DFB-Talente:Hansi Flicks Jugend-Gang

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Karim Adeyemi (rechts) wechselt aus Österreich nach Dortmund. (Foto: Matthias Schrader/AP)

Bietet der deutsche Fußball-Nachwuchs nur dürftige Aussichten? Bundestrainer Hansi Flick präsentiert mit einigen Talenten eine Gegendarstellung. Und man fragt sich: Wo kommen die denn her?

Von Philipp Selldorf

Als hohe Vertreter des DFB-Sports vor knapp zwei Jahren vertraulich verrieten, dass ihnen ein Erfolg der Nationalelf bei der EM im Sommer 2020 im Prinzip nicht willkommen wäre, war das ausnahmsweise keine jener Intrigen, die im DFB so populär sind. Hinter dem vermeintlich unfrommen Wunsch stand eine gute Absicht. Es ging um die im Aufbau befindliche DFB-Akademie und um die nötige Unterstützung der Profivereine für die vom Verband forcierte Nachwuchsförderung. Eine starke deutsche EM werde womöglich für Selbstzufriedenheit sorgen und der Akzeptanz für die Zusammenarbeit nicht guttun, fürchteten die Leute vom neuen Fußball-Institut in Frankfurt.

Aus dem starken EM-Auftritt ist dann weder 2020 noch im folgenden Sommer etwas geworden, doch die Ansagen der Akademie-Vertreter sind nach wie vor getragen von Alarmstimmung. Angeblich bietet Deutschlands Fußball-Jugend keine rosigen Aussichten. Joti Chatzialexiou, sportlicher Leiter der Junioren-Nationalteams, verkündete, es sei "fünf vor zwölf", was den deutschen Nachwuchs angeht; es drohe eine "Phase der Erfolglosigkeit nach 2026". Diese Erwartung teilt er mit seinem Chef. Spitzentalente kämen in den einzelnen Jahrgängen nur "vereinzelt" vor, sagt Oliver Bierhoff, der Sport-Direktor des DFB: "Die Lage sieht nicht gut aus."

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Für verunsicherte deutsche Fußball-Freunde dürfte es daher eine Wohltat gewesen sein, als Hansi Flick am Sonntag in der zweiten Halbzeit der WM-Qualifikations-Partie gegen Armenien (6:0) vier Spieler einwechselte, die es gemeinsam auf 78 Lebensjahre bringen. Wobei David Raum, 23, von der TSG Hoffenheim durchaus den Durchschnitt kaputt machte, den Jamal Musiala, Florian Wirtz und Karim Adeyemi mit ihren 18 oder 19 Jahren setzten.

Die Wege der Nationalspieler von heute sind durch das System vorgezeichnet

Während man dem unerhört begabten Wirtz den künftigen Nationalspieler schon ansah, als er 17-jährig erstmals den Sportplatz der Profis von Bayer Leverkusen betreten hatte, ist der Linksverteidiger Raum vergleichsweise spät dran. Dafür bringt er bereits eine gewisse Karriere mit, unter anderem als Bundesliga-Aufsteiger mit der vormals zweitklassigen SpVgg Greuther Fürth. Im Sommer folgten für ihn die siegreich abgeschlossene U-21-Europameisterschaft, der Auftritt bei Olympia in Tokio und der Einstieg als Stammspieler im neuen Klub. Wenn es für Raum weiter so geschwind aufwärts geht wie zuletzt, dann ist der Linksverteidiger in nicht ferner Zeit Kapitän von Real Madrid und vielfach gekrönter Champion. In der Nationalelf wäre er bei der WM 2030 in Uruguay/Argentinien womöglich der Routinier, auf den der Bundestrainer nicht verzichten kann.

Bisher ist es allerdings nur der Wunsch der Leute in Uruguay und Argentinien, dass die Jubiläums-WM in ihren Ländern stattfindet, und ob David Raum dann immer noch aktiver Nationalspieler ist, weiß man ebenso wenig, wie man den Ausgang der Prophezeiungen von Joti Chatzialexiou kennt. Hansi Flick beunruhigen diese Fragen aber nicht. Es gehört zu seinen Vorzügen, dass er nah an der Gegenwart arbeitet und sich über ungeschehene Dinge in ferner Zukunft keine Sorgen macht.

Da geht's lang: David Raum, 23, zeigt Jamal Musiala, 18, wo es langgeht. (Foto: Schröder/Horstmüller/imago)

Zu den pessimistischen Hochrechnungen über die Produktion der deutschen Nachwuchsleistungszentren geht der Bundestrainer fast ketzerisch auf Abstand. Nicht, weil er sich 2026 bereits im Bundestrainer-Ruhestand und nicht mehr zuständig sieht, sondern aus der Erfahrung seines Fußballer-Erlebens. Es sei doch immer wieder so, dass sich plötzlich Spieler hervortäten, die vorher keiner so richtig entdeckt hatte, meint Flick, "dann fragt man sich: Wo kommt denn der auf einmal her?" Ein Satz, der aktuell seinen auffallend jugendbewegten und durchaus zukunftsfähig aussehenden Kader gut beschreibt.

Die Wege der Nationalspieler von heute sind durch das System vorgezeichnet, oft aber verlaufen sie auf sehr verschiedenen Routen. Der Rheinländer Wirtz zum Beispiel hat weite Teile seines Lebens am Geißbockheim beim 1. FC Köln verbracht, bevor er nach mehr oder weniger vollendeter Ausbildung und zum bis heute anhaltenden Schmerz seiner Lehrherren den Klub und die Rheinseite wechselte. 250 000 Euro Entschädigung blieben den Kölnern, Bayer rechnet mit zigfacher Verkaufsrendite, wenn Wirtz irgendwann nicht mehr in Leverkusen zu halten wäre. Auch mit ihm ist 2030 zu rechnen, dann ist er mit 27 im besten Alter eines Mittelfeldregisseurs.

Beim FC Bayern musste Adeyemi als junger Bursche gehen - sein Dank gilt Manni Schwabl

Karim Adeyemi, 19, war hingegen bereits dort, wo so viele hinwollen: beim FC Bayern, wo er aber nicht bleiben durfte - er galt als "undiszipliniert", was bei einem Zehnjährigen vorkommen kann, bei Bayern aber für ein Ausschlusskriterium gehalten wurde. Adeyemi, als Talent unumstritten, kam so zur SpVgg Unterhaching, wo Präsident Manni Schwabl pädagogisch in sein Leben eingriff. Schwabl organisierte den Dialog mit der Schule (die der kleine Karim nicht mochte) und sorgte mit strengen Regeln für ein Gleichgewicht zwischen Lernen und Fußball.

So wurde aus dem Talent Adeyemi ein Profi mit einem guten Vertrag bei RB Salzburg und einer Champions-League-Zukunft. Dafür empfing Schwabl am Sonntag auf der Tribüne in Stuttgart den leidenschaftlichen Dank seines Schützlings, der sich bei seinem ersten Einsatz für Deutschland gleich als Torschütze verewigt hatte. Auch Flick würdigte Schwabl als "Mentor", und vielleicht denkt man jetzt auch beim FC Bayern nach, ob man nicht etwas Geduld hätte haben sollen. "Schwierige junge Burschen werden aus Bequemlichkeit aussortiert statt gefördert", diese Kritik übte im Sommer der Kölner Trainer Steffen Baumgart.

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Welche Rolle die Debütanten Raum, Wirtz und Adeyemi künftig in der Nationalelf spielen, weiß niemand. Aber sie waren wie der noch auf sein Debüt wartende Nico Schlotterbeck, 21, alle an Bord, als das Flugzeug zum WM-Qualifikationsspiel in Island startete. "Das ist für die Mannschaft ein guter Prozess, der da gerade eingeleitet wird", sagte Flick über seine Jugend-Gang, die allerdings nicht mehr komplett ist.

Wie vergänglich das Glück als Nationalspieler sein kann, musste Ridle Baku erfahren. Den 21-jährigen Wolfsburger nimmt Flick mangels Einsatzperspektive nicht mit, dies habe aber "nichts mit seiner Leistung zu tun". Baku dürfte trotzdem nicht weniger enttäuscht sein als Marco Reus, der wegen Knieproblemen ebenfalls heimkehren musste und abermals ein Länderspiel verpasst, nachdem er sich gerade erst wieder in Erinnerung gebracht hatte.

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