Deutschland auf Kunstrasen:"Ich würde ein paar Flitzer aufstellen"

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Kunstrasen-Kenner Andreas Ivanschitz über kurze Drehungen und lange Pässe auf fremdem Untergrund sowie die Chancen der Löw-Elf in Russland.

Christof Kneer

Ein halbes Jahr seines Fußballerlebens hat Andreas Ivanschitz täglich auf Kunstrasen gespielt oder geübt. Als er im Januar 2006 von Rapid Wien zu RB Salzburg wechselte, betrat er ein Geläuf, das ihm völlig fremd war; im August 2006 verließ er Salzburg als Kunstrasen-Experte. Denn im Zentrum des Spiels, sagt er, auf der Spielmacherposition, spüre man besonders gut, wie ein künstlicher Untergrund das Spiel verändern kann. Zurzeit spielt Ivanschitz, 25, beim FSV Mainz 05 - in jener Stadt, die sich Bundestrainer Löw zur Vorbereitung aufs WM-Qualifikationsspiel in Russland ausgesucht hat. Auf einem Mainzer Trainingsplatz liegt ein Kunstrasen, der dem im Moskauer Luschniki-Stadion ähnelt.

SZ: Herr Ivanschitz, nach den Unstimmigkeiten mit Österreichs Nationaltrainer Constantini sind Sie nicht in die österreichische Nationalelf berufen worden. Sie hätten in dieser Woche also Zeit, mal zu gucken, wie die deutsche Nationalmannschaft in Mainz trainiert.

Ivanschitz: Vielleicht mache ich das tatsächlich, aber ich weiß natürlich nicht, ob man da einfach so reinkommt.

SZ: Sie müssten halt sagen, dass Sie Kunstrasen-Experte sind und nützliche Tipps geben können.

Ivanschitz: Ich bin überzeugt, dass die Deutschen auch ohne meine Tipps gut informiert sind. Aber es ist ja auch so, dass ich nicht stolz darauf bin, ein Kunstrasen-Experte zu sein.

SZ: Warum denn nicht?

Ivanschitz: Ich bin einfach der Überzeugung, dass Fußball auf Naturrasen gehört, auch in Zukunft, obwohl die Kunstbeläge immer besser werden. Der Kunstrasen sollte aus meiner Sicht aber maximal die Alternative sein, damit man im Winter mal ausweichen kann. Aber Meisterschaften, Europapokale oder große Turniere sollten auf jeden Fall auf normalem Rasen entschieden werden.

SZ: Das heißt, Sie würden sich auch dran stören, wenn Sie mit Ihrer Nationalmannschaft nun in einem entscheidenden Spiel auf einem russischen Kunstrasen antreten müssten.

Ivanschitz: Auf jeden Fall, und ich denke, dass hundert Prozent der Fußballprofis dieser Meinung sind.

SZ: Also: Wettbewerbsverzerrung!

Ivanschitz: Das ist zu hart formuliert, aber einen kleinen Wettbewerbsvorteil haben die Russen mit Sicherheit. Sie wissen schon, was sie auf diesem Rasen tun müssen, die Deutschen dagegen müssen sich das in dieser Woche erst erarbeiten.

SZ: Erzählen Sie mal: Was muss man auf einem Kunstrasen tun?

Ivanschitz: Das Gute ist: Man weiß, was man von so einem Platz erwarten kann. Er ist eben, die Bälle verspringen nicht, man erlebt keine Überraschungen. Wobei das Wetter eine große Rolle spielt: Wenn es trocken und heiß ist, stoppt der Kunstrasen den Ball eher. Ist es dagegen nass, wird der Ball extrem schnell.

SZ: Die Wettervorschau für Moskau sagt: Donnerstag, Freitag Regen und am Samstag immerhin noch 60 Prozent Regen-Wahrscheinlichkeit.

Ivanschitz: Dann werden sich die Deutschen auf ein sehr schnelles Spielfeld einstellen müssen.

SZ: Was heißt das für die Spielweise?

Ivanschitz: Das heißt: die Bälle genau in den Fuß spielen, am besten extrem kontrolliert, per Kurzpass. Die beliebten Bälle in den Raum oder hinter die Abwehr sind dagegen gefährlich; die funktionieren nur, wenn sie auf den Millimeter präzise sind. Sonst werden sie so schnell, dass man sie nie mehr erlaufen kann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Russen trotz Kunstrasen keinen Vorteil haben...

SZ: Die Deutschen werden ein paar Trainingseinheiten auf dem Mainzer Kunstrasen bestreiten und danach nochmal in Moskau üben. Reicht das?

Ivanschitz: Das ist nicht sehr viel, aber für Mannschaften mit internationaler Klasse müsste das eigentlich reichen, um sich umzustellen. Ich denke, am Ende wird der Rasen nicht den einen, entscheidenden Unterschied ausmachen - zumal die meisten russischen Spieler den Kunstrasen zwar von den Länderspielen gut kennen, aber eben auch nicht von der täglichen Arbeit. Einen wirklich großen Vorteil hat der, der tagtäglich drauf trainiert - wie zum Beispiel Salzburg. In dem halben Jahr, in dem ich dort war, haben wir nur ein einziges Heimspiel verloren.

SZ: Stimmt es, dass Kunstrasen anstrengender für den Körper ist?

Ivanschitz: Kunstrasen ist definitiv belastender. Aus meiner Sicht ist auch das Verletzungsrisiko höher, die Abnutzung auf Dauer sowieso.

SZ: Merkt man die ungewohnte Anstrengung auch in einem einzigen Spiel? Kann es den Deutschen am Samstag passieren, dass sie nach 70 Minuten plötzlich schwere Beine bekommen?

Ivanschitz: Schwere Beine nicht, aber es könnte sein, dass sie plötzlich ihre Gelenke spüren, dass sie jeden Richtungswechsel merken, jeden kurzen Antritt.

SZ: Gibt es Spielertypen, die für Kunstrasen besser geeignet sind?

Ivanschitz: Kleine, wendige Spieler kommen da mit Sicherheit besser zurecht. Quirlige Techniker haben im modernen Fußball sowieso Vorteile, aber auf diesem Untergrund werden die Vorteile noch größer. Auf Kunstrasen hat man einen besonders guten Halt, man kann besonders explosiv losstarten, und wer sich ohnehin gut und schnell drehen kann, der kommt da noch besser zur Geltung als sonst. Das merkt man, wenn man im Training mal Verteidiger spielt: Man kann die Quirligen kaum aufhalten.

SZ: Das heißt: Spieler wie der 1,98m große Abwehrspieler Per Mertesacker haben es auf diesem Untergrund schwer.

Ivanschitz: Aus meiner Erfahrung: ja.

SZ: Heißt das im Umkehrschluss: Rein ins Team mit den Özils, Marins und Trochowskis?

Ivanschitz: Das ist eine Frage, die Sie dem deutschen Bundestrainer stellen müssen.

SZ: Aber wenn Sie Trainer des - sagen wir - FC Ivanschitz wären, dann würden Sie die kleinen Flitzer aufstellen?

Ivanschitz: Ich würde erstmal die aufstellen, die gut in Form sind - und dazu tatsächlich ein paar kleine Flitzer.

SZ: Kann der Kunstrasen auch den Charakter eines Spiels verändern? Wird das Spiel weniger aggressiv, weil weniger gegrätscht wird?

Ivanschitz: Es wird mit Sicherheit weniger gegrätscht, und so wie ich es erlebt habe, kommt es auch insgesamt zu weniger Zweikämpfen. Man muss schon sehr griffig und genau attackieren, um dem Gegner den Ball wegzuschnappen; wenn man zu spät dran ist, kommt es gar nicht erst zum Zweikampf. Dann sind die Kleinen, Quirligen mit einem einzigen Antritt gleich zwei, drei Meter weg.

SZ: Ist es da nicht ein Trost, dass manche Dinge auf allen Belägen funktionieren? Ihr herrliches Volleytor vom Wochenende gegen Hoffenheim kann man auf Kunst- und auf Naturrasen schießen.

Ivanschitz: Stimmt, das Problem ist nur: Solche Tore gelingen, egal auf welchem Belag, leider zu selten im Leben.

© SZ vom 06.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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