilien dabei heraus, mag der Bundestrainer sich gedacht haben, als er seine Gedanken für dieses Testspiel sortierte. Zum Anpfiff bildeten so Antonio Rüdiger, Shkodran Mustafi, Matthias Ginter und Oliver Sorg die Debütanten-Abwehrkette, davor erlebten auf der Doppelsechs Sebastian Rudy und Christoph Kramer ihr erstes Länderspiel, genauso wie Leon Goretzka und Max Meyer, die mit Julian Draxler - dem mit 20 Jahren jüngsten Kapitän der Nationalmannschaftsgeschichte - eine Schalker Mittelfeld-Offensive bildeten.

Davor durfte erstmals Kevin Volland als Nationalstürmer auflaufen. Nur Torhüter Ron-Robert Zieler hatte neben Draxler und Ginter zuvor schon Länderspielerfahrung gesammelt, entsprechend zaghaft wirkte es, was Löws Jugend-Auswahl in der ersten Halbzeit bot. Es sah zwar recht sicher aus, wie sich die Spieler den Ball zupassten, doch eben auch etwas langweilig. Immerhin kam Draxler zu einem Torschuss (13.), bevor Polens Klich den ansonsten unterbeschäftigten Zieler zu einer Parade zwang (30.). Am meisten Aufregung brachte ein Kopfball von Rüdiger (32.), den Polens Peszko auf der Linie klären konnte.

Zu wenig eingespielt

Nach der Pause kam auch André Hahn zu seinem Debüt und damit zu der Chance, sich als Überraschungsgast noch für die WM zu empfehlen. Dazu bereicherte die Defensive jetzt Benedikt Höwedes, mit nun 19 Länderspielen der mit Abstand erfahrenste Akteur des Abends. Auch Marc-André ter Stegen, der das Ringen um den Platz als dritter WM-Torhüter gegen Zieler verloren hat, durfte diesen für die zweite Halbzeit ersetzen.

Hahn immerhin versuchte nun, durch druckvolles Anlaufen Räume zu schaffen für Offensivaktionen, kurz vor dem Abpfiff war es auch der 23-Jährige vom FC Augsburg, der Polens Abwehr mit einem Seitfallzieher zur ersten brenzligen Abwehraktion nötigte (84.). Die Torgefahr aber hielt sich an diesem Abend in Grenzen, selbst Draxler ging als einer von vielen weißen Trikotträgern unter.

Erst einmal, am 5. April 1908, hatte es derart viele deutsche Nationalspieler-Premieren gegeben: Beim Gründungsspiel der Nationalelf gegen die Schweiz.

Zu wenig eingespielt, zu unsicher die Abläufe, zu unbekannt die Nebenmänner - die deutschen Frischlinge auf dem Hamburger Rasen hatten einen denkbar schweren Stand bei diesem Test und dazu den Druck, dem Bundestrainer einen Beweis liefern zu wollen. Den Beweis nämlich, dass es doch eine gute Idee sein könnte, den einen oder anderen der Jungen ins WM-Trainingslager ins Passeiertal mitzunehmen, um ihn weiteren Tests in der dann erfahrenen Gruppe zu unterziehen.

Allzu lange jedenfalls will Löw nicht mehr überlegen, schon Mittwochvormittag will der Bundestrainer die 25 Spieler benennen, die er mit nach Südtirol nimmt, ins Trainingslager vom 21. bis 31. Mai. Nach der ersten kompakten Vorbereitung, in der dann nur noch Real Madrids Sami Khedira großteils fehlen wird, hat Löw dann noch bei den beiden Testspielen am 1. Juni gegen Kamerun (in Mönchengladbach) und am 6. Juni gegen Armenien (in Mainz) Gelegenheit, letzte Varianten auszuprobieren, bevor es tags darauf am 7. Juni in den Flieger nach Brasilien geht.

"Das war ja fast schon eine U21, mit der wir heute gespielt haben", resümierte Julian Draxler, "aber dafür hat die Mannschaft das ordentlich gemacht." Der Bundestrainer jedenfalls bemühte sich zu versichern: "Mir hat es Spaß gemacht." Er denke perspektivisch, erklärte Joachim Löw und eröffnete seinen tapferen Debütanten die Aussicht auf neue Chancen: "Bei der EM 2016 oder der WM 2018, da bin ich überzeugt, werden wir den einen oder anderen wiedersehen."

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