Deutsches Eishockey-Team:Zeit für neue Helden

Eishockey Olympische Spiele Innsbruck 1976 Erich Kühnhackl BR Deutschland am Boden; Eishockey

Schmerz: Nach dem 4:1-Sieg gegen die USA waren die Deutschen, im Bild Erich Kühnhackl, davon überzeugt, sie hätten Bronze um ein Tor verspielt.

(Foto: imago/Sportfoto Rudel)

42 Jahre nach dem "Wunder von Innsbruck" greift wieder ein deutsches Eishockey-Team nach einer Olympia-Medaille, diesmal geht es um Gold. Und wie damals hat das im Vorfeld niemand für möglich gehalten.

Von Johannes Schnitzler

Der 28. September 2017 war kein guter Tag für das deutsche Eishockey. An diesem Tag, einem Donnerstag, starb "einer der größten Eishockeyspieler aller Zeiten und eine herausragende Sportpersönlichkeit", schrieb Franz Reindl, der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes zum Tod von Lorenz Funk.

Reindl, damals ein 21-jähriger Nachwuchsstürmer vom SC Riessersee, war wie Funk Teil jener Mannschaft, die 1976 Olympia-Bronze gewann, die zweite und bis dato letzte Medaille seit Lake Placid 1932, als gerade einmal vier Teams am Turnier teilnahmen. Die Bronzemedaille 1976 ging als "Wunder von Innsbruck" in die deutsche Sportgeschichte ein. Als Funk am 4. Oktober in Reichersbeuern bei Bad Tölz beerdigt wurde, standen seine Mitspieler von damals fast alle an seinem Grab, Erich Kühnhackl, Alois Schloder, Reindl. Funk starb als Vierter aus jener Mannschaft, und mit jedem, der geht, droht auch die Erinnerung zu verwehen an dieses deutsche "Miracle on Ice".

"Es ist Zeit, dass neue Helden geboren werden"

Eineinhalb Jahre zuvor, zum 40. Jahrestag, hatten sich die "Helden von Innsbruck" in einem Münchner Kino getroffen, um sich eine TV-Dokumentation ihres Triumphs anzusehen, die jene bewegten und ziemlich bekloppten Tage von Innsbruck noch einmal nacherzählte. Auch Funk war dabei, im Rollstuhl, gezeichnet von seiner Krankheit. Aber wenn es darum ging, in Anekdoten zu schwelgen, war "der Lenz" quicklebendig. Und Anekdoten von damals gab und gibt es reichlich.

Finnland, USA und Deutschland waren punktgleich aus der Finalrunde gegangen, der Torquotient musste entscheiden. Beim abschließenden 4:1-Sieg gegen das Team USA hatten Funk und sein Sturmpartner Ernst Köpf noch auf dem Eis einander angebrüllt, weil sie dachten, sie hätten einen Treffer zu wenig erzielt; und das nur, weil Funk eigensinnig aufs Tor geschossen habe, statt ihn anzuspielen, schrie Köpf. In der Kabine spielten sich danach Szenen ab, die den künftigen DEB-Präsidenten tief geprägt haben. "Totenstimmung", so beschreibt Reindl die Atmosphäre. Bis Sportdirektor Roman Neumeyer die Tür aufgerissen und unter Tränen die Sensation verkündet habe: "Wir haben's!" Um 0,041 Punkte lag Deutschland vor Finnland.

Olympische Spiele 1976 in Innsbruck Siegerehrung Eishockey Bronze für Deutschland Alois Schloder

Erlösung: Ungläubig bestaunen Alois Schloder und Lorenz Funk (rechts Bild, v.l.) ihre Medaillen.

(Foto: imago)

Aus Geschlagenen und Enttäuschten, die vor dem Turnier nach einer Niederlage gegen Rumänien von der Presse als "Schande" beschimpft worden waren, über die der damalige NOK-Chef Willi Daume spottete, von ihnen sei nichts zu erwarten außer "schlechte Leistungen und mieses Benehmen" - aus diesen zu Versagern Abgestempelten waren an jenem 14. Februar 1976 Helden geworden. Das sind sie bis zu diesem Freitag, 42 Jahre nach Innsbruck, an dem eine deutsche Eishockey-Mannschaft wieder nach der Olympia-Medaille greift.

Die Helden von einst und ihre Nachfahren

Es gibt Parallelen zwischen den Helden von einst und ihren Nachfahren, die mit dem 4:3 im Viertelfinale gegen Schweden und dem 4:3 gegen Kanada im Halbfinale ihre eigene Geschichte geschrieben haben. Auch sie wurden als Olympia-Touristen belächelt, die Fotos verschickten vom Trainingsbesuch des Bundespräsidenten, die als Maskottchen Spalier standen beim Olympiasieg von Biathletin Laura Dahlmeier. Keine Vorschau kam ohne den Hinweis aus, dass die Medaillen "andere unter sich ausmachen" würden. Aber jetzt: Finale! Nach einem Sieg gegen Kanada, den 26-maligen Weltmeister und Titelverteidiger. Nach einem Sieg gegen den zehnmaligen und aktuellen Weltmeister Schweden. Eine Sensation, ach was, "das ist natürlich ein bisschen mehr als eine Sensation", sagt Franz Reindl. "Da muss man sich erst mal fragen: Schläft man? Oder träumt man? Wo geht die Reise hin?"

Die Gegenwart sei "mit der Vergangenheit nicht zu vergleichen", der Einzug bereits ins Halbfinale von Pyeongchang vielleicht sogar höher einzuschätzen als Bronze 1976, als die Mannschaft sich nicht durch die K.-o.-Runden boxen musste. "Mit dem Alten hat das nichts zu tun", sagt Reindl: "Du musst ja viel mehr Hürden überwinden." Damals waren unter anderem die Kanadier und die Schweden nicht dabei, die keine Teams nach Österreich schickten.

Auch 2018 fehlen viele der besten Profis der Welt, weil die nordamerikanische Liga NHL ihre Spieler nicht abstellte. Reindl war einer der Ersten, die darin einen Vorteil für die kleineren Nation wie Deutschland sahen, weil sie nicht so viele Spieler ersetzen müssen. Trotzdem fehlen Trainer Marco Sturm in Leon Draisaitl, Philipp Grubauer oder Dennis Seidenberg sieben Leistungsträger, die nun nichts anderes tun können, als Glückwünsche nach Südkorea zu schicken. "Das freut uns sehr", sagt Sturm - also die moralische Unterstützung durch die deutschen NHL-Profis, nicht deren Fehlen.

Reindl sagt: "Wir müssen diese Plattform Olympia nutzen. Das bedeutet für den deutschen Eishockeysport enorm viel." Und er will in den Augen der aktuellen Spielergeneration diesen Hunger, dieses Glänzen erkannt haben: "Ich glaube, wir haben eine Chance. Die Tagesform entscheidet." Alois Schloder, 1976 Kapitän des Bronze-Teams, sagt: "Es ist Zeit, dass neue Helden geboren werden." Der 25. Februar 2018 wäre ein guter Tag dafür.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: