Deutsche Nationalmannschaft:1357 Tage nach dem Trauma

Pressekonferenz Nationalmannschaft Deutschland

Glaubt nicht an ein Trauma bei den Brasilianern: Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: dpa)
  • Seit dem historischen 7:1 im WM-Halbfinale 2014 haben sich sowohl die deutsche als auch die brasilianische Mannschaft stark verändert.
  • Für die deutschen Spieler geht es beim Freundschaftsspiel in Berlin um individuelle Empfehlungen für den WM-Kader.
  • Nach dem hochwertigen 1:1 gegen Spanien wird Bundestrainer Löw mehr als die halbe Startelf tauschen.

Von Ulrich Hartmann

Als Joachim Löw gefragt wurde, ob Brasilien wieder eine 1:7-Blamage befürchten müsse, hat er 14 Sekunden lang überlegt, was man darauf bloß antwortet. Der Bundestrainer lässt sich auf Pressekonferenzen gerne Zeit mit seinen Antworten, aber die 14 Sekunden nach dieser Frage eines bangen brasilianischen Journalisten sind rekordverdächtig. Löw wollte nicht den Eindruck erwecken, als strebe seine Mannschaft im letzten Länderspiel vor der Nominierung des WM-Kaders eine neuerliche Demütigung der Südamerikaner an. Er überlegte vielmehr, wie er den Brasilianern Mut zusprechen könnte. Also sagte er: "Ich glaube nicht, dass die brasilianischen Spieler von damals heute noch unter dem Trauma leiden; ich denke eher, dass ihre Motivation unermesslich ist - Brasilien wird nicht ängstlich agieren, sondern hochmotiviert."

Von den 14 deutschen Spielern, die am 8. Juli 2014 beim 7:1 gegen Brasilien im Halbfinale der Weltmeisterschaft zum Einsatz gekommen sind, werden an diesem Dienstag (20.45 Uhr) höchstens fünf dabei sein: Jérôme Boateng, Mats Hummels, Toni Kroos, Julian Draxler und eventuell Sami Khedira. Die neun anderen werden definitiv nicht spielen. Philipp Lahm und Miroslav Klose haben ihre Karriere beendet, Bastian Schweinsteiger und Per Mertesacker sind aus dem Nationalteam zurückgetreten, Manuel Neuer und Benedikt Höwedes sind verletzt, André Schürrle wurde nicht nominiert, Thomas Müller und Mesut Özil werden geschont. Wahrscheinlich erhält auch Khedira eine Erholungspause.

1357 Tage später und 9750 Kilometer nordöstlich von Belo Horizonte wird eine stark veränderte deutsche Mannschaft gegen eine stark veränderte brasilianische spielen. Das 1:7 von 2014 benutzen vor allem Medien als emotionale Garnitur.

Für die deutschen Spieler geht es im Olympiastadion um individuelle Empfehlungen für einen von 23 Plätzen im Kader für die WM in Russland. Nach dem hochwertigen 1:1 gegen Spanien am Freitag in Düsseldorf wird der Bundestrainer seine Startelf in Berlin auf mindestens sechs Positionen verändern. Für den mit leichten Sehnenproblemen im Knie pausierenden Marc-André ter Stegen sollen für je eine Halbzeit Bernd Leno und Kevin Trapp im Tor stehen - Löw weiß bloß noch nicht, in welcher Reihenfolge.

Anstelle von Jonas Hector soll hinten links Marvin Plattenhardt beginnen, anstelle von Hummels in der Innenverteidigung vermutlich Matthias Ginter, für Khedira wird im defensiven Mittelfeld Ilkay Gündogan spielen und für Mesut Özil auf dem offensiven linken Flügel Leroy Sané. Wer auf der rechten Angriffsseite Thomas Müller ersetzt, hat Löw offen gelassen. Dass Boateng in der Innenverteidigung wieder beginnen wird, hat Löw nur verraten, weil Boateng wahrscheinlich die Kapitänsbinde tragen wird.

Skepsis nach dem Spanien-Spiel

So, wie man die deutschen Spieler am Freitag hat nörgeln hören, müssten sie sich gegen Brasilien vor allem für eine maue Anfangsphase revanchieren. Derart skeptisch und kritisch klangen Nationalspieler selten nach einem Freundschaftsspiel, das etwa eine Stunde lang hohes WM-Niveau besaß. "Die Spanier haben uns in der ersten Halbzeit zu leicht ausspielen können", hatte der Stürmer Timo Werner gesagt. "Wir sind schlecht in die Zweikämpfe gekommen und haben Aggressivität vermissen lassen", fand Boateng.

Müller stufte "das Passspiel und das Timing beim Pressing" als suboptimal ein. Dem Trainer gefällt es, wenn seine Nationalspieler so selbstkritisch sind. "Es ist wünschenswert, dass die Spieler auch nach einem guten Spiel Kritik äußern", sagte Löw am Montag und fügte hinzu: "Deutschland wird und kann und muss sich auch noch steigern." Das Pressing und das Druckausüben auf die Spanier habe in der ersten Viertelstunde nicht gut genug geklappt. Man habe es allerdings auch nicht üben können im eigentlich erforderlichen Rahmen.

Auf die Körpersprache im Spiel gegen den Ball wird zu achten sein, auch wenn die Brasilianer unter Druck vermutlich nicht derart geschmeidig hinten herausspielen können wie die Spanier. "Individuelle Klasse in diesem Ausmaß hat wahrscheinlich keine andere Nation der Welt", sagte Löw über Brasilien, aber entscheidender sei die Leistung des Kollektivs. Gerade vor dem Duell mit den spielfreudigen Brasilianern war Löw stolz, die mittelfristigen Veränderung der sogenannten deutschen Tugenden herauszuheben. "Mittlerweile steht Deutschland auch für Kreativität, Spielfreude und Offensive sowie für eine klare Spielphilosophie - für Tugenden, die früher nicht so ausgeprägt waren wie heute."

Damit reiht sich das Team in die Gruppe der WM-Titelfavoriten ein, zu denen Löw auch Spanien und Brasilien zählt. "Aus beiden Spielen können wir erkennen, was für die Weltmeisterschaft wichtig ist", sagt er. Und dieses Wissen soll ihm helfen bei der Frage, welche 23 Namen er am 15. Mai im Deutschen Fußball-Museum in Dortmund benennen soll.

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