Süddeutsche Zeitung

Deutsche Niederlage gegen die Niederlande:Wie Mainz 05 spielen ist keine Lösung

Das DFB-Team kann aktuell nicht auftreten wie ein Titelchampion. Aber die Mannschaft mauern zu lassen, widerspricht sowohl Löws eigener Lehrmeinung als auch der Qualität der Spieler.

Kommentar von Philipp Selldorf

Ronald Koeman hat noch in jener Zeit Fußball gespielt, als die Spiele zwischen Deutschland und den Niederlanden keine sportlichen Wettkämpfe waren, sondern die Fortsetzung eines bilateralen Konflikts mit sportlichen Mitteln. Inzwischen sind diese aggressiven Zeiten vorbei und Koeman, der sich damals als Provokateur betätigt hatte, indem er demonstrativ das Trikot von Olaf Thon polemisch missbrauchte, ist ein ziviler Herr mit angenehmen Umgangsformen geworden. Am Freitagabend in Hamburg aber hat er einen Satz gesagt, der ihn wieder in die Nähe des Provokateurs rückte. Der Satz besagte, die Deutschen seien "in der zweiten Halbzeit nicht mehr so gut wie in der ersten Hälfte" gewesen.

Aus dieser Feststellung lässt sich aus Sicht der Verlierer nichts Gutes ableiten. Entweder wollte Koeman die Deutschen durch die Mitteilung verhöhnen, dass sie in der ersten Halbzeit "gut" gespielt hätten - was sie ja definitiv nicht getan haben. Oder er meinte es ernst und hielt den Auftritt der Deutschen während der ersten Halbzeit für gut und angemessen, was dann eine unbeabsichtigte, aber nichtsdestoweniger gravierende Beleidigung wäre, denn es würde bedeuten, dass Koeman das Niveau der Nationalelf auf dem Leistungsstand der ersten Hälfte ansiedeln würde.

Letzteres schien vor der Partie irgendwie auch der Bundestrainer Jogi Löw gemeint zu haben, seine defensive Aufstellung samt grundsätzlich defensiver Anordnung legt den Gedanken nahe, dass er seine Deckung gegen die spielstarken Niederländer lieber doppelt und dreifach absicherte: Mit einer Fünf-Mann-Abwehrreihe, wie Außenseiter sie formieren, die beim großen Favoriten antreten, mit einem Mittelfeld, das aus zwei Sechsern bestand (die in Wahrheit aber keine richtigen Sechser sind), und einer Gruppe von Angreifern, die öfter in der eigenen Abwehr anzutreffen war, als dass sie sich mit den gegnerischen Verteidigern auseinandersetzte.

Immerhin schaffte es Löw zunächst, seinen Kollegen auszutricksen. Koeman gab zu, er sei "überrascht" gewesen von der deutschen Taktik. Dass sein Team beim Auswärtstermin in Hamburg viel öfter den Ball hatte als zuletzt daheim in Amsterdam, das verblüffte den Bondscoach. Anfangs wussten die Holländer mit der passiven Spielweise des Widersachers nicht viel anzufangen, sie wollten nicht in die Falle gehen, was dann doch prompt geschah. Mit einem einzigen prägnanten Spielzug verschafften sich die Deutschen das 1:0, das Löws Maurer-Plan schlagartig wie einen Meisterplan aussehen ließ.

Aber dieses 1:0 war lediglich eine optische Täuschung, die Deutschen behielten ihre spielerische Enthaltsamkeit bei, nicht aus Gründen von Raffinesse, sondern aus Mangel an Raffinesse. Löw erklärte später aufrichtig, die Niederlage sei gerechtfertigt man habe "technisch unter Wert" gespielt und, grob zusammengefasst, einen schlechten Tag gehabt. Was er nicht ganz so aufrichtig einräumte: Dass er mit seiner Strategie dazu wesentlich beigetragen hatte.

Hätte es Hummels besser gemacht?

Zwar ist nicht wissenschaftlich erwiesen, welcher Mannschaftsteil der Nationalelf der stärkste ist - doch es dürfte kaum ein Forscher die Behauptung wagen wollen, dass es die Abwehr ist. In Hamburg hat Löw nun aber bewusst auf ein starkes Mittelfeld verzichtet - und damit auf arrivierte oder heranwachsende Spitzenspieler wie Gündogan, Havertz und Brandt -, und stattdessen eine Abwehr formiert, in der Spitzenspieler noch nicht zu erkennen sind, weder arrivierte noch - mit Ausnahme von Niklas Süle - heranwachsende. Aus dieser Abwehrreihe gingen die individuellen Fehler hervor, die zum 1:1 und 2:3 führten, trotzdem genügt es nicht, die Spieler Tah, Klostermann und Ginter als Schuldige heranzuziehen. Mit der Fünferkette und einer aufs Abwarten gerichteten Taktik hatte Löw Schwerpunkte gewählt, die das gesamte deutsche Spiel ins Ungleichgewicht brachten.

Logisch ist es nun, dass in Deutschland eine Mats-Hummels-Debatte geführt wird. Hätte es Hummels, den viele sehr und manche gar nicht vermissen, in Hamburg besser gemacht? Das ist schon deshalb nicht unwahrscheinlich, weil er es kaum schlechter hätte machen können als seine Nachfolger, und weil er in dieser tiefstehenden Deckung seine natürlichen Vorteile hätte nutzen können. Doch Löw hat entschieden, dass er eine neue Generation heranziehen möchte, die nicht mehr auf die Alten hören, sondern sich auf die eigene Art emanzipieren soll. Schon deshalb gibt es kein Zurück zu Hummels.

Dass Löw seine neue Mannschaft nicht wie einen erfahrenen Titelchampion spielen lässt, das entspricht den Gegebenheiten. Dass er sie hingegen, wie jetzt gegen die Niederlande, in das Format eines Außenseiters zwängt, in eine Mainz-05-Rolle, das widerspricht nicht nur seiner Lehrmeinung, an der er mit vollem Recht jahrelang festgehalten hat, sondern auch den Qualitäten dieses Nationalteams, das besser Fußball spielen als mauern kann.

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