Deutscher Schwimm-Verband:"Das ist ein Versuch, mich abzusägen"

Schwimmen: Weltmeisterschaft

In der Kritik: Henning Lambertz.

(Foto: dpa)
  • Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz wehrt sich gegen die Kritik an seinen umstrittenen Methoden.
  • Er will weitermachen wie bislang - und findet seine Widersacher destruktiv.

Von Claudio Catuogno, Budapest

Jürgen Küchler war am Samstag ein gefragter Mann. Zu Hause in Leipzig saß der 62-Jährige vor dem Bildschirm und analysierte die Videos von der Schwimm-WM in Budapest. Am Samstagabend setzte er zum Beispiel den Weltrekord der Schwedin Sarah Sjöström über 50 Meter Freistil (23,67 Sekunden) in Bezug zur bisherigen Bestmarke von Britta Steffen aus dem Jahr 2009 (23,73). Blockzeit, Auftauchpunkt, Durchgangsgeschwindigkeiten, Frequenzen. Diverse Trainer greifen auf diese Blitz-Analysen gerne zurück. Zwischendurch klingelte das Telefon - denn der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) ist ins Zentrum eines Sturms geraten, seitdem die SZ am Samstag aus einem Brief zitiert hatte, in dem Küchler den Chef-Bundestrainer Henning Lambertz kritisiert.

Die Kritik ist so harsch und umfassend, dass Lambertz am Samstag in Budapest sagte: "Das ist ein Versuch, mich abzusägen. So kann man, so muss man diesen Brief verstehen. Er möchte, dass ich gehe und dass sich andere Leute auf den Stuhl setzen."

Küchler ist am IAT seit 25 Jahren für den Schwimmsport zuständig. Britta Steffen, die Doppel-Olympiasiegerin von 2008, hat ihm einst eine ihrer Medaillen geschenkt, aus Dankbarkeit für seine Unterstützung. Im vergangenen November schrieb Küchler an die neu gewählte DSV-Präsidentin Gabi Dörries. Er müsse "hilflos zusehen, wie in kurzer Zeit das zugrunde gerichtet wird, was wir über lange Jahre mühevoll am Laufen gehalten haben", schrieb er. Und: "Herr Lambertz ist dabei, den Leistungssport/Schwimmen im DSV noch tiefer in die Grube zu fahren."

Lambertz sei "beratungsresistent", sagt Küchler

Lambertz kannte den Brief bisher nicht. Dörries hatte ihn seinerzeit zurückgehalten, um die Vorbereitung auf die im Dezember anstehende Kurzbahn-WM nicht zu stören. Nun besorgte der Chef-Bundestrainer sich den Brief, las - und ging in Budapest in die Gegenoffensive.

Das IAT sei ein wichtiger Kooperationspartner, sagte Lambertz: "Nur dieser eine Mitarbeiter ist vor ein paar Jahren stehengeblieben und will sich nicht weiterentwickeln. Er sucht die große Bühne der WM und nimmt denen, die jetzt eigentlich da hingehören, das Rampenlicht." Küchler habe zudem dem Verband "seit Jahren nicht geholfen, aus dieser Krise rauszukommen".

Dabei müsste der Chef-Bundestrainer eines zumindest wissen: dass Küchler immer gerne der Mann im Hintergrund war. Dass er noch nie das Rampenlicht gesucht hat. Die Medaille von Britta Steffen, eine goldene über 50 Meter Freistil von den Europameisterschaften 2012 in Debrecen, hat er nur unter Protest angenommen. Und auch den Brief, auf den er von Gabi Dörries nie eine Antwort bekam, hatte er ja nicht aktiv an die Öffentlichkeit gegeben.

Er hatte dann aber, mit dem Inhalt des Schreibens konfrontiert, beschlossen, dass er auch öffentlich zu seiner Kritik stehen will. Er hat das Gefühl, dass er sich das eher erlauben kann als viele andere Lambertz-Kritiker, mit denen er sich regelmäßig austauscht. Er ist Anfang 60. Kurz vor der Pensionierung. Also wiederholte Küchler seine Meinung auch, als der Sportinformationsdienst sich bei ihm meldete mit der Frage, was genau ihn am Umgang mit Henning Lambertz störe. "Man bekommt ein hübsches Dankeschön, wenn man ihn auf Probleme hinweist, aber es gibt keine inhaltliche Diskussion", sagte Küchler dem sid: "Wenn es um Dinge geht, die seinen Vorstellungen nicht zu 100 Prozent entsprechen, ist er beratungsresistent."

Lambertz' Wissenschaftler verteidigen das Konzept

Es geht also, wie so häufig zuletzt im deutschen Schwimmen, um Fragen des Umgangs. Es geht darum, ob Lambertz auch alternative Wege zulässt bei jenen Trainern, die mit anderen Herangehensweisen schon Erfolge zu verzeichnen hatten. Ob er sich Rat sucht, Rat annimmt, ob er seriös analysiert, ob er eigene Fehler einräumt oder überspielt. Lambertz treffe zu viele Aussagen "nach Gefühl" statt aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse und konkret erhobener Daten, das ist Küchlers Eindruck. Er versammele "Seher" und "innovative Macher" um sich, schrieb er der DSV-Präsidentin. Teiles des inzwischen berühmten "Kraftkonzepts", das Lambertz als einen wichtigen Beitrag dazu ansieht, bis zu Olympia 2020 in Tokio relevante Leistungssprünge bei den deutschen Schwimmern zu erreichen, hält Küchler für kontraproduktiv.

Lambertz brachte deshalb am Samstag in Budapest seinen eigenen Wissenschaftler mit: Stefan Fuhrmann, trainingswissenschaftlicher Mitarbeiter am Olympiastützpunkt in Hamburg. Er ist einer der Verfasser des neuen 110-seitigen Rahmentrainingsplans, und stellte klar: "Das ist definitiv kein Bauchgefühl oder eine Kurzschlussreaktion von einigen Leuten, sondern ein fundierter und datenbasierter Rahmentrainingsplan." 350 wissenschaftliche Quellen seien eingeflossen. Sehr verkürzt geht es um die Frage, wie die Schwimmer in Zukunft zu ihrer Kraft kommen sollen. Küchler befürchtet, dass die von Lambertz' Team vorgegebenen Übungen mit Gewichten im Kraftraum zu wenig an die individuellen Schwimmerkörper angepasst sind. Und dass Lambertz vor lauter Fokussierung auf das Thema Kraft andere wichtige Aspekte vernachlässigt.

Trotz des zunehmenden Gegenwinds, das stellte Lambertz klar, will er sich nicht von seinem Weg abbringen lassen. "Es gibt Kritik an den Dingen, die ich mache. Es gibt aber keine Gegenvorschläge, wie es besser geht. Solange ich die nicht auf dem Tisch habe, kann ich die Kritik - sorry, wenn ich das sage - nicht ernst nehmen", sagte Lambertz etwa im ARD-Radio. Er fühle außerdem "weiter extremen Rückhalt durch die Präsidentin", versicherte Lambertz später in einer Presserunde. Jürgen Küchler hingegen legt Wert auf die Feststellung, dass er regelmäßig sehr konkrete Vorschläge gemacht habe, insbesondere zur Optimierung der Höhentrainingslager.

Etwa 20 aktive Schwimmer haben einen Brief an Dörries unterzeichnet

Nach SZ-Informationen ist Küchler zudem nicht der einzige, der seinem Unmut schriftlich Ausdruck gegeben hat. Im Frühjahr 2017 haben auch etwa 20 aktive Schwimmer einen Brief an Dörries unterzeichnet, in dem unter anderem Kritik an den Rahmenbedingungen und am Führungsstil geäußert wurde. Als Reaktion auf diesen Brief gab es bereits eine Aussprache zwischen Dörries und Athleten bei den Deutschen Meisterschaften vor fünf Wochen in Berlin, die von Beteiligten als sehr konstruktiv empfunden wurde.

Und auch am Freitagabend fand eine Aussprache statt, mit dem Lagenschwimmer Philip Heintz, 26, der nach Rang sieben über 200 Meter Lagen eine öffentliche Wutrede gehalten hatte. Tenor: Die zeitlichen Planungen des DSV hätten ihn eine Medaille gekostet. Außerdem beklagte er mangelndes Vertrauen seitens des Chef-Bundestrainers. "Es war ein freundschaftliches, ruhiges Gespräch in intimer Atmosphäre", berichtete Lambertz nun. "Philip hat sich am Ende entschuldigt und einsichtig gezeigt. Es sollte nicht noch mal vorkommen, aber damit ist die Sache aus der Welt."

Heintz' öffentliches Vorpreschen bezeichnete Lambertz als "kleinen Fehltritt". Über Jürgen Küchler ärgerte er sich deutlich mehr. Dabei war Küchler ja gar nicht vorgeprescht. Er wurde halt gefragt. Und hat dann gesagt, was er denkt.

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