EM-Achtelfinale:"Oh Nein! Nicht schon wieder die Deutschen!"

WM 1990 Halbfinale Deutschland - England Italien, Turin, 04.07.1990, Fussball, FIFA WM 1990 in Italien, Halbfinale, DFB; x

"Und am Ende gewinnen immer die Deutschen": England-Stürmer Gary Lineker (rechts), heute TV-Experte, im WM-Halbfinale 1990 gegen Jürgen Kohler.

(Foto: Herbert Rudel/Sportfoto Rudel/Imago)

Ende der Tränenjahre - oder die nächste Pleite? Englands Presse reagiert emotional auf das Wiedersehen mit Angstgegner Deutschland. Gary Lineker weiß vermutlich schon, wer in Wembley gewinnt.

Von Sven Haist, London

Eigentlich hätte Gary Lineker das Ergebnis vorhersehen müssen. Trotzdem konnte Englands bekanntester Fußballdeuter und früherer Weltklassestürmer am Mittwochabend in der Endphase des Spiels zwischen Deutschland und Ungarn der Versuchung nicht widerstehen, mit dem Ausscheiden des Mitfavoriten dieser EM zu kokettieren: "Ich werde verrückt! Die Deutschen sind zehn Minuten davon entfernt, nach Hause, nach Hause fahren zu müssen", kokettierte Lineker auf Twitter - ungeachtet der Tatsache, dass die Deutschen ja schon zu Hause in München waren. Zu diesem Zeitpunkt lagen sie als designierter England-Gegner fürs Achtelfinale 1:2 zurück - und wären stattdessen ausgeschieden.

Als hätte Lineker, 60, mit seiner Kurznachricht die bösen Fußballgeister gerufen, die er auf keinen Fall wecken wollte, gelang Leon Goretzka das 2:2 für die DFB-Elf - nicht mal eine Minute, nachdem Lineker seinen Tweet versendet hatte. Durch das Unentschieden kommt es nun also doch zum großen Achtelfinale im Wembley-Stadion: England gegen den viermaligen Weltmeister Deutschland. "Wir wissen ja", korrigierte sich Lineker sofort nach dem Ausgleichstor in München , "dass die Deutschen immer..."

Lineker ließ diesen Satz bewusst unvollständig stehen, weil er damit auf seinen seit Jahrzehnten zitierten Kultspruch anspielte, dass Fußball ein einfaches Spiel sei, indem 22 Männer 90 Minuten lang einem Ball nachjagen und letztlich "immer die Deutschen" gewinnen. Diesen legendären Kapitulations-Satz sagte Lineker einst nach Englands Halbfinal-Niederlage im Elfmeterschießen gegen den späteren Turniersieger Deutschland bei der WM 1990. Mittlerweile ist der Spruch zu einem Manifest geworden, er gehört zum Fußball wie ein Ball und zwei Tore.

Seit dem umstrittenen Wembley-Treffer durch Geoff Hurst, der England bei der Heim-WM 1966 im Finale gegen Deutschland in der Verlängerung zum bislang einzigen Titelgewinn führte, hat sich der Erzrivale Deutschland in K.o.-Spielen bei Welt- und Europameisterschaften (1970, 1990, 1996, 2010) tatsächlich immer durchgesetzt gegen das Mutterland des Fußballs, einmal nach Verlängerung, zweimal nach Elfmeterschießen. An diese Duelle erinnerte am Donnerstag das Massenblatt Sun vor der anstehenden Neuauflage des Klassikers - mit den jeweils entscheidenden Spielbildern von einst, darunter: der verschossene Elfmeter des jetzigen englischen Nationaltrainers Gareth Southgate bei der Heim-EM 1996. "For better or wurst", wortspielte die Boulevardzeitung in Anspielung auf die deutschen Wurstliebhaber und das englische Sprichwort "For better or worse" (im Guten wie im Schlechten). Nun sei es Zeit, findet das Blatt, endlich die "Years of Tears", die Jahre der Tränen, zu beenden. Auf der aktuellen Titelseite lag der Ball bereits auf dem Elfmeterpunkt zum Einschuss bereit. Die Schlagzeile dazu: "Wir sind bereit! Wir glauben noch dran! Trainiert, Strafstöße, Männer!" Der Mirror schreibt: "Southgate kann sich jetzt für den Herzschmerz bei der Euro 1996 rächen."

"Herr we go again"

Während auch der Telegraph schon Revanchegelüste druckte - "Her mit den Deutschen!" - fürchten sich die meisten anderen britischen Medien eher vor einer weiteren tragischen Pleite: "Oh Nein! Nicht schon wieder die Deutschen!", ächzte die erzkonservative Zeitung Daily Mail. Im Klatschblatt Express stand: "Herr we go again", mit der deutschen Anrede Herr, was bedeuten sollte: "Hier sind wir wieder." Der Sender BBC stieg sogar leicht fatalistisch in die Vorberichterstattung ein: "Es musste so kommen, nicht wahr?" Im Verlauf "zweier schwindelerregender Stunden" sei England während des letzten Vorrundenspieltags zwischen vier möglichen Gegnern (Frankreich, Portugal, Ungarn, Deutschland) herumgereicht worden, aber am Ende sei es - selbstverständlich - Deutschland geworden.

Am Dienstag wird die BBC das Spiel exklusiv auf der Insel übertragen. Moderator ist: Gary Lineker.

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