Deutsches Davis-Cup-Team:Zoff über 73 Zeichen

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Wie im Kindergarten: Eine sieben Monate alte SMS ist der Auslöser des Zwists in der deutschen Davis-Cup-Équipe zwischen Teamkapitän Patrik Kühnen und seinem Top-Spieler Philipp Kohlschreiber - weil die beiden keine Lösung fanden, droht jetzt der sportliche Abstieg.

Philipp Schneider

160 Zeichen sind nicht viel, eine SMS ist beschränkt auf 160 Zeichen, weswegen man sagen kann: In eine SMS passt nicht die Welt. Möglich ist der Satz: "Hi patrik, wünsche euch viel glück, haut rein, ihr schafft es. Gruß kohli". Inklusive Leerstellen sind das nur 73 Zeichen, doch die bedeuten zumindest die Welt für Philipp Kohlschreiber - den derzeit besten deutschen Tennisspieler. Kohlschreiber findet, das ist aus Mannschaftskreisen zu erfahren, dass diese Nachricht wichtig gewesen wäre, ja, er findet sogar, dass jemand die Zeilen im Nachhinein unterschlagen hat. Dass es sich dabei um seinen Chef handelt, um Patrik Kühnen, den Kapitän des deutschen Davis-Cup-Teams, das macht die Sache aus seiner Sicht noch schlimmer.

Gerade einmal eineinviertel Jahre ist es her, da jubelten Teamchef Patrik Kühnen (links) und seine Spieler Mayer, Kohlschreiber, Petzschner und Kas gemeinsam. (Foto: dpa)

Wenn die Welt von Kühnen erfahren würde, dass er, Kohlschreiber, diese SMS geschrieben hat, dann wäre er befreit von einem Stigma, das ihm seit dem 1:4 gegen Argentinien im Februar anhaftet - als er sich krank gemeldet hatte und fehlte. So sieht das Kohlschreiber. Er wäre dann zumindest nicht länger Kohlschreiber, der sich in Bamberg nicht gemeldet hat. Er wäre nicht länger Kohlschreiber, der Egomane.

Nun wurde die elektronische Nachricht einst erfunden, damit Menschen nicht unbedingt immer miteinander sprechen müssen. Was also genau verrät es über das deutsche Männertennis, wenn sich dessen Zustand nicht mehr erklären lässt, ohne aus einer sieben Monate alten SMS von Kohlschreiber zu zitieren? Er schrieb sie an Kühnen am Freitag, den 10. Februar. Um 11.45 Uhr. Er verfasste sie zwei Tage bevor Kühnen am Sonntag, den 12. Februar, in Bamberg sagte, es sei bedauerlich, dass sich Kohlschreiber seit Mittwoch nicht mehr gemeldet habe. Nicht einmal per SMS. Die Korrespondenz liegt der SZ vor.

Man mag es kaum glauben, dass Kühnen und Kohlschreiber seit Bamberg über eine SMS diskutieren, selbst Kühnens Nicht-Nominierung als Teamchef für den World-Team-Cup im Mai ist auf den Streit zurückzuführen, der nichts weiter wäre als eine Posse - hätte der (vorerst) letzte Akt nicht den Rauswurf Kohlschreibers aus dem Davis-Cup-Team zur Folge gehabt. Und das vor der wichtigsten Partie seit 2003: Von Freitag bis Sonntag spielt Deutschland in Hamburg gegen Australien um den Verbleib in der Weltgruppe. Ohne Kohlschreiber und Tommy Haas, der aus persönlichen Gründen absagte.

Um den Zwist aus der Welt zu schaffen, saßen am vorvergangenen Sonntag nach SZ-Informationen vier Männer in der Lobby des New Yorker Nobelhotels Waldorf Astoria zusammen. Vier Männer, die eine Lösung finden wollten. Die eine Lösung hätten finden müssen. Carl-Uwe Steeb war da, der Vizepräsident des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), der Profi Florian Mayer - und eben Kohlschreiber und Kühnen. Es ging um alles Mögliche: um Bamberg, um Kohlschreibers Olympia-Absage, doch vor allem ging es mal wieder um die SMS. Und weil die SMS aus Kohlschreibers Sicht für weit mehr stand als für 73 Zeichen, wurde er erst emotional, dann sehr laut.

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Es sei "ein gutes Gespräch mit Philipp" gewesen, sagte Kühnen, "ich habe gedacht, dass die Querelen ausgeräumt sind". Steeb fand: "Die Lösung wurde gesucht und dann herbeigeführt." Doch drei Tage nach diesem vermeintlich klärenden Gespräch wurde Kohlschreiber auf einer Pressekonferenz mal wieder gefragt, ob er es inzwischen nicht bereuen würde, dass er das Team in Bamberg im Stich gelassen habe, und er sagte: "Ich hatte mich gemeldet. Diese Info wurde aber vorbehalten." Ehe er dann, einmal in Rage, den Zusammenhalt im Davis-Cup-Team kritisierte ("Wir gehen uns aus dem Weg, jeder macht sein Ding"). Woraufhin Kühnen wiederum öffentlich sagte, Kohlschreiber habe "den Inhalt unseres Gespräches konterkariert".

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Im Kern dieses Konflikts zwischen Kühnen und Kohlschreiber geht es um die banale Frage, ob die Vorfälle in Bamberg in der Öffentlichkeit aufbereitet werden sollen. Kühnen will den Streit offenbar intern regeln, er sagt: "Bamberg und die SMS sind ein halbes Jahr her und für mich längst abgehakt, weil es hierzu bereits eine Aussprache gegeben hat." Kohlschreiber pocht dem Vernehmen nach darauf, dass eine Anklage, die in der Öffentlichkeit gegen ihn erhoben wurde, auch nur dort revidiert werden kann. Er findet, dass es noch keine Entschuldigung dafür gab, dass Tommy Haas in Bamberg (ungefragt) in Frage gestellt hat, ob Kohlschreiber wirklich krank gewesen ist - und dafür, dass ihn Kühnen nicht in Schutz genommen hat. Hierfür steht sinnbildlich: die verschwiegene SMS.

Tatsächlich ist es Fakt, dass Kohlschreiber seit Bamberg als Buhmann gilt, obwohl seine Schuld im Sinne von Haas' Anklage nie bewiesen wurde. Es kann ihm also kaum genügen, dass Kühnen den Erhalt der SMS bislang nur in der Münchner Lokalzeitung tz bestätigte. Vor der Weltpresse thematisiert hat die Nachricht erst DTB-Sportdirektor Klaus Eberhard - mit der Behauptung, Kühnen habe sie zum Zeitpunkt der Pressekonferenz noch nicht gelesen gehabt: zwei Tage, nachdem Kohlschreiber sie gesendet hatte - und einen Tag nach Kühnens 46. Geburtstag.

Der Teamchef hat sich nach Kohlschreibers Kritik in New York mehrfach um ein weiteres Gespräch bemüht. Er wurde stets abgewiesen von Kohlschreibers Manager Stephan Fehske, von dem es heißt, er habe vergeblich versucht, sich als Betreuer im Davis-Cup-Team zu installieren. Dass ihn Kohlschreiber überhaupt an Fehske verwies, findet Kühnen "inakzeptabel". Als Teamchef müsse er "die Möglichkeit haben, mit meinen Spielern zu sprechen. Gerade an einem spielfreien Tag." Spätestens als sich jüngst noch Boris Becker als Vermittler anbot, wurde die Absurdität des Falls offensichtlich. Becker weiß wohl: Neulich saßen vier Männer in einem Raum, um sich auszusprechen. Sie verhielten sich wie Kinder, nur warfen sie sich Worte an den Kopf anstelle von buntem Spielzeug.

Es fehlte vielleicht nur ein einziger Erwachsener, der sagte: Hört zu, Kinder, im Waldorf Astoria spielt man nicht.

© SZ vom 11.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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