Deutsche Schiedsrichter:Im Netz der Steuerfahnder

Mehr als 20 Schiedsrichter werden verdächtigt, Steuern hinterzogen haben. Sieben von ihnen sollen nach SZ-Informationen am Wochenende trotzdem im Einsatz sein. Zur Anzeige brachte die Fälle ausgerechnet Manfred Amerell - die Schlammschlacht zwischen dem früheren Funktionär und dem DFB geht also weiter. Hält der deutsche Fußball das aus?

Claudio Catuogno und Thomas Kistner

Am Montagmorgen schwärmten die Steuerfahnder aus, und schnell war klar, dass es keine gute Woche werden würde für den Ruf der Schiedsrichter in Deutschland. Die Ermittler durchsuchten Privatwohnungen und Büros, mehr als 20 Unparteiische werden der Steuerhinterziehung verdächtigt. Auch beim Deutschen Fußball-Bund in Frankfurt nahmen die Beamten Unterlagen mit. Der DFB selbst werde nicht beschuldigt, das teilten seine Presseoffiziere eilig mit.

Fortuna Düsseldorf - 1860 München

Schon wieder in Verruf: deutsche Schiedsrichter.

(Foto: dpa)

Ansonsten gab man sich schweigsam - "laufendes Verfahren"! Was soll man auch sagen, wenn Schiedsrichter das Ziel von Razzien werden? Außer, dass es natürlich peinlich ist für den Fußballbetrieb, wenn ausgerechnet seine moralischen Instanzen, seine Regelhüter, im großen Stil verdächtigt werden, es mit den Regeln nicht so ernst zu nehmen?

Weil aber Theo Zwanziger, der DFB-Präsident, noch selten zu einem Thema länger als 24 Stunden geschwiegen hat, verkündete er schon Mitte der Woche in der Rhein-Zeitung, was die Ermittlungen am Ende ergeben werden: "Ich gehe davon aus, dass bei den meisten Fällen eher wenig oder überhaupt nichts herauskommen wird", sagte Zwanziger. Das wäre zu wünschen. Nicht zuletzt Theo Zwanziger selbst.

Es gibt zwei Handlungsstränge in dieser neuesten Schiedsrichter-Affäre, der erste ist rasch erzählt. Er handelt von Männern, die mit ihrer Pfeife durchs Land reisen, manche durch ganz Europa, die dafür gut bezahlt werden - was sich in ihren Steuererklärungen aber offenbar nur zum Teil niederschlägt. Unterschlagene Einnahmen aus Freundschafts- und Auslandsspielen. Schummeleien bei den Fahrtkosten. Doppelt abgerechnete Ausgaben. Zum Teil im fünfstelligen Bereich. Das sind die Vorwürfe. Die Razzien seien sehr ergiebig gewesen, ist aus Ermittlerkreisen zu hören.

Strittig ist, wie diese Vorgänge kurzfristig für den Fußballbetrieb zu werten sind. Die Staatsanwälte unterstellen den Referees ja immerhin Vergehen "im Zusammenhang mit ihrer Schiedsrichtertätigkeit". Der DFB wiederum findet, Steuern zu zahlen oder nicht zu zahlen, sei Privatsache - und lässt die Betroffenen vorerst weiterpfeifen. Zehn der rund 20 Verdächtigen waren unter der Woche im DFB- Pokal im Einsatz.

Sieben werden es nach Informationen der SZ am Wochenende in erster und zweiter Bundesliga sein - Schiedsrichter, Linienrichter, vierte Offizielle. Jeden Tag sickert ein neuer Name durch; man darf gespannt sein, wie lange der Fußball das aushält.

Der zweite Handlungsstrang - und nun kommt Zwanziger wieder ins Spiel - ist die Affäre Amerell/Kempter, die sich nun seit Ende 2009 hinzieht mit immer neuen Volten. Michael Kempter, 28, der Ende 2009 zum Fifa-Referee aufstieg, wirft dem damaligen Schiedsrichter-Obmann Manfred Amerell, 64, sexuelle Belästigung vor, der spricht von einer einvernehmlichen Beziehung.

Was wusste der DFB?

Aus dieser Gemengelage hat sich eine Schlammschlacht entwickelt, mit neuem Höhepunkt diese Woche: Amerell nämlich war es, der die Steuer-Tricks der alten Kollegen zur Anzeige brachte. Und während die Behörden nun ihr Material sichten, geht das Duell in die nächste Runde - und wird zum Dreikampf. Auch Zwanziger und der DFB sind mittendrin.

Jahresrückblick 2010 - Amerell und Kempter

Der ehemalige DFB-Schiedsrichterfunktionär Manfred Amerell (links) und der Schiedsrichter Michael Kempter.

(Foto: dpa)

Amerell ließ am Freitag über seinen Anwalt Jürgen Langer verlauten, er werde Strafanzeige gegen das DFB-Präsidium und Zwanziger stellen. Er wolle beweisen, dass Kempters Anwalt Christoph Schickhardt vom DFB bezahlt worden sei. Diesen Vorwurf wiesen am Freitag beide Parteien zurück: "Das ist frei erfunden", sagte Schickhardt der SZ. Ein Verbandssprecher sprach von "völligem Unsinn".

Der DFB fordert von Amerell und Langer nun eine strafbewehrte Unterlassungserklärung. Amerell indes beharrt auf seinem Vorwurf. Er will beweisen, dass Kempter vor Gericht Protektion durch den DFB erfahren habe. Was in relevantem Widerspruch stünde zur jüngsten Einlassung des DFB-Präsidenten in der Rhein-Zeitung. Ob er von Kempter enttäuscht sei, nachdem er über diesen "stets die Hand gehalten" habe und dann im April 2011 erfahren musste, dass Kempter 2009 eine Vorstrafe wegen Steuerhinterziehung kassiert hatte? So lautete die Frage. "Nein, überhaupt nicht", antwortete Zwanziger, "weil Ihre Annahme nicht stimmt, dass ich über ihn die Hand gehalten habe oder halte."

Zwanziger ließ in dem Interview auch offen, ob Kempter 2009 zum Fifa-Referee berufen worden oder 2010 wieder in der dritten Liga gepfiffen hätte, wenn der DFB zu jener Zeit von der Vorstrafe gewusst hätte. Außerdem forderte er, die beiden Themenkreise - hier den Fall Amerell/Kempter, dort die Steuerermittlungen gegen die rund 20 Schiedsrichter - klar voneinander zu trennen. Das allerdings wird immer schwieriger. Weil sich die Beteiligten nun wechselseitig mit Strafanzeigen überziehen.

So hat Kempter-Anwalt Schickhardt gerade in München Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Hintergrund? Amerells Anwesenheit am Montagmorgen vor Kempters Domizil in Sauldorf - just zu jenem Zeitpunkt, als dort Ermittlungsbeamte wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung vorstellig wurden. Amerell bestreitet gar nicht, eigens dort hingefahren zu sein, bezeichnet dies aber als "Privatsache". Schickhardt sieht erstens eine "Bedrohungslage" für Kempter: "Herr Amerell bringt meinen Mandanten persönlich in Bedrängnis, das hat Mobbingcharakter", sagte er der dpa.

Da Amerell, zweitens, von der Aktion eigentlich nichts gewusst haben dürfte, sieht Schickhardt auch eine Amtspflichtsverletzung bei den Behörden. "Ein solches Zusammenspiel gefährdet die Ermittlungen und den Schutz der Familie Kempter", sagte er. Der DFB stellte auch Strafanzeige gegen Unbekannt. Spätestens jetzt ist alles mit allem verwoben. Und es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Schiedsrichter wieder mit guten Nachrichten von sich hören lassen.

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