Deutschland gegen Brasilien:Löw wird zum Tiger

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  • Die deutsche Nationalmannschaft verliert in Berlin 0:1 gegen Brasilien.
  • Nach einer A-Leistung mit der A-Elf gegen Spanien vier Tage zuvor reicht es gegen Brasilien mit einer B-Elf nur zu einer C-Leistung.
  • Das wurmt Bundestrainer Joachim Löw, der am Spielfeldrand Laufwege eines Raubtiers im Käfig zeigt.

Von Ulrich Hartmann, Berlin/München

Nach der zuvor letzten Niederlage der deutschen Mannschaft hatte Joachim Löw im Keller des Stade Vélodrome in Marseille gesessen und derart dunkle, müde Augen gezeigt, dass die Journalisten besorgt wissen wollten, ob er zurücktritt. Der Bundestrainer ließ das damals offen, er war nach dem Halbfinal-Aus bei der Europameisterschaft zu müde, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Dieser 7. Juli 2016 ist fast zwei Jahre her. Seither hatte sein Team keine Partie verloren - bis Dienstagabend. Das 0:1 (0:1) gegen Brasilien bedeutet die erste Niederlage nach 22 Länderspielen. Dadurch verpasste es die Mannschaft, eine historische Serie fortzusetzen, wie sie einer deutschen Auswahl nur ein Mal gelang: von 1978 bis 1981 unter dem Trainer Jupp Derwall.

Löw hat zwar keine dunklen, müden Augen mehr, aber gestrahlt hat er auch nicht, zweieinhalb Monate vor WM-Beginn in Russland. Nach einer A-Leistung mit der A-Elf gegen Spanien vier Tage zuvor reichte es gegen Brasilien mit einer B-Elf nur zu einer C-Leistung. Weder vor noch nach Brasiliens Führungstor (38.) brachte Löws Elf offensiv etwas zustande. Zerknirscht zog sich Löw zwischendurch den Kragen seines Rollis übers Gesicht.

"Das war heute nicht unser Tag", fasste er später das Erlebte zusammen. Anschließend sandte er Botschaften aus, ohne Namen zu nennen: "Heute waren ein paar junge Spieler auf dem Platz, die ihre Erfahrungen gemacht haben und daraus ihre Lehren ziehen werden. Zudem hat bei vielen Spielern die Körpersprache nicht gestimmt." Ähnlich scharf ging Real-Madrid-Profi Toni Kroos mit den Kollegen ins Gericht: "Dabei standen einige Spieler auf dem Platz, die sich zeigen konnten, das haben sie nicht gemacht.

Das ist ärgerlich." Nach dem 1:1 gegen Spanien hatte der Bundestrainer seine Startelf auf sieben Positionen verändert. Er hatte ja schon vor beiden Spielen angekündigt, nahezu dem gesamten Kader Einsatzzeiten geben zu wollen. Und so machte er es auch. Im Tor stand neu Kevin Trapp, in der Abwehr fanden sich Antonio Rüdiger und Marvin Plattenhardt wieder, im Mittelfeld Ilkay Gündogan, Leon Goretzka, Leroy Sané - zentral im Sturm erkannte man Mario Gomez.

Es ist luftiger im Mittelfeld

Von den elf deutschen Startspielern waren 2014, beim legendären 7:1 im WM-Halbfinale in Belo Horizonte, nur Jerôme Boateng, Toni Kroos und Julian Draxler dabei gewesen. In Brasiliens Startreihe hatten mit Marcelo, Fernandinho, Paulinho und Willian aber auch nur vier Spieler eine konkrete Erinnerung an jenen 8. Juli von Belo Horizonte. Wenn dies also wirklich eine Revanche gewesen sein sollte, dann war es nur eine kleine - drei gegen vier. In Südamerika sah mancher dieses Spiel dann auch eher als eine Art Konfrontationstherapie. Wer vom Hai gebissen wird, soll ja möglichst schnell wieder ins Wasser, allerdings mussten die Brasilianer 44 Monate auf diese Wiederbegegnung mit den Deutschen warten, und da zählte auch nicht, dass Brasiliens Olympiateam 2016 das Finale im Maracana-Stadion von Rio gegen das deutsche Olympiateam gewann. Olympia war außer der Reihe.

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Nach dem bemerkenswert schnellen, räumlich engen und extrem umkämpften Spiel des 2014er Weltmeisters Deutschland gegen den 2010er Weltmeister Spanien am Freitag in Düsseldorf war beim Duell mit Brasilien auf Anhieb zu sehen, dass es im Mittelfeld viel luftiger war. Dass es langsamer zuging und dass das Pressing keine so große Rolle spielte wie kurz zuvor. Die Brasilianer zelebrieren mit ihrer individuellen Qualität ja geradezu eine gewisse Gemächlichkeit, aus der aber sehr plötzlich große Gefahr hervorgehen kann.

Trapp, Ersatztorwart von Paris St. Germain, bekam zunächst trotzdem nicht viel zu tun, weil den brasilianischen Vorstößen jede Präzision fehlte. Die deutsche Elf bemühte sich gar nicht erst um Dominanz. Wie bereits gegen Spanien wurde die Eröffnungsphase verbummelt. Da scheinen auch die Kabinenansprachen mit Blick auf die WM noch geübt werden zu müssen. Mitten hinein in das Mühen der Deutschen, die Kontrolle zu gewinnen, platzte das 0:1 durch den bei Manchester City beschäftigten Gabriel Jesus. Von Plattenhardts linker Seite konnte Willian ungestört flanken, und am Fünfmeterraum köpfelte Gabriel Jesus so hart und trocken aufs deutsche Tor, dass Trapp den Ball zwar mit der linken Hand noch berührte, aber nicht verhindern konnte, dass dieser trotzdem ins Tor flog. 0:1 -Löws Blick verdunkelte sich in grauer Berliner Nacht.

Dass Löw sich die maue erste Halbzeit nicht hatte gefallen lassen wollen, wurde aus der Körpersprache der deutschen Spieler nach dem Wiederanpfiff ersichtlich. An den Problemen beim Spiel vors Tor änderte das allerdings wenig. Nach einer Stunde tauschte Löw in der Offensive drei Mal aus: So kam Lars Stindl für den enttäuschenden Leon Goretzka ins Spiel, während Julian Brandt auf der linken Seite den zu verhaltenen Sané ersetzte und Sandro Wagner den zumindest bemühten Mittelstürmer Gomez. Neuer Schwung kam zwar auf, mehr Effektivität hingegen nicht. Das wurmte Löw, der am Spielfeldrand Laufwege eines Raubtiers im Käfig zeigte.

Nach 68 Minuten musste Boateng hinaus, weil er eine Viertelstunde zuvor einen Tritt in die Wade bekommen hatte. Niklas Süle ersetzte ihn, musste sich hinten allerdings nur noch einiger Konter erwehren. Die Musik spielte vorne, wo Timo Werner zehn Minuten vor Schluss für Gündogan kam und die Schlussoffensive einläutete. Vergeblich. Mit dem Abpfiff war das Ende von Löws schöner Serie besiegelt.

© SZ vom 28.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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