Deutsche Tennisspieler bei den French Open:Ein Hauch von Wembley

French Open tennis tournament at Roland Garros

Nun wartet der Weltranglistenerste: Tommy Haas bei den French Open

(Foto: dpa)

Die Deutschen spielen bei den French Open bemerkenswert. Tommy Haas bringt Michail Juschni zur Verzweiflung und steht erstmals im Viertelfinale von Paris. Beinahe wäre er dort auf Philipp Kohlschreiber getroffen, der nur knapp am Weltranglistenersten Novak Djokovic scheitert.

Von Milan Pavlovic, Paris

Eine Weile lang lag ein Hauch von Wembley über Paris. Tommy Haas war bereits ins Viertelfinale der French Open eingezogen, und nun piesackte Philipp Kohlschreiber die Nummer eins seines Sports, Novak Djokovic. Würde es zwei Wochen nach dem Champions-League-Finale in Fußball nun auch hier ein wichtiges deutsch-deutsches Duell geben? Kohlschreiber wirkte inspiriert, wohl auch durch die Erinnerung an seinen Sieg gegen den Serben in Paris vor vier Jahren. Er jagte Djokovic links und rechts über den Platz, wenn er ihn nicht gerade ins Leere schickte. Mit mörderischen Topspin-Schlägen brachte er den Serben in Verlegenheit, drängte ihn weit hinter die Grundlinie, um ihn dann mit gut verdeckten Stops zu brüskieren. Ein Raunen ging über den Court Central, noch bevor der 29-jährige Deutsche den ersten Satz mit 6:4 gewonnen hatte.

Mit einem Mal wirkte die Frage nicht mehr albern, ob es im Viertelfinale der French Open schon einmal einen innerdeutschen Zweikampf gegeben hat (Antwort: nein) und wann das zuletzt bei einem Grand Slam vorkam (Antwort: 1993 in Wimbledon, als Boris Becker nach seinem legendären Viertelfinal-Sieg Michael Stich die Hand auf den Rücken legte). Als die Recherchen abgeschlossen waren, wurden sie hinfällig. Kohlschreiber machte auch in den Sätzen zwei, drei und vier dutzendfach spektakuläre Punkte, mitunter auch wichtige. Aber die wichtigsten verbuchte Djokovic in 161 Minuten zu einem 4:6, 6:3, 6:4, 6:4-Sieg, den der Serbe zwei Tage nach der Nachricht vom Tod seiner Entdeckerin Jelena Gencic emotional aufnahm.

Wie es Kohlschreibers Art ist, trauerte er den verpassten Chancen nicht lange nach. "Es war ein gutes Turnier für mich, ich habe alles rausgeholt, was die Auslosung hergab. Es macht keinen Spaß zu verlieren, aber es war ein tolles Gefühl, auf dem Center Court zu spielen." Er habe sich durch seine Leistung Respekt verschafft, "das ist gut für die nächsten Matches. Mein Ziel ist es ja nicht, jedes Spiel gegen ihn zu gewinnen. Mein Ziel müsste es sein, konstant so gut zu spielen wie heute." Das Geheimnis des Misserfolgs: "Novak war im ersten Satz nicht locker, das hätte ich besser ausnutzen müssen. Ich hätte mich dazu zwingen sollen, einen Schritt weiter nach vorne zu rücken, um den Druck weiter hoch zu halten." Doch er gab zu bedenken: "Es zeichnet die Besten aus, dass sie noch zwei, drei Sachen in petto haben, um ein Spiel zu drehen." Kohlschreiber hatte das nicht, als er in Rückstand geriet.

Selbstgespräche und -bezichtigungen

Bleibt aus deutscher Sicht Tommy Haas, seit Montag der älteste Viertelfinalist bei den French Open seit 1971, als der Ungar Istvan Gulyas mit fast 40 von sich reden machte. Als er das hörte, ballte der 35-Jährige die Faust und sagte: "Solche Statistiken zu hören ist cool. Selbst wenn ich mir nicht groß Gedanken über sie mache, machen sie mich doch auch stolz." Dabei hatte der Arbeitstag bescheiden angefangen: Als er auf der Anlage erschien, wurde Haas mitgeteilt, dass seine Wäsche erst um 14 Uhr fertig sein würde. Also musste er die restlichen T-Shirts aus dem Hotel kommen lassen, "ich war froh, dass ich überhaupt in Kleidern auf den Platz gehen konnte", scherzte er später.

Wer zu einem Match des Deutschen geht, hat sich daran gewöhnt, dass es zu Selbstgesprächen und -bezichtigungen kommen dürfte, zu Wutausbrüchen und Schlägermisshandlungen. Die Wahrscheinlichkeit dafür stieg, als Haas an einem weiteren herbstlichen Juni-Tag in Paris äußerst schlapp begann und sofort mit drei leichten Fehlern seinen Aufschlag abgab. "Das fängt ja super an", habe er da gedacht, sagte der Deutsche später. Die ersten Schreie ließen tatsächlich nicht lange auf sich warten. Sie kamen allerdings von Haas' Gegner Michail Juschni, der überhaupt nicht ins Spiel fand. Er verteilte die Bälle wild über den Platz, aber selten ins Feld.

Haas nahm die vielen Geschenke beim 6:1, 6:1, 6:3 in nur 84 Minuten zufrieden an. Zwei Tage nach seinem heroischen Kraftakt gegen John Isner "war es gut, ein bisschen Kraft zu sparen". Gegen den Amerikaner hatte er eine Bestmarke aufgestellt, auf die Haas vermutlich gerne verzichtet hätte: Er vergab zwölf Matchbälle, bevor er doch noch in fünf strapaziösen Sätzen gewann. Einmal in Rekordlaune, legte Haas am Montag nach: Bei seiner zwölften Teilnahme in Paris hat der 35-Jährige erstmals die Runde der letzten Acht erreicht - noch nie in der Profi-Ära (seit 1968) hat jemand mehr Anläufe gebraucht. Auch das eine Leistung mit Beigeschmack. Wer Haas in diesen Monaten sieht, kann kaum glauben, dass er es mit seinem kompletten Spiel nicht viel früher in diese Phase des Turniers geschafft hat.

Haas blieb durchgehend cool

Niemand kann Haas den Vorwurf machen, dass Juschni es ihm leicht machte. Der 30-jährige Russe, ein ehemaliger Top-10-Spieler, hatte es vor einem Jahr an gleicher Stelle (allerdings bei gleißendem Sonnenschein) geschafft, beim 0:6, 2:6, 2:6 gegen David Ferrer 22 Punkte in Serie zu verlieren. Damals bot er während dieser Serie einem Zuschauer an, für ihn weiterzuspielen; und nach seinem ersten Spielgewinn schrieb er mit seinem Schläger SORRY in den Sand. Diesmal zog er es vor, beim Stand von 1:6, 0:3 sein Racquet an der Lehne seiner Sitzbank zu zerlegen. Selbst dafür benötigte er allerdings neun Hiebe, es war eben einer dieser Tage. Haas registrierte das Geschehen doppelt belustigt. Erstens profitierte er von Juschnis Tief. Und zweitens "mag ich das, wenn nicht alle immer nur hypercool sind, sondern sich auch mal gehen lassen. Juschni ist bekannt dafür, dass er verrückte Sachen macht. Ich bin nur froh, dass er sich nicht wieder mit dem Schläger gegen den eigenen Kopf gehauen hat".

Wichtig war, dass Haas durchgehend cool blieb, selbst als der Russe im dritten Satz noch einmal zu einem frühen Break kam und insgesamt begann, den Eindruck eines Profis zu machen. Im Tennis hat man schon die verrücktesten Sachen gesehen, deshalb bestand trotz der deutlichen Führung stets die Gefahr, dass Juschni den Spielbetrieb aufnehmen und die Partie offen gestalten würde. Haas meisterte auch die Aufgabe, nicht zu früh an Novak Djokovic zu denken, den der Deutsche als "größte Herausforderung im heutigen Tennis" bezeichnet.

Auch die beiden sind sich schon einmal in Paris begegnet, 2006 wurde der damals 28-jährige Deutsche vom neun Jahre jüngeren Aufsteiger aus Belgrad in drei Sätzen vorgeführt. "Ich kann mich nicht mehr richtig daran erinnern", sagte Haas, der von sieben Partien immerhin drei gewinnen konnte, "schon eher an unser letztes Duell in Miami." Das gewann Haas in einer windigen, kühlen Night Session (Djokovic: "Mein schlechtestes Spiel der vergangenen drei Jahre), die ein Teil der Welle ist, auf der Haas "noch eine Weile reiten möchte".

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