Deutscher Fußballtrainer in Iran:Tribünenplatz in Teheran

"Mit Politik beschäftigen wir uns nicht": Seit Sommer arbeitet der Deutsche Rainer Kraft bei Esteghlal Teheran - und muss sich an manche Besonderheit gewöhnen.

Johannes Aumüller

Rainer Kraft brauchte nicht lange, um zu verstehen, dass die Iraner erstens ein sehr gastfreundliches und zweitens ein sehr fußballbegeistertes Volk sind. Als er im Juli kurze Zeit nach seinem Amtsantritt als Co-Trainer von Esteghlal Teheran mit einem Begleiter durch die Straßen der iranischen Hauptstadt schlenderte, hielt auf einmal ein Wagen neben ihnen. Der Fahrer jubelte laut - und fuhr Kraft und seinen Begleiter ohne Umschweife und selbstverständlich umsonst nach Hause. Allerdings hatte der Straßenjubel und der Heimbringservice weniger mit Kraft zu tun, als vielmehr mit seinem Begleiter Erich Rutemöller, der bis Sommer Berater der iranischen Nationalelf war und jetzt als Sportdirektor von Esteghlal arbeitet - und in Iran, wo sie ihn wegen der Unaussprechlichkeit seines Namens wahlweise "Rute" oder "Möller" nennen, ungemein populär ist.

Jener Erich Rutemöller war es auch, der Kraft das Engagement bei dem iranischen Traditionsklub Esteghlal Teheran (zu Deutsch: Unabhängigkeit) vermittelte. "Ich bin hier nicht aus Abenteuerlust, sondern weil ich arbeiten wollte und in Deutschland arbeitslos war", sagt der frühere Trainer des VfR Aalen und der Stuttgarter Kickers - und im iranischen Fußball lässt sich durchaus gutes Geld verdienen.

Deutsche Trainer genießen in Iran großes Ansehen, und Kraft ist längst nicht der erste deutsche Coach im Land. Unter anderem Werner Lorant, Rainer Zobel und zuletzt Pierre Littbarski waren dort schon tätig. Doch Kraft fällt aus zweierlei Gründen aus dem Rahmen: Zum einen ist er der erste deutsche Trainer in Iran, der keinen international bekannten Namen hat, und zweitens wagte er den Wechsel in die Iranian Pro League ausgerechnet zu einer Zeit, in der sich die nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen im Juni entstandenen Unruhen auf dem Höhepunkt befanden. Bedenken ob der politischen Lage hatte und hat er nicht, aber "Sie können sicher sein, dass ich im ersten Flieger nach Deutschland sitze, wenn sich die Situation für Ausländer dramatisch ändern sollte".

Der 46-Jährige will sich ohnehin auf seine sportlichen Aufgaben konzentrieren. "Wir beschäftigen uns nicht mit Politik. Wir sind als Fußballertrainer hier, um Fußball zu spielen und zu trainieren", sagt er und verhält sich damit so, wie sich alle Fußballtrainer verhalten, die in politisch umstrittenen Ländern einen Job annehmen. Dabei lassen sich in Iran Fußball und Politik nicht ohne weiteres trennen: Vom Stadionverbot für Frauen über die Eingriffe der Regierung in die Nationalelf bis hin zu der Tatsache, dass der Stadionbesuch eine der wenigen erlaubten Vergnügungen ist, spielen die Auswirkungen des Regimes auf den Fußball eine Rolle.

Aus rein sportlicher Sicht hat Kraft in den ersten Wochen einiges erreicht. Zwar ist er in der Hierarchie lediglich der Assistent von Cheftrainer Samad Marfavi, aber gemeinsam mit Sportdirektor Rutemöller übernimmt er im Wesentlichen die Trainingsplanung und die Trainingssteuerung. Deswegen hat er seinen Anteil daran, dass die Mannschaft nach zehn Spieltagen noch ungeschlagen ist und mit 19 Punkten und einem Torverhältnis von 13:3 Toren auf Platz zwei liegt. "Der Spielstil hat sich in den vergangenen Wochen sehr verbessert", sagt Kraft, der den iranischen Spielern ein hohes technisches Niveau und eine gute Physis, aber Mängel im taktischen Bereich und vor allem in der Chancenverwertung bescheinigt.

Umso verärgerter war Kraft, dass seine Elf ausgerechnet im Derby gegen Perspolis an diesem Wochenende ihre "bisher schlechteste Saisonleistung" zeigte. Das Duell zwischen den regierungsnahen Teams Esteghlal und Perspolis ist von seiner Brisanz her vergleichbar mit Derbys wie Schalke gegen Dortmund - und ein Sieg gegen den Stadt-Rivalen für viele Fans wichtiger als die Meisterschaft.

Auf der Bank ist kein Platz für ihn

Doch die mehr als 90.000 Zuschauer im Teheraner Azadi-Stadion, die zu einem Großteil schon etliche Stunden vor dem Anpfiff der Partie im Stadion waren, um sich auf die Partie einzustimmen, sahen zum wiederholten Mal ein Remis: Wie die fünf vorangegangen Aufeinandertreffen endete das Spiel 1:1. Nun bleibt nur die Hoffnung, dass es im Rückspiel besser läuft. Neben dem Sieg gegen den Stadtnachbarn hat der letztjährige iranische Meister ein weiteres großes Ziel: ein erfolgreiches Abschneiden in der asiatischen Champions League, die im Kalenderjahr 2010 ausgetragen wird.

In seinen Wochen in Teheran hat sich Kraft schon an die eine oder andere Besonderheit gewöhnt. An die abendlichen Trainingseinheiten im muslimischen Fastenmonat Ramadan beispielsweise. An die mehr als zehn Sport-Tageszeitungen, die über jedes Randereignis des Vereins ausführlich berichten. Daran, dass nicht alles so durchorganisiert ist wie in Europa. Oder auch an die Tatsache, dass er als Co-Trainer nie auf der Bank sitzen kann, sondern das Spiel immer von der Tribüne aus verfolgen muss.

Der Trainerstab, der neben den acht Auswechselspielern auf der Ersatzbank Platz nimmt, darf nur aus sieben Personen bestehen - und die Vereinsführung von Esteghlal hatte im Sommer vergessen, den deutschen Assistenten für einen dieser sieben Plätze zu melden. "Jetzt haben wir aus der Not eine Tugend gemacht. Von oben sieht man manche Sachen besser, und jetzt kann ich mal schnell anrufen oder in der Halbzeit die Analyse anders vorbereiten."

Einen Vertrag über ein Jahr hatte Kraft im Sommer unterschrieben. Ob er auch in der nächsten Saison noch Spiele von der Tribüne des Azadi-Stadions aus anschauen wird, weiß er noch nicht. "Natürlich wünsche ich mir, dass ich in Zukunft auch in Deutschland beweisen kann, dass ich ein guter Trainer bin", sagt er. Daran ändern auch die iranische Gastfreundschaft und die iranische Fußballbegeisterung nichts.

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