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Fußball-EM - Deutschland gegen Griechenland:Doppelt verzwicktes Viertelfinale

Die Partie zwischen Deutschland und Griechenland ist ein Politikum - aber auch sportlich tückisch. Es ist ja nicht zu leugnen, dass weite Teile des Publikums die griechische Elf genauso gering schätzen wie die Lage der griechischen Wirtschaft. Dass Angela Merkel im Stadion sein wird, kann dafür sorgen, dass von dem Spiel etwas Verbindendes ausgeht.

Philipp Selldorf

Viele Fragen, die dem Bundestrainer und den deutschen Spielern in dieser Woche bei ihren Begegnungen mit der nationalen und internationalen Presse gestellt wurden, schleppten politisches Gewicht mit sich. Ein niederländischer Journalist etwa wollte von Joachim Löw wissen, ob die Deutschen sich Gedanken darüber gemacht hätten, dass es problematisch sein könnte, sich für die Dauer des Turniers in Danzig niederzulassen.

Schließlich könnten sich manche Polen provoziert fühlen, nachdem die Deutschen am 1. September 1939 durch den Angriff auf ein Munitionslager in der Danziger Bucht den Zweiten Weltkrieg eröffnet hatten.

Als Löw das hörte, wurde seine Miene sehr ernst, aber auch sehr abweisend, und er beantwortete die Frage, bevor der Journalist sie zu Ende geführt hatte: "No!", sagte er auf Englisch. Nicht eine Minute lang hätte man solche Bedenken gehabt. "We are happy here!"

Die Vereinnahmung des Sportlichen durch das Politische ist ein Prozess, den die Nationalspieler und die Leute beim DFB akzeptieren müssen. Sie können sich dagegen nicht wehren, sie können sich nur dafür wappnen. Trotzdem bedeutet es nicht nur für die Fußballer eine ständige Herausforderung, keine Fehler aus Unwissenheit oder Leichtsinn zu begehen, die in öffentliche Debatten und Staatsaffären münden könnten.

Beim Spiel gegen Griechenland mischen sich obendrein die Milieus, die Partie enthält doppelt Potenzial für Konflikte: Sie ist ein Politikum wie auch sportlich tückisch. In Griechenland wird die Begegnung mit Deutschland revanchistisch aufgeladen, während sie in Deutschland durch die weit verbreitete sportliche Geringschätzung des Gegners belastet wird.

Es ist ja nicht zu leugnen, dass weite Teile des Publikums die Stärke der griechischen Elf nicht viel höher schätzen als die der griechischen Wirtschaft. Dass das Treffen mit den Griechen als eine Art Freilos fürs Halbfinale angesehen wird, haben die deutschen Spieler mitbekommen. Sie haben es in ihren Statements aber nie an Respekt fehlen lassen. Im deutschen Lager ist allen bewusst, dass das K.o.-Spiel gegen den Außenseiter fürs eigene Renommee mindestens so brisant ist, wie es die Spiele gegen die Spitzenteams Portugal und Holland waren.

Möglich, dass Angela Merkel auf der Ehrentribüne neben dem neuen griechischen Regierungschef Antonis Samaras sitzen wird. Auch ihre Gegenwart kann dafür sorgen, dass von dem Spiel etwas Verbindendes statt etwas Trennendes ausgeht.

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SZ vom 22.06.2012/jüsc
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