DFB-Team:Löws nachdenkliche Töne

Germany v Peru - International Friendly

Joachim Löw: Arbeitet am Neuanfang im DFB-Team

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Joachim Löw hatte versprochen, sämtlichen Neulingen zum Debüt zu verhelfen, dieses Versprechen hat er tatsächlich gehalten, allerdings nicht aus erkennbarer Überzeugung.
  • Kai Havertz und Thilo Kehrer hatten im Testspiel gegen Peru nur ein paar Minuten Zeit, ihr Können zu zeigen.
  • Sorgen bereitet die Ineffektivität vor dem Tor.

Von Philipp Selldorf, Sinsheim

Nico Schulz war ein glücklicher Mann, als er nach dem 2:1-Sieg gegen Peru nach Hause ging. Zwar hatte er nach eigenem Bekunden schon bessere Spiele gemacht als an diesem späten Sonntagabend in Sinsheim, wo er praktischerweise vor der Haustür sein Debüt als Nationalspieler erlebte. Aber die unbeholfenen Momente seines Auftritts, unter anderem beim peruanischen Führungstor, traten in den Hintergrund, weil es eben auch diesen leuchtenden Moment in der 85. Minute gegeben hatte, in dem er einen kleinen Beitrag zur Wiederherstellung des deutschen Fußballstolzes leistete.

Plötzlich war Schulz am gegnerischen Strafraum der Ball vor die Füße gefallen, und prompt hatte ihn der Verteidiger zum Siegtreffer ins Ziel befördert. Der bis dahin glänzend haltende peruanische Torwart Gallese rutschte über den ohne weiteres haltbaren Ball, vermutlich hatte er mit einer anderen Herausforderung gerechnet als einem Kullerschuss. Dies war nun die passende Pointe für die unterhaltsame, aus deutscher Sicht aber auch durchaus zwiespältige Partie: All ihre elegant herausgespielten Chancen hatten die Deutschen vertan, und als die Partie zum Stillstand gekommen war, rettete ein Debütant das Ergebnis, der seine liebe Not hatte, das Niveau der neuen Kollegen zu halten. "Der Torwart kann ihn halten. Aber was soll ich sagen? Ich freue mich mega", berichtete Schulz, der Glückliche.

Über Nico Schulz, 25, hatte dessen Vereinstrainer Julian Nagelsmann gesagt, er sei nicht unbedingt der neue Iniesta, aber ein Außenverteidiger mit Dynamik und Tempo. Es ist nicht ganz eindeutig, ob diese Einschätzung wirklich als Kompliment gelten muss. Doch die Nationalmannschaft ist nach dem Sündenfall bei der WM in Russland ja nun dazu angetreten, mit einfachen Tugenden in die neue Zeit aufzubrechen, und zurzeit sieht es so aus, als sei der Bundestrainer vorübergehend bereit, seine hohen ästhetischen Ansprüche den neuen Verhältnissen respektive der rauen Wirklichkeit anzupassen. Beim Gegentor hätte Schulz den Ball wegschlagen müssen, sagte Jogi Löw, doch "er hat mit etwas Glück das Tor gemacht, ich freue mich für ihn. Mit seinem Engagement und seiner Leistung bin ich zufrieden. Er strahlt eine gute Dynamik aus." Während die Zuhörer darüber nachdachten, ob diese Einschätzung wirklich als Kompliment gelten müsste, fügte Löw hinzu: "Ich glaube, dass er sich recht gut bei uns einfinden kann in den nächsten Spielen."

Kimmich, Kroos und Gündogan bildeten im Mittelfeld ein kreatives Trio

Löw hatte versprochen, sämtlichen Neulingen zum Debüt zu verhelfen, dieses Versprechen hat er tatsächlich gehalten, allerdings nicht aus erkennbarer Überzeugung. Kai Havertz, 19, hatte keine fünf Minuten Zeit, sein außergewöhnliches Talent nachzuweisen, das angeblich sogar Spuren von Mesut Özil aufweist. Der Einsatz von Thilo Kehrer, 21, währte kaum länger. Die Einladungen an die jungen Leute hatten von Anfang an wie ein Zugeständnis an die Kritiker ausgesehen, die von Löw eine Revolution seiner Personal- und Strategiepolitik verlangt hatten, und diesen Eindruck hat der Bundestrainer in der Praxis bestätigt. Die etablierten Spieler betrachtet er bis auf weiteres als die bessere Lösung zur Genesung der Nationalelf, doch nicht nur deshalb wirkte Löw in Sinsheim nicht wie ein Mann in Aufbruchsstimmung, die nachdenklichen Töne überwogen.

Seine Mannschaft hatte sich in der ersten Halbzeit ansehnlich und zügig nach vorn kombiniert, Joshua Kimmich, Toni Kroos und Ilkay Gündogan bildeten im Mittelfeld ein kreatives Trio, und Julian Brandt hatte als Rechtsaußen diesmal mehr als nur ein paar sporadisch gelungene Szenen zu bieten, weshalb es auch kein Zufall war, dass Brandt der Schütze des Ausgleichstores nach Advinculas überraschendem 0:1 (19.) war. Doch weitere fällige Treffer blieben trotz bester Chancen aus, was ebenfalls kein Zufall war, wie Brandt feststellte: "Natürlich haben wir keinen, der der Torjäger Nummer eins ist, und der jedes Spiel bombt. So einen Neuner, wie es Sandro (Wagner), Mario (Gomez) oder Miro (Klose) waren, haben wir im Moment nicht."

Der Mangel an Treffsicherheit ist inzwischen zur unangenehmen Gewohnheit geworden und bereitet den Beteiligten im Hinblick auf die kommenden Aufgaben sichtlich Sorgen. In vier Wochen stehen die Nations-League-Spiele in Paris gegen Frankreich und in Amsterdam gegen die Niederlande an, für den Bundestrainer stehen diese Partien im Rang definitiver Bewährungsproben. Nach der WM galt DFB-intern die Übereinkunft, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Löw schwierig werden könnte, falls die Mannschaft in ihrer Prestige-Gruppe Letzter werden sollte. Da wäre es dringend wünschenswert, "wenn wir vor dem Tor mehr Kaltschnäuzigkeit hätten", sagte ein ernst gestimmter Thomas Müller. Dieser Mangel an Effektivität, der logischerweise mit der Klasse der Angreifer zu tun hat, werde sich nicht in drei Übungseinheiten wegtrainieren lassen, hob der Münchner hervor. Löw bezeichnete die kommenden Aufgaben als "Wettkämpfe auf hohem Niveau. Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie den Weg nach vorn antreten will und dafür alles tut." Es wird ihr zunächst auch nichts anderes übrig bleiben, leicht fällt dieser Mannschaft ihr neues Leben noch nicht.

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