Deutscher Fußballer in China:Aus Andy wird Nie Ling Fung

Andy Nägelein spielte in Deutschlands zweiter und dritter Liga Fußball. Dann wechselte er nach China zu Shenzhen Ruby FC - und lernt seinen Sport von ganz anderen Seiten kennen.

Albert Linner

Früher hatte es Andy Nägeleins Freundin daheim in Franken leichter. Als er noch in Ostfriesland oder in der bayrischen Provinz Fußball spielte, konnte sie ihren Freund fast problemlos besuchen. "Emden, Burghausen, Schweinfurt war kürzer, obwohl sie da schon gemeckert hat", grinst der Fußballprofi. Seit einem Jahr haben sich die Dimensionen jedoch verschoben, das Wort Fernbeziehung eine ganz neue Bedeutung erhalten. Nägelein spielt seit einem Jahr beim Shenzhen Ruby FC - im Süden Chinas, 9000 Kilometer Luftlinie von Zuhause entfernt.

Andy Nägelein

Shenzhen statt Schweinfurt: Andy Nägelein wechselte Anfang 2010 nach China.

(Foto: imago sportfotodienst)

"Ich bin ein Mensch, der sich alles anhört. Ich bin für alles offen.", sagt der 29-Jährige. "Für mich war immer klar, dass ich mal ins Ausland gehen möchte." Dass es ihn bis nach China verschlägt, damit hat jedoch selbst er nicht gerechnet. Wenngleich ein gewisser Bezug immer da war: Nägeleins Mutter ist Hongkong-Chinesin. Er selbst ist in Hongkong geboren, in früher Kindheit aber nach Deutschland, in die Heimat seines Vaters, gezogen.

Nägeleins Stationen im deutschen Profifußball lesen sich nicht ganz so spektakulär: 1. FC Schweinfurt, 1. SC Feucht, Kickers Emden. Das höchste der Gefühle und Ligen war eine halbjähriges Gastspiel beim damaligen Zweitligisten Wacker Burghausen. Mehr als 71 Spielminuten bei zwei Einsätzen hatte er nach einem halben Jahr aber nicht auf dem Konto. 2009 verabschiedete sich Nägelein aus Deutschland zunächst zu APEP Pitsilia in Zypern, wo nach vier Monaten plötzlich ein ungewöhnliches Angebot herein flatterte. "Mein Berater hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, in China zu spielen." Hatte er. "Ich bin runtergeflogen, habe mir alles angeschaut und mich dazu entschieden, es zu wagen."

Aus Andy Nägelein wurde "Nie Ling Fung" - sein Name in Mandarin. Er zog nach Shenzhen, in eine Stadt, die mehr Einwohner als jede europäische Stadt hat, hierzulande aber kaum bekannt ist. Vor 30 Jahren hatte der Ort in der südchinesischen Provinz Guangdong auch tatsächlich nur 30.000 Einwohner. Dann wurden Shenzhen die Stadtrechte zugesprochen, es entwickelte sich zur "Boomtown" und zählt heute zu den modernsten und jüngsten Großstädten Chinas. 14 Millionen Menschen leben hier, die meisten davon sind unter 30 Jahre alt.

Vom Wirtschaftsboom hat auch Chinas Fußball und der örtliche Fußballklub Shenzhen Ruby FC profitiert. Nägelein ist nicht der einzige ausländische Profi in Shenzhen - mit ihm spielen der neuseeländische Nationalspieler Chris Killen und Vyacheslav Hleb, Bruder von Aleksandr. Gezahlt wird schließlich ordentlich. Das Gehaltsgefüge in der Chinese Football League (CSL) vergleicht Nägelein mit dem oberen Bereich der zweiten Bundesliga in Deutschland. "Wenn man sich die Fuhrparks bei manchen Vereinen anschaut, hat das sogar Bundesliga-Niveau."

Der Fußball in China ist stark im Kommen, die Nicht-Qualifikation der Nationalmannschaft für die Weltmeisterschaft 2010 soll der letzte Ausrutscher gewesen sein. Auch in die gerade gestarteten Asien-Meisterschaften setzt China große Hoffnungen. "Die Chinesen haben sehr gute Fußballer. Sie sind in der Regel sehr schnell und trickreich. Wo sie noch Nachholbedarf haben, ist im taktischen Bereich", meint Nägelein. In China wird derzeit jedoch alles dafür getan, diesen Rückstand zu verkleinern. "Das wirkt sich natürlich auch auf die Professionalität der Liga aus."

"China ist kein schlechter Markt. Die Zeiten, in denen nur gealterte Profis dorthin gewechselt sind, um noch ein bisschen Geld zu verdienen, sind vorbei", bestätigt Nägeleins Berater Andreas Hofmann. "Auch Andy musste anfangs zulegen." Mit Erfolg: 25 von 30 Saisonspielen hat er bestritten, war von Anfang an Stammspieler im defensiven Mittelfeld. Die Saison begann mit einer Siegesserie verheißungsvoll, am Ende konnte Nägeleins Mannschaft den Abstieg aus der Super League jedoch nur knapp vermeiden.

Wettskandal und Diskussionen im Taxi

Wenngleich Chinas Liga sportlich noch nicht auf Augenhöhe ist, auf einem anderen Gebiet gibt es bereits Parallelen zum europäischen Fußball - allerdings auf einem weniger erfreulichen. Im Jahr 2009 kam ein großer Wettskandal ans Licht, mehrere Spieler, Schiedsrichter und hohe Funktionäre wurden damals festgenommen. Beim Zuschauerzuspruch erlitt die chinesische Liga einen Knacks. Derzeit befindet man sich in einer Art Konsolidierung. Die Verantwortlichen, so heißt es, schauen den Spielern, Trainern und Schiedsrichtern genau auf die Finger.

Der Eindruck von großer Transparenz soll die bösen Geister vertreiben. "Es wird schon sehr, sehr ernst genommen. Wir hatten sehr viele Meetings mit der CSL, bei denen auf vieles hingewiesen wurde, auch die Polizei war mal da", erzählt Nägelein. Über andere Kanäle ist in Sachen Wettbetrug im autokratischen China nicht viel zu erfahren: "Man bekommt da nicht so viel mit. Die chinesischen Spieler reden über solche Sachen wenig."

Nägelein hatte zu Beginn aber ohnehin mehr mit sich selbst zu tun: "Wenn man in so ein fremdes Land geht, ist schon ein bisschen Skepsis da." Die Herkunft seiner Mutter erleichterte Nägelein dabei die Eingewöhnung. So leben in Hongkong, also in direkter Nachbarschaft zu Shenzhen, Verwandte des Deutschen. Auch deshalb fiel die Entscheidung letztendlich auf die Metropole in Südchina. "Shenzhen und Hongkong sind ja quasi wie Nürnberg und Fürth." - nur eben 30 Mal größer.

An alles hat sich Nägelein aber noch nicht gewöhnen können. Vor allem das Klima in Chinas Süden ist zuweilen hart an der Grenze des Verträglichen. "Wenn du zu Hause spielst, hast du 40 bis 50 Grad. Das ist schon eine Tortur. Eine Woche später fliegst du dann in den Norden und spielst bei 20 Grad." Abgesehen davon findet sich Nägelein aber gut zurecht, Sprachbarrieren im Alltag nimmt er mit Humor: "Ich hatte mit manchen Taxifahrern schon lustige Diskussionen, wenn die wieder nicht wussten, wohin ich will."

In der Mannschaft ist die Verständigung ohnehin kein Problem: "Die meisten können Englisch, wir haben auch einen Dolmetscher. Ansonsten lernt man natürlich schon die Grundbegriffe auf Chinesisch, wie etwa links, rechts, vor, zurück, Hintermann, Stopp. Sonst spricht man mit Händen und Füßen."

Wie lange Nägelein seine Gebärdensprache perfektionieren kann, ist noch unklar. Mehrere Angebote liegen dem 29-Jährigen vor, auch eine Vertragsverlängerung ist möglich. "Grundsätzlich hätte ich nichts dagegen, noch ein paar Jahre in China zu spielen." Auch seine Freundin hat sich mittlerweile mit der großen Distanz abgefunden. Im Vier-Wochen-Rhythmus kommt sie zu Besuch - auch wenn Shenzhen nicht Schweinfurt ist.

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