Eigentlich war alles wie immer. Pep Guardiola kam in den Presseraum, nahm ein paar Glückwünsche entgegen, setzte sich hinters Mikro und sagte: "Wir sind sehr zufrieden." Zwischen dem Anlass seiner Rede und der Nüchternheit seines Auftritts tat sich ein Abgrund auf, in dem der historische Augenblick zu versinken drohte. Doch da war dieses kleine Detail, eine Winzigkeit, die anders war als sonst. Der Knoten seiner Krawatte über dem weißen Hemd unter dem roten Pullunder war verrutscht. Ein kleines bisschen nur, aber es störte den Bayern-Trainer nicht. Das war der Beweis: Pep Guardiola war glücklich.
Das Bild des Perfektionisten mit der verrutschten Krawatte war symbolisch für die Meistersause des FC Bayern München, der gerade mit einem 3:1-Sieg bei Hertha BSC Berlin seinen Titelgewinn perfekt gemacht hatte. Mit aktuell sagenhaften 25 Punkten Vorsprung. Freilich, die Mannschaft gab sich nach dem Schlusspfiff ausgelassener als ihr Trainer: Angeführt von Partykönig Franck Ribéry starteten sie eine Polonaise über die blaue Laufbahn des Berliner Olympiastadions, sie hüpften und sangen mit den Bayern-Fans in der Kurve, reckten Meisterschalen aus Pappe in die Luft. Doch keine Viertelstunde später waren die meisten Spieler schon wieder in der Kabine verschwunden. Derangiert sah keiner von ihnen aus, die Frisuren saßen, die Meister-T-Shirts waren trocken, die Bierdusche war ausgefallen.
Auf dem Weg zur Kabine machte Manuel Neuer einen kurzen Stopp bei den Journalisten und sagte: "Wir sind glücklich und stolz." Er sagte aber auch, dass das Meisterwetter im März "ein bisschen kalt" sei. Auf die Frage, wie der Abend jetzt weitergehe, zuckte der Münchner Torwart nur mit den Schultern: Keine Ahnung, aber "beim FC Bayern ist man es gewohnt, dass alles top organisiert ist". Ein bisschen zu kalt, ein bisschen zu organisiert - ja, so war er, Bayerns Meisterabend.
Dass der Bayern-Jubel etwas Geschäftsmäßiges hatte, mag arrogant wirken und selbstgefällig. In Wahrheit aber zeigte sich auch im Jubel das Bewundernswerte am Meisterjahrgang 2014. Eine spontane, wilde Sause hätte einfach nicht gepasst zu einem Team, dessen Stärke in dieser Liga-Saison ja gerade darin lag, sich trotz Überlegenheit nicht in Selbstzufriedenheit zu verlieren - sondern immer fokussiert zu bleiben, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sein Spiel zu perfektionieren.
"Wenn du einen Titel gewinnst, musst du feiern", sagte Pep Guardiola zwar, doch die Après-Feier in einer Berliner Szene-Bar war eher kurz, gemessen am Anlass jedenfalls. Die ersten Spieler kamen schon vor drei Uhr morgens ins Hotel zurück.
Dass man beim FC Bayern sehr wohl sehr glücklich war, zeigte sich in den kleinen Gesten und Geschichten des Abends. Bestes Beispiel auch hierfür: Pep Guardiola. Nicht nur, dass ihm die schiefe Krawatte egal war. Der Katalane - sonst streng auf den Schutz seiner Privatsphäre bedacht - ließ unmittelbar nach Schlusspfiff tief in seine Seele blicken.
Während seine Spieler an der Mittellinie Ringelreihen tanzten, saß er auf der Trainerbank und telefonierte. Mit wem er da gesprochen habe, wollten die Reporter hinterher wissen. "Mit meiner Frau", sagte Guardiola, räusperte sich, mehr sagte er nicht. Musste er auch nicht. Allein die Tatsache, dass er sein Glück zuallererst mit seiner Frau teilen wollte, zeigte ja, wie viel ihm der Triumph bedeutet.
Einmal noch, ganz kurz, wurde Guardiola auf der Pressekonferenz sentimental. Als er die Meisterschaft Uli Hoeneß widmete, "der wichtigsten Person in diesem Verein". Dann aber meldete sich der kühle Perfektionist in ihm zurück. Die Liga sei zwar entschieden, doch müsse man die übrigen sieben Spiele jetzt nutzen, um "unser Tempo, unseren Rhythmus in jedem Spiel zu verbessern." Schließlich gebe es ja noch den DFB-Pokal und die Champions League, "das wird sehr, sehr schwierig".
Dann stand er auf, schüttelte Hertha-Trainer Jos Luhukay die Hand, schlenderte in Richtung Ausgang und rückte die Krawatte zurecht. Der FC Bayern hat noch einiges vor.