Süddeutsche Zeitung

Deutsche U 21 in der Einzelkritik:Vollands Kunstwerk

Der Stürmer schießt einen filigranen Freistoß, Amin Younes bekommt Angst vor Knöllchen und Matthias Ginter erlebt einen seltenen Moment. Die U 21 beim 3:0 gegen Dänemark in der Einzelkritik.

Von Matthias Schmid, Prag

Marc-André ter Stegen

Dramatik ist nicht die Sache von ter Stegen. Der Torhüter sieht die Dinge des Lebens eher pragmatisch. Es sei nichts "Weltbewegendes passiert" sagte er, nachdem er die Champions-League mit dem FC Barcelona gewonnen hatte. So verrichtet er auch seinen Dienst auf dem Rasen: unaufgeregt. Verliert die Fassung nur, wenn Leonardo Bittencourt in der Kabine Musik auflegt, "dann werde ich fast depressiv", klagte ter Stegen. Machte Fehler nur beim Aufwärmen, als er einen Ball von Torwarttrainer Klaus Thomforde durch die Arme rutschen ließ. Im Spiel weitgehend ohne Beschäftigung, klatschte deshalb am Ende noch einen deutschen Flitzer ab.

Julian Korb

Spielt nicht so, als ob er ums Überleben kämpft. Er versteht Fußball als Spiel, findet als rechter Außenverteidiger sowohl defensiv als auch offensiv oft leichte Lösungen für schwierige Situationen. Auf ihn trifft die Aussage von Horst Hrubesch nicht zu, der vor der Partie gegen Dänemark bekannte, dass bei der EM "jeder ums Überleben kämpfen muss".

Matthias Ginter

Begann gegen Dänemark zaghaft, fehlerhaft, kämpfte sich aber in die Partie und spielte fortan sehr abgeklärt. Wenn er so spielt, ahnt man, warum er im vergangenen Jahr den WM-Pokal küssen durfte. Erlebte zudem einen seltenen Moment als Abwehrspieler: Er durfte sich als Torschütze feiern lassen, weil er das 3:0 köpfelte.

Dominique Heintz

Sieht manchmal so aus, als würde er auf dem Rasen mit dem Ball kämpfen, gegen Dänemark kam er kurzfristig in die Anfangself, weil Robin Knoche leicht erkältet ist. Kämpfte zu Beginn auch gegen die Nervosität, nicht ums Überleben, hat den Körper eines Möbelpackers, wirkt deshalb manchmal etwas eckig, kann aber doch ganz ordentlich mit dem Ball umgehen und viele Bälle ablaufen. Darf als Innenverteidiger wiederkommen.

Nico Schulz

Hat in Prag schon mal drei Tage am Stück ohne Schlafen überlebt. Nach dem Erstligaaufstieg mit Hertha vor zwei Jahren endete die Berliner Abschlussfahrt in den engen Gassen der Altstadt. In der ersten Hälfte hatte man den Eindruck, als ob er deswegen noch immer ein Schlafdefizit aufholen müsste, weil er in der Abwehrarbeit sehr unkonzentriert wirkte und schlampige Pässe spielte. Nach dem Seitenwechsel konnte er sich ein bisschen ausruhen, weil die Dänen hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt waren, hatte deswegen sogar Zeit für einen Torschuss.

Emre Can

Überlebte seine erste Saison in England als rechte Außenverteidiger, auf dieser Position so verschenkt wie Lionel Messi als Torhüter, deshalb will er in der neuen Saison auch Liverpool-Ikone Steven Gerrard im zentralen Mittelfeld beerben. Wenn er bei der EM so weiterspielt, ist das tatsächlich nicht utopisch: Spielte beim Führungstor Kevin Volland chirurgisch genau in den Fuß, letzte Pässe dieser Güte hat man selten von Gerrard gesehen. Wächst immer mehr auf natürliche Weise in die Chefrolle hinein, die er auch verbal so gern einfordert.

Joshua Kimmich

Nutzt die EM in Tschechien, um sich auf größere Bühne vorzustellen. Viele Fußballfreunde hatten sich gefragt, wer dieser Joshua Kimmich denn sei, für den der FC Bayern bereit ist, etwa sieben Millionen Euro auszugeben. Ist aber ein Spieler, wie es sich Pep Guardiola wünscht: Passsicher, technisch stark und mit intellektueller Philipp-Lahm-Attitüde. Hat aber auch Spaß an der Balleroberung, wie vor dem Traumpass von Can auf Volland.

Leonardo Bittencourt

Gilt mit dem südamerikanischem Blut in seinen Adern qua Geburt als Überlebenskünstler, er kämpft auf dem Platz nicht, sondern er tänzelt. Bittencourt will unbedingt zu Olympia in Rio, wo einige Verwandte von ihm wohnen. Gegen Serbien auf der linken Seite nach seiner Einwechslung sehr auffällig. Spielte gegen Dänemark von Beginn an - diesmal auf der rechten Seite. Da nicht ganz so auffällig wie auf der anderen Seite Younes, ist aber ein ganz feiner Techniker, der sich auch für biedere Zweikämpfe nicht zu schade ist.

Max Meyer

Kämpft nie mit dem Ball, er führt ihn so eng am Fuß, als wäre er ihm als sechster Zeh angewachsen. Verstand sich blendend mit seinem neuen Vordermann Volland, tauschte mit ihm auch ab und an die Position und besetzte die Zentrale, immer anspielbar und mit guten Ideen, traf in der zweiten Hälfte das Außennetz. (Archivbild)

Amin Younes

Überlebte die Tritte seiner dänischen Gegenspieler, ist bei seinen Aufsehen erregenden Tempodribblings so schnell, dass der linke Außenstürmer sogar Angst haben musste, dass die Polizisten im Stadion ihm wegen Geschwindigkeitsüberschreitung in der Kabine ein Knöllchen überreichen. Hätte fast nach einem feinen Doppelpass mit Volland das 2:0 erzielt, legte mit dem Außenrist das 3:0 für Ginter auf. Starkes Spiel.

Kevin Volland

Überlebte viele kalte Tage auf den Eisflächen im Allgäu, sein Vater war Eishockeyprofi, fühlt sich allein deshalb schon wohl in Prag, wo fast an jeder Ecke der tschechische Eishockey-Gott Jaromir Jagr von einem Werbeplakat herablächelt. Gegen Dänemark rückte er vom rechten Flügel ganz vorne in die Mitte, nicht seine Lieblingsposition, aber trotzdem bester Spieler auf dem Platz. Er verbindet Dynamik, Furchtlosigkeit und Finesse zu einer seltenen explosiven Mischung. Vollstreckte die Vorarbeit von Can kühl wie ein echter Stürmer, hat aber auch Freistöße im Repertoire. Zirkelte beim 2:0 den Ball so filigran mit links über die Mauer, dass sich dieses Kunstwerk mit Sicherheit auch Messi und Cristiano Ronaldo auf YouTube noch mal anschauen werden.

Einwechselspieler: Johannes Geis, Serge Gnabry, Felix Klaus

Johannes Geis: Spielte seinen ersten 13 Minuten bei der EM, viele hatten ihn als Stammspieler erwartet, war die Entdeckung der Bundesligasaison, aber mit Can und Kimmich hat er starke Konkurrenz im defensiven Mittelfeld. Kämpft nicht ums Überleben, sondern um Anerkennung. Serge Gnabry: Spielte seine ersten zehn Minuten bei der EM. Ein Torschuss. Felix Klaus: Spielte seine ersten acht Minuten bei der EM. Ohne Torschuss.

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