Deutsches Team:Weltmeister nach Mitternacht

Lesezeit: 3 min

Gold für Kaul, Bronze für Schwanitz: Die deutschen Leichtathleten starten bewegt in die letzten WM-Tage.

Von Johannes Knuth, Doha

Im Ziel fehlte Niklas Kaul zunächst die Kraft. Er lag auf dem Boden, wie alle Zehnkämpfer nach den abschließenden 1500 Metern, für ausgiebige Jubelgesten war er noch nicht bereit. Kaul hatte nur ein wenig länger Zeit, wieder zu Kräften zu kommen, er war ja früher als alle anderen Kollegen eingetroffen. So konnte er sich schon einmal mit diesem Gedanken anfreunden: Weltmeister, mit 21 Jahren. Als zweiter Deutscher nach dem Schweriner Torsten Voss 1987. Jünger war noch kein König der Leichtathleten.

Und was für eine Vorgeschichte das war: Kaul war gut in den ersten Tag gekommen, 4164 Punkte waren ein passabler Ertrag. Aber was die Hauptpreise anging, sah es noch gar nicht so gut aus, die Favoriten waren zunächst wie erwartet in den Wettkampf eingetaucht. Und dann fiel doch alles ineinander: Bei Kevin Mayer, dem Weltrekordhalter aus Frankreich und großen Favoriten, brach am zweiten Tag eine Achillessehnenverletzung auf, der Kanadier Damian Warner kämpfte mit sich selbst beziehungsweise dem Diskuswurf, Lindon Victor Grenada schaffte erst gar keinen gültigen Versuch. Und Kaul, der schon seinen U23-Titelgewinn im Sommer (8572 Punkte) an seinem zweiten starken Tag gesichert hatte, sammelte die Mehrkämpfer ein wie ein spurtstarker Mittelstreckenläufer. Er warf den Diskus auf 49,20 Meter, sprang 5,00 Meter mit dem Stab, warf den Speer auf schwindelerregende 79,05 Meter - weiter war noch niemand in einem WM-Zehnkampf gekommen. Und die 1500 Meter, die lief er so wie immer: wie ein langes, kraftvolles Crescendo. 4:15,71 Minuten, das reichte nicht nur für Gold, sondern auch für 8691 Punkte, Bestleistung.

Von Platz elf zu Gold: Zehnkämpfer Niklas Kaul. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Und als war dieser emotionale Rausschmeißer um kurz nach Mitternacht noch nicht genug, gewann Kugelstoßerin Christina Schwanitz auch noch Bronze, mit 19,17 Metern hinter Lijiao Gong aus China (19,55) und der Jamaikanerin Danniel Thomas-Dodd (19,47). Es war die dritte deutsche Medaille dieser WM nach Gesa Krauses Hindernis-Bronze und Kauls Gold - wobei sich dieser dritte Platz für Schwanitz nach einem "schweren Jahr", in ihrer Dreifachrolle als Mutter, Studentin und Kugelstoßerin, "wie eine kleine Goldmedaille" anfühlte, wie sie später sagte.

Die vergangenen beiden Tage in Doha hatten zunächst mit einer weiteren brenzligen Debatte für den Deutschen Leichtathletik-Verband begonnen: Alberto Salazar, bis zuletzt Cheftrainer beim Nike Oregon Project (NOP), war von einem Schiedsgericht für vier Jahre gesperrt worden, wegen schwerer Dopingvergehen. Klosterhalfen hatte diese Nachricht einen Tag vor ihrem WM-Vorlauf erreicht, nach dem Lauf, der sie locker ins Finale beförderte, gab sie sich allerdings betont ruhig. Sie trainiere ja erst seit vergangenem November in Oregon, der untersuchte Zeitraum, in dem Salazar sein Dopingnest aufgezogen haben soll, währte von 2010 bis 2014. Dann wiederholte die 22-Jährige das, was sie zuvor immer wieder gesagt hatte: Die Trainingsmethoden seien überragend. Das Team "das beste der Welt". Doping lehne sie strikt ab, tatsächlich war sie nie von einem Verfahren betroffen. Und sie trainiere ja auch bei Julian, autonom, wobei der vor zwei Jahren noch die Einigkeit der Trainingsgruppen beschwor. Sie freue sich jedenfalls schon, sagte Klosterhalfen, im nächsten Jahr zum NOP zurückzukehren.

Bronze im vorletzten Versuch: Kugelstoßerin Christina Schwanitz. (Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

Idriss Gonschinska, der Generaldirektor im DLV, hatte zuvor noch erklärt, man werde sich nach der WM aber "sehr intensiv" mit Klosterhalfen und ihrem Management austauschen. Wobei Klosterhalfen bei ihrem ersten Auftritt nicht den Eindruck machte, als wolle sie sich aus dem Umfeld lösen, in dem auch der Grenzübertritt zumindest für vier Jahre zum orchestrierten Programm gehörte. Man wolle erst mal alle Dokumente auswerten, sagte Gonschinska in Doha, ihm falle es schwer, "die Informationslage hier unmittelbar einzuordnen". Konstanze sei ja eine "mündige Athletin", fügte er noch an, aber klar sei auch, "dass sie am Ende auch Verantwortung zeigt für Entscheidungen".

Und sonst? Die Deutschen musste zunächst weitere Enttäuschung verkraften, Hochsprung-Europameister Mateusz Przybylko vollendete seine völlig missratene Saison mit 2,17 Metern in der Qualifikation, Tatjana Pinto und Gina Lückenkemper klagten vor der Sprintstaffel über Rückenprobleme. Speerwerferin Christin Hussong versprach nach ihrem sehr achtbaren vierten Platz (65,21 Meter), dass sie umso mehr alles dafür tun, "dass mir das in Tokio nicht passiert". Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre war mit Platz vier bei seinem WM-Debüt (5,70 Meter) ungleich glücklicher; auch Raphael Holzdeppe, der Weltmeister von 2013, wirkte nach seinem sechsten Platz (5,70) und langer Verletztenhistorie. Und die größten Hoffnungen, betonten sie im DLV, seien ja erst an diesem Wochenende im Einsatz: Weitspringern Malaika Mihambo, die Staffel, die vier Speerwerfer, auch Klosterhalfen.

Aber dann brach der Freitagabend an, Schwanitz gewann ihre Bronzemedaille, die auch ein bisschen golden schimmerte. Und ein 21-Jähriger hob sich auf den Thron der Athleten.

© SZ vom 06.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: