Deutschland - Elfenbeinküste:Zeigefinger statt Faust

"Der Robert hat uns zugeschaut": Beim 2:2 gegen die Elfenbeinküste gedenkt die DFB-Elf ihres verstorbenen Torhüters - und der Bundestrainer gewinnt wertvolle sportliche Erkenntnisse.

Philipp Kreutzer, Gelsenkirchen

Die meisten seiner nun 37 Tore für die deutsche Nationalmannschaft hat Lukas Podolski mit geballten Fäusten und Gebrüll bejubelt. Am Mittwochabend in Gelsenkirchen aber hob er nach seinem verwandelten Strafstoß zum 1:0 den rechten Zeigefinger in die Höhe. Auch der Blick ging nach oben, seine Lippen hatte Podolski fest zusammengepresst. "Ich bin Katholik", sagte er später, "ich gehe davon aus, dass der Robert uns zugeschaut hat. Wir haben für ihn gespielt."

Deutschland - Elfenbeinküste: Lukas Podolski bejubelt seinen Treffer nicht mit der Faust, sondern nur mit dem Zeigefinger.

Lukas Podolski bejubelt seinen Treffer nicht mit der Faust, sondern nur mit dem Zeigefinger.

(Foto: Foto: dpa)

Podolskis Jubelgeste und seine Aussage erzählen viel über den Charakter dieser Begegnung zwischen der DFB-Elf und der Elfenbeinküste, die mit 2:2 endete. Acht Tage nach dem tragischen Tod Robert Enkes war der Torhüter im Schalker Stadion allgegenwärtig.

Beide Mannschaften spielten mit Trauerflor, während der Gedenkminute und der Hymnen trugen die Ivorer T-Shirts mit einem Bild von Enke. Auf der Auswechselbank des deutschen Teams lag ein Trikot mit seinem Namenszug, unmittelbar vor dem Anpfiff erinnerte ein kurzer Film an ihn. Dazu lief der Song "You'll never walk alone".

Im Video: Stimmen aus der Mixed-Zone.

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Die Zuschauer sahen die Bilder auf dem Videowürfel über dem Spielfeld, die Spieler schauten auf zwei große Bildschirme, die vor ihnen auf dem Rasen platziert worden waren. "Sehr bewegende Momente" seien das gewesen, sagte Thomas Hitzlsperger. Mannschaftskapitän Philipp Lahm fand es "schwer, nach der turbulenten Woche ins Spiel zu finden".

Per Mertesacker, der seit seiner Zeit in der Bundesliga-Mannschaft von Hannover 96 mit Enke befreundet war, war nach Ansicht des Video-Clips "mulmig" zumute. Der Bremer sprach in den Interviews nach Spielschluss langsam und leise. Die Ursachen seiner Erschöpfung lagen aber weniger in den vorangegangenen 90 Minuten. "Die letzte Woche war hart, das war eine neue und sehr intensive Erfahrung", sagte er über die Trauerarbeit, "und ich bin noch immer darin gefangen."

Die meisten der DFB-Elf bemühten sich aber spürbar um den Blick nach vorn. "Das war der erste Schritt zurück in die Normalität. Der war nicht leicht, er ist uns aber ganz gut gelungen", meinte etwa Hitzlsperger. Bundestrainer Joachim Löw, der zuvor klargemacht hatte, es müsse "selbstverständlich weitergehen", sah seine Hoffnung erfüllt: "Es war ein sehr engagiertes Spiel von uns. Man hat gemerkt, dass die Mannschaft ein Signal an die Zuschauer geben wollte: Wir spielen wieder Fußball."

Ein Lob für Kießling

Löw war zufrieden. Anders als aufgrund der Vorzeichen zu befürchten war, konnte er im letzten Länderspiel des Jahres wenigstens ein paar wertvolle sportliche Erkenntnisse sammeln. Zum Beispiel diese: "Die Mannschaft hat zuletzt auch außerhalb des Spielfelds enorme Stärke bewiesen, und diese Stärke hat man auf dem Platz gesehen. Die Moral war sehr gut, das war für mich sehr positiv."

Deutschland zeigte in diesem Spiel deutlich mehr Leidenschaft als in den anderen bedeutungslosen Partie der jüngeren Vergangenheit. Anders als das 0:1 gegen Norwegen im Februar oder das 1:1 gegen Finnland im Oktober hatte diese Begegnung mehr Zuschauer verdient - auch aufgrund der Klasse des Gegners.

Offiziell gut 33.000 Besucher im fast halbleeren Stadion ließen sich vor allem von den beiden deutschen Angreifern überzeugen: Podolski war allein aufgrund seiner beiden Treffer in der elften Minute und in der Nachspielzeit Deutschlands Bester, sein Sturmpartner Stefan Kießling gefiel durch Beweglichkeit und Spielverständnis.

Der Leverkusener war es auch, der den Strafstoß zur Führung herausholte. "Ich wollte alles geben, das war mein Chance, und ich denke, ich habe ein recht ordentliches Spiel gemacht", sagte Kießling, der zuletzt einige Geduld hatte aufbringen müssen, nach seinem dritten Länderspiel. "Das war sehr, sehr gut", lobte Löw sogar.

Unglücklich verlief dagegen der Heimauftritt von Manuel Neuer. Der zur zweiten Hälfte für Tim Wiese eingewechselte Keeper drosch den Ball bei einem Klärungsversuch mit solcher Wucht gegen Emmanuel Eboué, dass der sich nicht einmal für sein Tor feiern lassen konnte, sondern erst einmal behandeln werden musste (57.). Während Neuer das Missgeschick nicht kommentieren mochte, nahm sein Schalker Vereinskollege Heiko Westermann eine Teilschuld auf sich: "Ich spiele ihn in der Situation vielleicht etwas hart an."

Der Gegentreffer und vier weitere Wechsel im eigenen Team brachten die deutsche Mannschaft aus dem Rhythmus. Die spielstarken und ballsicheren Ivorer wurden dominanter - und so gelang ihnen noch der Beweis, dass sie beim Toreschießen nicht zwingend auf fremde Hilfe angewiesen sind. Der eingewechselte Seydou Doumbia traf fünf Minuten vor dem Ende nach einem Dribbling aus 16 Metern zum 2:1 für die Gäste, diesmal war Neuer machtlos.

Es war sicher nicht nur Höflichkeit, als Philipp Lahm über den Gegner urteilte: "Sie haben sehr gute Einzelspieler, die in den Topligen spielen. Wenn dann noch Didier Drogba dabei ist, haben sie bei der WM eine sehr gefährliche Mannschaft."

Dass es zum Jahresabschluss doch noch wenigstens zu einem Unentschieden reichte, verdankte die deutsche Mannschaft einer Energieleistung Lukas Podolskis in der Nachspielzeit. Den zweifachen Torschützen interessierten Fragen nach dem Gegner ebenso wenig wie solche nach seiner bevorzugten Position: "Nach jedem Länderspiel werde ich nach meiner Rolle gefragt, Stürmer oder Mittelfeld, und ich bin es leid, dazu immer wieder was zu sagen."

Seine Antwort liefert den Beweis: In die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ist wohl tatsächlich ein wenig Normalität zurückgekehrt.

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