Deutsche Sportförderung:Olympia aus eigener Tasche

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Bei den spektakulären Freestyle-Sportarten zeigt sich wieder einmal, wie schwer sich die Bob- und Biathlon-Nation Deutschland mit der finanziellen Förderung ihrer Pioniere tut.

Fabian Heckenberger

Die Trophäe hatte Simon Stickl schon vor dem ersten Rennen in Vancouver sicher. Der Deutsche hatte bei der Auslosung der Startnummern die 1 erwischt. "Manche wollten mir das Ding hinterher sogar abkaufen", erzählt Stickl.

Der Deutsche hat zwar keine Medaille von den Olympischen Spielen mitgebracht, aber er war der erste Skicrosser, der jemals bei Olympia ein Rennen absolviert hat. "Mein Bruder ist Schreiner, dem habe ich schon gesagt, dass er mir einen passenden Rahmen für die 1 baut", sagt Stickl. Als Erinnerung an die historische Fahrt und an die Premierenparty, die Skicross in Vancouver gefeiert hat.

Die Sportwelt wunderte sich erst über die Fahrer, die sich aus den Steilkurven heraus über sogenannte Kicker in die Luft schießen, in den Endläufen immer zu viert im Parcours. Wer als Erster unten ankommt, gewinnt. "Das ist so, als würde man mit einem Kampfjet durch eine Besenkammer fliegen", sagt Stickls Teamkollege Martin Fiala. Dann liebte die Sportwelt diese Skichaoten. 6,5 Millionen Zuschauer sahen die Skicross-Premiere in Deutschland, was einen sagenhaften 30 Prozent Marktanteil für die unbekannte Disziplin bedeutete. Stickl wurde 19., dennoch sagt er: "Besser hätte die Premiere nicht laufen können."

Und jetzt?

Jetzt folgt das Zusammenkehren nach der Feier und das Nachdenken über die Frage, wie es weitergeht mit einer Sportart und ihren Athleten, die vor allem in Deutschland kaum jemand kannte. Fünf deutsche Fahrer waren in Vancouver am Start, aufs Podest schaffte es keiner von ihnen, aber das war fast egal bei diesem bunten Spektakel. "Jetzt muss doch jeder gesehen haben, wie spektakulär Skicross ist. Ich hoffe, die Deutschen trauen sich, die Sportart zu fördern", sagt Stickl.

In den Worten schwingt Hoffnung mit, in ihnen klingt aber auch Zweifel durch. Der 22-Jährige weiß, dass sein Sport in Nordamerika wegen des Wildwest-Eventcharakters eine große Zukunft vor sich hat. Dort sind Freestyle-Disziplinen wie Snowboard-Halfpipe, Boardercross oder eben Skicross mittlerweile auf dem Weg zu Kernsportarten. Die Skicross-WM findet nächstes Jahr in den USA statt, die Wiederholung des Spektakels von Vancouver ist gewiss.

Aber in Deutschland, dem Land der Bobfahrer und Biathleten? "Das könnte nicht ganz einfach werden", sagt Stickl.

"Bei uns passt das nicht ins Schema"

Neue Sportarten, die nicht den traditionellen Wintersport-Vorstellungen entsprechen, haben es in Deutschland schwer, selbst wenn der Einzug unter die olympischen Ringe gelingt. In Disziplinen wie Buckelpiste (seit 1992 bei Olympia), Ski-Freestyle Aerial (1994), Snowboard-Halfpipe (1998) und Snowboardcross (2006) hinkt Deutschland der internationalen Spitze hinterher. Die vermeintlich lockere Einstellung der Skicrosser, die ebenso wie die Snowboarder viel Wert auf Individualität und Eigenständigkeit legen, kollidiert mit Förderrichtlinien und Kaderplanungen eines Verbandes, so sieht das zumindest mancher Funktionär. "In Amerika mit seinem starken Glauben an die Freiheit des Einzelnen geht das vielleicht, aber bei uns passt das nicht ins Schema", sagt Wolfgang Maier, Alpin-Sportdirektor des Deutschen Ski-Verbandes.

Im Video: Aus deutscher Sicht waren die olympischen Spiele in Vancouver ein großer Erfolg. Der Teamchef des DOSB spricht von einer fantastischen Leistung. 29 Medaillen hat das deutsche Team bisher gewonnen, so viele wie vor 4 Jahren in Turin.

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Nach der Skicross-Premiere in Vancouver könnte ein Umdenken einsetzen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) scheint das Problem der jungen Disziplinen erkannt zu haben. Vielleicht muss man besser sagen: das Potential, das in ihnen steckt, das Medaillenpotential. "Es ist offensichtlich, dass es hier noch Luft gibt", sagt der deutsche Chef de Mission, Bernhard Schwank, und Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Ski-Verbandes ergänzt: "Wir müssen Konzepte entwickeln, wie wir in den Disziplinen ähnlich professionell aufgestellt sein können, wie in den klassischen Disziplinen." Allerdings kennt auch Hörmann das Geschäft: "Du musst erst die Leistung produzieren, dann kommen die Mittel, da beißt sich die Katze in den Schwanz."

"Man fühlt sich wie Steffi Graf"

Selbst das ist in den Freestyle-Sportarten aber keine Garantie für langfristige Anerkennung. Nicola Thost hat das miterlebt. Vor zwölf Jahren stand die Snowboarderin aus Pforzheim in Nagano am oberen Ende einer bis dato weitgehend unbekannten Halbröhre aus Schnee, wenig später war sie Olympiasiegerin in der Halfpipe, die erste der olympischen Geschichte und ein Sportstar, zumindest für ein paar Wochen. "Man fühlt sich wie Steffi Graf oder Boris Becker. Und alle denken: Olé, jetzt sind wir die Größten und alles funktioniert von selbst", sagt Thost: "Aber wenn man darüber eine solide Förderung vergisst, dann ist ein Sport ohne Lobby ganz schnell wieder weg vom Fenster."

Heute gibt es in ganz Deutschland keine einzige Halfpipe mehr, in der Profifahrer trainieren können und keinen Trainer für den Nachwuchs. "Das hat dazu geführt, dass wir sämtlichen Anschluss verloren haben", sagt Timm Stade, Geschäftsführer des Snowboardverbandes Deutschland. Er rennt seit Jahren gegen Wände, er findet keinen Standort für eine Halfpipe, die Snowboarder haben wenig Unterstützung im winterlichen Deutschland. Es schwingt durchaus Trotz und Neid mit, wenn Stade sagt: "Wenn wir die vier Rodelbahnen hierzulande für die nächsten fünf Jahre zusperren, dann möchte ich mal sehen, was passieren würde."

In der Halfpipe von Vancouver war mit Christophe Schmidt gerade noch ein deutscher Fahrer aus der einst so hochgejazzten Sportart am Start. Er schoss, wie viele seiner Kollegen, einige tausend Euro aus eigener Tasche zu, um sich überhaupt seriös auf die Spiele vorbereiten zu können.

Auch Simon Stickl und seine Kollegen finanzieren sich selbst. Dass er in Kanada auf die Dienste eines Servicemanns des Deutschen Ski-Verbandes zurückgreifen konnte, empfand er bereits als Luxus. Den würde er gerne auch in vier Jahren in Sotschi in Anspruch nehmen. "Ich kann nichts versprechen", sagte er, "aber vielleicht zahle ich etwas mehr Unterstützung dann mit einer Medaille zurück."

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