Deutsche Olympia-Bilanz:Wenn die Luft ausgeht

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Mit 42 Jahren noch immer beste deutsche Eisschnellläuferin: Claudia Pechstein (Foto: AFP)

Sturzpech hin oder her: Das deutsche Olympia-Team hat die Medaillenziele in Sotschi klar verfehlt, die Kritik der Verbandsspitze ist deutlich vernehmbar. In vielen Sportarten fehlt leistungsstarker Nachwuchs - die Funktionäre müssen grundlegende Dinge hinterfragen.

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Um seinen ersten Platz im ewigen Medaillenspiegel bei Olympischen Winterspielen muss sich das deutsche Team nicht sorgen. Der Vorsprung in dieser Wertung ist formidabel, Deutschland hat weit mehr kleine, glänzende Metallscheiben geholt (358) als die Russen (311) oder Norweger (303). Auch wenn Russland die Medaillenwertung in Sotschi für sich entschieden hat - die Deutschen dürften ihren Vorsprung noch für eine Weile verteidigen.

Nun ist das bloße Stieren auf Medaillenfarben nicht gerade förderlich, was die qualitative Bewertung von Leistungen angeht, das haben die Athleten in Sotschi oft genug betont. Ihnen ging die Medaillenfixierung des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) teilweise gehörig auf den Zeiger. Trotzdem ist der DOSB mit festen Medaillenvorgaben nach Sotschi gefahren - und muss erkennen, dass er diese nicht erreicht hat.

Jede Sportart hatte in Absprache mit den Verbänden einen Zielkorridor erhalten, 27 bis 42 Medaillen sollten es am Ende werden. 27 war die Mindestanforderung. Das deutsche Team liegt bei 19 Medaillen, mehr werden es bis zur Schlussfeier am Abend nicht mehr werden.

"Absolut unbefriedigend", nennt dies DOSB-Leistungssportdirektor Bernhard Schwank. Vor vier Jahren in Vancouver waren es noch 30 deutsche Medaillen gewesen. Schwank findet: "Die Kurve zeigt eindeutig nach unten." Nun wird die Analyse beginnen, wie es dazu kommen konnte.

Seit Jahrzehnten gab es vier Sportarten, die den Schnitt oben hielten: Rodeln, Bob, Biathlon und Eisschnelllauf. Hier gehörten deutsche Athleten zur Weltspitze, mussten anders als beim Ski alpin oder Skispringen, wo auch häufig sehr gute Leistungen erbracht wurden, keine Wellentäler durchleben. Solche Wellen sind normal, nicht jeder Jahrgang ist gleich erfolgreich. Doch diese vier Sportarten schafften es auf verblüffende Weise, ihr Niveau hoch zu halten.

Aus dieser Kategorie sind Stand Winter 2014 nur noch die Rodler übrig. Vier Wettbewerbe gab es in Sotschi, viermal holten die Deutschen Gold. Die Konkurrenz zeigte sich ratlos ob der rasanten deutschen Schlitten. Zudem sind Olympiasieger wie Felix Loch und Natalie Geisenberger noch weit davon entfernt, aus Altersgründen ihre Karrieren zu beenden. Dass Loch bei der Schlussfeier am Sonntagabend die deutsche Fahne tragen darf, ist auch als Dank an seine Sportart zu verstehen.

Die anderen Granden erlebten in Sotschi enttäuschende zweieinhalb Wochen. Die Eisschnellläufer blieben erstmals ohne einzige Medaille (die Niederländer holten 22), auch den Bobfahrern droht eine ähnliche Bilanz. An falschen Nominierungskriterien soll es nicht gelegen haben, sagt DOSB-Generalsekretär Michael Vesper: "Wir haben hier in Sotschi keine Olympia-Touristen am Start gehabt. Es haben eben nur viele die Erwartungen nicht erfüllt."

Dies trifft auch auf die Biathleten zu. Die Männer holten mit Staffel-Silber am Samstag immerhin ihren zweiten Podestplatz. Damit waren sie genau zwei Podestplätze besser als die Frauen. Denen wurden sogar die beiden vierten Plätze im Massenstart und der Mixed-Staffel nachträglich annulliert, da Evi Sachenbacher-Stehle eine verbotene Substanz im Blut nachgewiesen wurde.

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Vor vier Jahren in Vancouver holten die Frauen noch fünf Podestplätze, diesmal null. "Uns geht die Luft aus", sagte Cheftrainer Uwe Müßiggang in Sotschi, "wir werden schon zwei bis drei Jahre brauchen, um wieder eine starke Mannschaft zu formieren." Dies soll nicht mehr unter der Federführung von Müßiggang geschehen - er hat seinen Rücktritt im Frühjahr bereits angekündigt.

Auffällig ist auch, dass die Deutschen ihre Schwäche in den traditionellen Disziplinen nicht durch die sogenannten neuen Olympia-Sportarten auffangen konnten. Im Freestyle, Snowboard und Skicross zeigten sich andere Nationen deutlich weiter, innovativer und gefestigter in ihren Strukturen. Auch hier drohte eine medaillenlose Bilanz, ehe Anke Karstens und Amelie Kober im Parallel-Slalom doch noch Silber und Bronze gewannen.

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In vielen Sportarten müssen deshalb grundlegende Dinge hinterfragt werden. Im Eisschnelllauf, wo immer noch Claudia Pechstein mit ihren 42 Jahren die besten Ergebnisse einfährt, und Biathlon gibt es auf Spitzenniveau ein Nachwuchsproblem. Die Skicrosser fordern mehr Geld - bekommen es aber wohl nicht. Selbst in einer erfolgreichen Sektion wie Ski alpin der Frauen drohen dürre Jahre, wenn mit Maria Höfl-Riesch, die in Sotschi Gold und Silber gewann, die Beste abtritt und ihre Nachfolge alles andere als geregelt ist.

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Viele Deutsche erlebten zudem - abseits jeglicher Medaillenfixierung - unglückliche Spiele. Skistöcke brachen, Gewehre verstopften, Felix Neureuther baute auf der Anreise zum Flughafen gar einen Autounfall und kam lädiert in Sotschi an. Acht vierte Plätze stehen in der Bilanz, oft fehlten Winzigkeiten. Wie dem Biathleten Simon Schempp, der im Verfolgungsrennen seinen letzten Schuss vorbeisetzte. Drei Millimeter fehlten zur Medaille.

Auch die Anzahl der teilweise kuriosen Stürze war hoch, der Lerneffekt für kommende Spiele wird es sicher ebenfalls sein. Stefan Luitz weiß, dass er nie wieder vor dem letzten Tor an die Ziellinie denkt, wie es ihm im Riesenslalom passierte. Und auch die deutschen Kombinierer werden sich vermutlich nicht mehr selbst über den Haufen fahren und um ihre Medaillenchancen bringen.

Auf ein Ereignis in Sotschi wird die deutsche Delegation künftig ebenfalls gerne verzichten wollen: Einen offiziellen Dopingfall im Team gab es seit 1972 nicht mehr, bis Evi Sachenbacher-Stehle das Stimulans Methylhexanamin nachgewiesen wurde. Was Doping angeht, konnten die Deutschen jahrzehntelang mit dem Finger auf andere Nationen zeigen. Diese Zeiten sind nun vorbei.

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