Deutschland bei der Eishockey-WM:Mehr als bloß ein Torwart-Problem

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Ein Sinnbild: Deutschlands Torwart Timo Pielmeier liegt auf dem Eis, der Puck aber im Tor. (Foto: dpa)
  • Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft holt bei der WM aus den ersten drei Spielen nur zwei Punkte.
  • Dem Olympiazweiten droht damit der Abstiegskampf.
  • Die Trainer bitten um Geduld für das junge Team.

Von Johannes Schnitzler

Man kennt solche Bilder sonst nur vom Fußball: Spieler, die auf Golfwägelchen vom Platz gekarrt werden. Kommt das Elektroauto, bedeutet das nichts Gutes. Als Niklas Treutle und Mathias Niederberger, zwei der drei deutschen Torhüter bei der Eishockey-Weltmeisterschaft im dänischen Herning, neulich hintereinander vom Golfkart abtransportiert wurden, stand plötzlich die bange Frage im Raum: Hat die stolze Torhüternation Deutschland ein Torhüterproblem?

Die Jyske Bank Boxen, wo die deutsche Mannschaft ihre Gruppenspiele austrägt, liegt im mittleren Jütland, zwei, drei Kilometer außerhalb von Herning, einem 45 000-Einwohner-Städtchen, das im 19. Jahrhundert noch aus ein paar Bauernhöfen in der dänischen Heide bestand. Dank seiner Lage zwischen Nordmeer im Westen und Kopenhagen im Osten entwickelte sich ein Verkehrsknotenpunkt, und weil ringsum mehr als genug Platz war, ein weitläufiges Messezentrum.

"Eine WM ist eine ganz andere Situation als bei Olympia"

Die Laufwege in Herning sind lang, abgehängt mit schwarzen Molton-Bahnen. Zwischen der Trainingskabine und der 11 000 Zuschauer fassenden Arena legen die spielfreien Mannschaften ein paar Hundert Meter Fußweg zurück. Ein Marathon für Eishockey-Torhüter, die sich in ihrer klobigen Ausrüstung an Land ähnlich elegant bewegen wie Pinguine mit Plattfüßen. Damit keiner unterwegs zusammenklappt, hat der Weltverband ihnen einen speziellen Shuttle-Service eingerichtet. Als Mathias Niederberger auf dem Elektrokart durch die Mixed Zone surrte, lächelte er. Entwarnung.

Eishockey-WM in Dänemark
:"Wir werden unglaublich hart fighten"

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft braucht nach den beiden Penalty-Niederlagen einen Sieg, um noch eine Chance auf das Viertelfinale zu haben. Das Problem: Der heutige Gegner sind die USA.

Von Johannes Schnitzler

Timo Pielmeier, dem deutschen Torhüter in den ersten Spielen gegen Gastgeber Dänemark (2:3) und Norwegen (4:5), die beide im Penaltyschießen verloren gingen, war das Lächeln in den vergangenen Tagen abhanden gekommen. Er war nicht schuld an den Niederlagen. Aber er konnte sie auch nicht verhindern. Am Montag gegen die USA stand Niklas Treutle im Tor. Deutschland verlor wieder, 0:3, aber der Nürnberger präsentierte bei seinem WM-Debüt spektakuläre Paraden, die das Team zu einer Leistungssteigerung beflügelten. Treutle wird wohl auch am Mittwoch (16.15 Uhr) gegen Südkorea spielen, sagte Bundestrainer Marco Sturm.

Ein Torwartproblem? Ach, wenn es nur das wäre.

Überall in Herning hängen Plakate mit der Aufschrift "The Heroes Are Coming", es ist der offizielle Claim dieser 82. Eishockey-WM. Mit ein bisschen Fantasie konnte man diesen Slogan auf die deutsche Mannschaft beziehen, die seit ihrem Überraschungscoup in Pyeongchang wahlweise als "Silberhelden" oder "Olympiahelden" annonciert wird. Die Mannschaft, die Sturm in Herning vorführt, ist allerdings eine ganz andere als jene, die er in Pyeongchang zur Verfügung hatte. 15 Spieler aus dem Olympia-Kader haben abgesagt, verletzt oder weil sie ihre Karriere beendet haben. An ihre Stelle berief Sturm neun WM-Neulinge, von denen acht bereits zum Einsatz kamen.

"Eine WM ist eine ganz andere Situation als bei Olympia", sagt Verteidiger Korbinian Holzer. Der 30-jährige Profi von den Anaheim Ducks aus der National Hockey League ist einer von denen, die Deutschland zu Olympia führten, dort aber nicht spielen durften, weil die NHL sie nicht freistellte. Nun ist Holzer neben Dennis Seidenberg (New York Islanders) und Leon Draisaitl (Edmonton Oilers) in Herning, um ein heterogenes Team durch ein Turnier zu führen, das durch die Anwesenheit der NHL-Profis ein deutlich höheres Niveau hat als das olympische. "Es war klar, dass das eine schwierige WM wird", sagt Holzer. "Aber wir haben hier viele junge Leute dabei, für die diese Erfahrung wichtig ist."

Zwei Punkte aus drei Spielen: "Wir sind jetzt leider in einer Situation, in die wir nicht kommen wollten", sagt Sturm. Denn auf einmal gerät die Partie gegen Aufsteiger Südkorea, Nummer 18 der Weltrangliste, zur heiklen Pflichtaufgabe: Einerseits birgt sie die letzte theoretische Chance auf das Viertelfinale. Eine Niederlage andererseits würde das Team in Abstiegsgefahr stürzen. Do or die, sagen die Amerikaner.

Unterhält man sich mit den Spielern in Herning, ist Einsicht zu hören. "Wir sind uns der Situation bewusst", sagt Verteidiger Moritz Müller. "Hätten wir vier Punkte, wäre die äußere Betrachtung auf unsere Leistung wahrscheinlich eine etwas andere." Doch die äußere Betrachtung durch Publikum und Medien ist seit Olympia eine andere. Bei seinen Übertragungen knackte Sport1 mit den beiden ersten deutschen WM-Spielen abends und am Wochenende die Millionen-Zuschauer-Grenze. Beim 0:3 gegen die USA am Montagnachmittag schalteten halb so viele ein. Sendezeitbedingte Schwankungen? Oder versickert die Euphoriewelle im dänischen Flachland? Um Erfolge wie in Pyeongchang zu feiern, müsse jedes Detail passen, sagt Moritz Müller: "Das ist ein Reifeprozess."

Der ganze Turm wackelt

Stürmer Patrick Hager sagt: "Wir brauchen nicht drum herum reden. Der Druck ist nicht kleiner geworden." Die vielen Absagen machten es für den Trainer schwer, "die Chemie zu finden". Mehr aus Not denn aus Überzeugung nominierte Sturm etwa Marcel Müller und Daniel Pietta, die in seinen Augen zwar nicht internationalen Ansprüchen genügen, in Krefeld aber das erfolgreichste deutsche Duo der DEL bildeten. Ein innerer Kompromiss. Prompt verletzte Müller sich unmittelbar vor der Abreise. "Momentan fehlt auch ein bisschen das Glück", sagt Sturm.

Es ist wie beim Jenga-Spiel: Zieht man an der Basis ein Holzklötzchen zu viel heraus, wackelt der ganze Turm. "Wir schauen weniger auf die Tabelle, sondern nur nach vorne", sagt zwar Kapitän Dennis Seidenberg, "an den Klassenerhalt denken wir jetzt nicht", sagt Sturm. DEB-Präsident Franz Reindl weiß indes um die Gefahr: "Natürlich ist eine WM ein anderer Stress, weil es nach oben und nach unten gehen kann. Aber wir wussten vorher, dass wir gegen Korea gewinnen müssen. Daran hat sich nichts geändert."

Von einer Medaille ist das DEB-Team weiter entfernt als noch vor ein paar Wochen. Sturm hatte angesichts der Nachwuchsförderung in der DEL zuletzt sogar orakelt, so werde es unmöglich sein, einen Platz unter den ersten acht der Welt zu behalten. "Marco hat den Umbruch eingeleitet und junge Spieler mitgenommen, das ist richtig so", sagt Reindl. Für Analysen sei es aber noch zu früh: "Es wäre jetzt unangebracht, Rückschlüsse zu ziehen. Erst müssen sieben Spiele gespielt sein."

Sturm bemüht sich derweil um Ruhe. Am Dienstag gab er den Spielern frei und sagte alle Interviews ab. "Die Aufgabe ist anders jetzt", sagt der Bundestrainer. "Aber ich bin sicher, dass die Mannschaft positiv darauf reagieren wird." Und dann wird Sturm sogar ein bisschen philosophisch: "Man kann es nicht erzwingen. Man muss sich das Glück hart erarbeiten." Die Spieler, die in Herning seien, "das ist die Zukunft". Silber ist Vergangenheit.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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