Deutsche Nationalmannschaft:"So haben wir in Russland keine Chance"

Österreich - Deutschland

Scho au ganz schön unzufrieden: Bundestrainer Joachim Loew in Klagenfurt.

(Foto: dpa)
  • Beim 1:2 im letzten WM-Test gegen Österreich enttäuscht die deutsche Nationalelf zum Verdruss von Bundestrainer Löw.
  • Einige Wackelkandidaten für Russland versäumen es erneut, sich zu präsentieren.

Von Martin Schneider, Klagenfurt

Aus den Lautsprechern donnerte das Lied "I am from Austria", in dem der Sänger Rainhard Fendrich unter anderem von dem Eis singt, das von seiner Seele schmilzt wie Gletscher im April, wenn er an Österreich denkt. Menschen auf den Rängen sangen mit, schwenkten dabei rot-weiß-rote Fahnen, und dass die lokale Biermarke ihr Logo breit darauf gedruckt hatte, nahm dem ganzen nur ein bisschen die selig-patriotische Stimmung.

Auf dem Platz reckten Spieler in rot-weiß-roten Trikots die Fäuste Richtung Tribüne als sie eine Ehrenrunde liefen und tief in der Nacht begannen die Radio-Nachrichten mit den Worten. "Klagenfurt - Zum ersten Mal seit 32 Jahren hat die österreichische Fußballnationalmannschaft Deutschland besiegt." Den Fakt, dass es 32 Jahre gedauert hat, betonte die Nachrichtensprecherin extra deutlich, sie sagte "Zwei-und-drei-ßig-Jahre", als wäre Österreich an diesem Abend "Wöödmaster" geworden. Tatsächlich hatte man aber den Wöödmaster besiegt.

Es war nicht so schwer zu bemerken, dass dieser 2:1-Testspiel-Sieg jetzt nicht unbedingt die gleiche Bedeutung hatte wie ein 2:1-Testspiel-Sieg gegen - sagen wir - Finnland oder die Färöer. Nein, Österreich sah dieses Match gegen Deutschland nie wie ein Freundschaftsspiel, Österreich wollte den lieben Nachbarn unbedingt schlagen.

Joachim Löw hat also einen Test bekommen, wie man ihn sich eigentlich wünscht. Einen Test im Wettkampfmodus und da seine Mannschaft das Spiel verloren hat, kann er jetzt seine Schlüsse daraus ziehen. Aber erst einmal war er sauer: "Ich ärgere mich. Nicht über die Niederlage, sondern über die Art. Ich habe selten so eine eigenverschuldete Niederlage durch so eine Spielweise erlebt", sagte der Bundestrainer.

Löw wirkte schon einigermaßen angefressen, es half dann seiner Laune auch nicht, dass ihm das ZDF eine Zuschauer-Abstimmung präsentierte, in der eine knappe Mehrheit für Marc-André ter Stegen als Nummer eins plädierte. Manuel Neuers Leistung war ja eigentlich die beste Nachricht des Tages und so grummelte Löw, es interessiere ihn eigentlich nicht, was irgendwelche Leute abstimmen. Dass Neuer nun die Nummer eins wird, das scheint kaum jemand mehr zu bezweifeln. Aber der Torwart selbst wollte nicht reden - erst am Dienstag, hieß es.

Was Löw aber eigentlich zu denken gab, das war vor allem die zweite Halbzeit. In der ersten ging seine Mannschaft noch durch Mesut Özil in Führung, in der zweiten kassierte sie dann Tore durch Martin Hinteregger und Alessandro Schöpf, aber vor allem erspielte sich das DFB-Team kaum noch eigene Torchancen, kam gegen Österreichs aggressives Anlaufen nicht klar, verlor öfter den Ball und Zweikämpfe. Heraus kam das fünfte Spiel nacheinander ohne Sieg (0:0 gegen England, 2:2 gegen Frankreich, 1:1 gegen Spanien, 0:1 gegen Brasilien und nun 1:2 gegen Österreich), wie auch Joshua Kimmich anmerkte und dann sarkastisch feststellte: "Wenn man bei einer WM erfolgreich sein will, muss man Spiele gewinnen."

Es hätte schon ein paar Ausreden gegeben. Das Spiel wurde mit 100 Minuten Verspätung angepfiffen, weil es in Klagenfurt schüttete und hagelte und der Platz unter Wasser stand und natürlich will sich da niemand vor einer WM verletzen. Die Deutschen kamen zudem voll aus dem Training, die Österreicher sahen dieses Spiel fast wie ein Pflichtspiel - und die Aufstellung, die Löw wählte, war jetzt auch nicht die A-Variante. Jérôme Boateng, Mats Hummels, Thomas Müller oder Toni Kroos waren gar nicht erst mitgereist.

Petersen und Brandt ohne große Wirkung

Aber beim DFB versuchte kaum einer, die Erklärungsmuster anzuwenden, die auf der Straße lagen. "Wenn wir so spielen, haben wir in Russland keine Chance", sagte Löw. Wissend, dass seine Mannschaft so kaum nochmal auftreten wird. Er muss jetzt aber erstmal vier Kandidaten aus seinem Kader streichen.

Zwei dieser möglichen Streichkandidaten spielten von Beginn an, Julian Brandt auf der Außenbahn, Nils Petersen in seinem ersten Länderspiel im Sturmzentrum. Brandt erwischte noch die bessere Partie, spielte uneigennütziger als sein Gegenüber Leroy Sané und hatte auch eine sehr gute Torchance, Petersen wirkte ziemlich verloren, was aber zum Großteil nicht seine Schuld war - nach dem Spiel standen dann beide vor den Mikrofonen und mussten erklären, wie sie sich fühlen und ob sie denken, dass sie gestrichen werden.

"Ich weiß, dass ich einer der Wackelkandidaten bin", sagte Petersen dann auch und dass er nun eben den Montag abwarten wird. Sein großer Vorteil könnte sein: Löw hat nur noch Werner und Gomez als echte Stürmer. Im Gegensatz zu der rechten Bahn, wo Julian Brandt spielt. "Ich gehe da, weil auch meine Name oft genannt wird [wenn es um die Streichkandidaten geht, Anm.], sehr gut mit um und bin gespannt."

Als sicherster Kandidat für eine vorzeitige Abreise gilt der Leverkusener Jonathan Tah, der als Backup für Jérôme Boateng eingeplant war und nun wohl nicht mehr gebraucht wird, weil Boateng fit wird. Dann trifft es einen Torhüter - Bernd Leno oder Kevin Trapp - und noch zwei weitere. Neben Brandt und Petersen könnte auch Sebastian Rudy noch zittern. Der spielte bei Bayern unter Jupp Heynckes im Saison-Endspurt nur noch wenig und agierte auch gegen Österreich, nachdem er für Sami Khedira eingewechselt wurde, eher unglücklich. Matthias Ginter genießt bei Löw hohe Wertschätzung, Marvin Plattenhardt wird als Backup für die linke Seite benötigt.

Bevor Löw und sein Team entscheiden müssen, wer geht, kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch. Das Programm: Essen mit der Kanzlerin, Rede der Kanzlerin an die Mannschaft, Fragen der Mannschaft an die Kanzlerin und dann fällt die Entscheidung für den WM-Kader. Das Österreich-Spiel wird spätestens nach dem nächsten Test gegen Saudi-Arabien am Freitag in Leverkusen aus den Köpfen sein - in Österreich werden sie sich noch ein bisschen länger daran erinnern.

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