Nationalelf schlägt Brasilien:Gigantische deutsche Euphorie

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Irgendetwas ist geschehen in Stuttgart: Deutschland besiegt den fünfmaligen Weltmeister, Brasiliens Trainer Mano Menezes ernennt den deutschen Fußball zum Vorbild für seine Seleção. Bundestrainer Joachim Löw freut sich über Mario Götze, André Schürrle und den neuerlichen Konkurrenzkampf - und denkt trotzdem an Spanien.

Carsten Eberts, Stuttgart

Um die Worte von Mano Menezes richtig einzuordnen, lohnt der Blick zurück ins Jahr 2006. Die deutsche Elf spielte damals passabel Fußball, erfreute sich junger Gesichter, hatte dazu mit Jürgen Klinsmann einen Teamchef, der alles etwas positiver strahlen ließ, als es letztendlich war. Und doch hatte die Nationalelf auch eine ätzende Debatte am Hals: Wann endlich würde mal wieder ein Sieg gegen einen sogenannten Großen gelingen, eine Nationalelf mit klangvollem Namen?

Symbol des Höhenflugs der deutschen Nationalelf: André Schürrle, einer der jungen Wirbler im Mittelfeld. (Foto: dapd)

Die Siege kamen bald, jedoch mit unbefriedigendem Endergebnis. Bei der WM 2006 schlug man Argentinien, um anschließend gegen Italien zu verlieren. 2008 gab es einen Erfolg gegen das hochgelobte Portugal, im Finale eine ernüchternde Niederlage gegen Spanien.

2010 in Südafrika gewann die deutsche Elf im Achtelfinale mit Glück und Geschick gegen England, im Viertelfinale dann berauschend gegen von Nationaltrainer Diego Maradona ramponierte Argentinier. Im Halbfinale wartete jedoch erneut Spanien - und Deutschland verlor. Die Titel holten jeweils andere, dieser Makel blieb, die Deutschen waren letztlich stets bezwingbar.

Nach dem 3:2-Testspielsieg am Mittwochabend in Stuttgart gegen Brasilien thronte der südamerikanische Trainer nun also auf dem Podium der Pressekonferenz. In seinem hellen Anzug sah er niedergeschlagen aus, ernüchtert, und was er sagte, war sicher nicht nett gemeint. Mano Menezes sprach aus tiefer Bewunderung: "Deutschland hat eine Qualität in der Mannschaft, die über Jahre gewachsen ist", sagte Menezes, "so weit sind wir in Brasilien noch lange nicht."

Was war an diesem Abend also geschehen? Der Anbruch einer neuen Zeit? Ein Paradigmenwechsel? Deutschland hechelte offenbar nicht mehr hinterher, vielmehr erhob der Trainer einer gigantischen Fußballnation den deutschen Fußball zum großen Vorbild. Nicht, weil die Deutschen früher mal gut waren und per Definiton eine Turniermannschaft sind. Sondern weil Menezes tatsächlich beeindruckte, was er zuvor gesehen hatte.

Freilich, das darf nicht unerwähnt bleiben, befindet sich der brasilianische Fußball im Umbruch - der Verband hat alles dem Ziel untergeordnet, 2014 die Heim-WM zu gewinnen.

Für ein Freundschaftsspiel zu diesem fragwürdigen Termin war es eine hochklassige Partie - der Erkenntnisgewinn lag deshalb weit über dem normaler Testspiele. Deutschland besiegte keinesfalls schlechte Brasilianer, durch einen Elfmeter von Bastian Schweinsteiger (61. Minute), jedoch vor allem durch zwei begeisternde Tore der beiden überragenden Jungspieler Mario Götze (67.) und André Schürrle (81.).

Brasilien hatte zwar immer noch die begabteren Einzelakteure, vor allem Neymar und Pato, konnte dies jedoch selten für gezielte Offensivaktionen nutzen. "Wir konnten nie gleichziehen", erklärte Menezes deshalb, "Deutschland war klar die bessere Mannschaft."

Einzelkritik der Nationalelf
:Führungsspieler mit feinen Füßchen

Mario Götze spielt beim 3:2 gegen die Seleção brasilianischer als manch Brasilianer, Manuel Neuer wird überraschend herabgestuft, obwohl er chancenlos ist und Bastian Schweinsteiger agiert als geheimniskrämerischer Leitwolf, der dem Gegner erst auf dem Platz seine Künste vorführt. Die deutsche Elf in der Einzelkritik.

Carsten Eberts, Stuttgart

Menezes Bewunderung klang tatsächlich ehrlich. Er hatte gesehen, wie die deutsche Mannschaft vor allem im Mittelfeld dieses Spiel gewann. Sein Kollege Löw war Risiko gegangen, bot mit Schweinsteiger nur einen echten Sechser auf, gestattete Götze, Müller und Kroos, später auch Schürrle, weitaus offensivere Rollen.

Einzelkritik der Nationalelf
:Führungsspieler mit feinen Füßchen

Mario Götze spielt beim 3:2 gegen die Seleção brasilianischer als manch Brasilianer, Manuel Neuer wird überraschend herabgestuft, obwohl er chancenlos ist und Bastian Schweinsteiger agiert als geheimniskrämerischer Leitwolf, der dem Gegner erst auf dem Platz seine Künste vorführt. Die deutsche Elf in der Einzelkritik.

Carsten Eberts, Stuttgart

Entscheidend jedoch war, wie diese Spieler blitzschnell in den Abwehrmodus umschalteten und das brasilianische Spiel damit lahmlegten. Da machte es auch nichts, dass die Stürmer (Gomez, Klose) diesmal ohne Tor blieben und beide Gegentore durch deutsche Fehler (Lahm, Boateng) in der ansonsten recht sicheren Defensive begünstigt wurden.

"Wir sind schon davon ausgegangen, dass wir dieses Spiel gewinnen", sagte Thomas Müller nach dem Spiel mit Genugtuung: "Brasilien hat große individuelle Klasse, aber wir sind als Mannschaft aufgetreten. Und Fußball ist immer noch eine Mannschaftssportart."

Sogar Bundestrainer Löw fiel es nach dem Spiel schwer, die Euphorie zu bremsen. "Wir haben mit Lust und Freude gespielt, die Mannschaft hat das klasse gemacht", erklärte Löw, stolz, natürlich mit Blick auf die jungen Götze, Schürrle oder Kroos, die in der zweiten Hälfte erstaunlich blind harmonierten. Anschließend setzte der Bundestrainer zu einem noch größeren Lob an - zumindest aus seinem Munde: "Das Spiel war fußballerisch ziemlich gut von uns."

Löws wertvollste Erkenntnis war indes keine ganz neue: Er hat junge, unbekümmerte Spieler, die mittlerweile eine solch hohe Qualität haben, dass er sie gegen große Gegner wie Brasilien gewinnbringend einsetzen kann. "Es ist ein gutes Gefühl, dass ich Spieler wie Özil oder Khedira mal zu Hause lassen kann", sagte Löw. Dank Götze und Schürrle, erst 19 und 21 Jahre alt, ist der Konkurrenzkampf noch größer geworden. Löw sieht das ausschließlich positiv: "Ich bin froh, wenn ich 20 Topleute habe. Die brauchen wir, wenn wir demnächst Titel gewinnen wollen."

Das war sie dann doch, die Frage nach dem formidablen Endergebnis bei einem Turnier. Ganz oben sieht Löw das deutsche Team nämlich noch nicht nicht angekommen. Sein Blick geht zwangsläufig nach Spanien. "Die Wertschätzung der Brasilianer ist extrem groß, natürlich freut mich das", sagte Löw. "Aber um die Spanier zu attackieren, müssen wir uns verbessern. Unsere Entwicklung ist sehr gut, aber das heißt noch lange nicht, dass wir uns mit dem Weltmeister messen können."

So sah es auch sein Kapitän Philipp Lahm: "Der Sieg gegen Brasilien ist ein großer Erfolg", sagte der Münchner. "aber wir müssen schauen, dass wir zur EM topfit sind." Dort droht als Gegner dann erneut Spanien - spätestens im Finale.

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