Deutsche Nationalmannschaft:Löw zaubert Tah zur EM

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Huch, wo kommt denn der her? Joachim Löw beordert mit Jonathan Tah einen Spieler ins EM-Aufgebot, der gar nicht dafür vorgesehen war. Noch nicht.

Von Carsten Scheele

Wird Jonathan Tah der neue Shkodran Mustafi? Der Vergleich drängt sich auf. Auch Mustafi hatte im Sommer 2014 erst ein Länderspiel absolviert, als er von Bundestrainer Joachim Löw zur WM in Brasilien berufen wurde. Auch Mustafi stand zunächst nicht im 23er-Kader, wurde allerdings nachnominiert, als sich Marco Reus kurz vor Turnierbeginn verletzte.

So ähnlich ist das nun bei Jonathan Tah, dem Abwehrspieler von Bayer Leverkusen, den Löw am Mittwoch für den am Kreuzband verletzten Antonio Rüdiger in den EM-Kader berief. Erst einmal stand Tah für die DFB-Elf auf dem Platz, im März beim 2:3 im Test gegen England. Und auch Tah hatten, wie Mustafi 2014, die meisten nicht so recht auf dem Zettel.

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Der deutsche Abwehrspieler sagt, es seien zu viele Dinge passiert, die ihn nachdenklich machen würden. Das Risiko sei zu hoch.

"Ich wollte bewusst einen Innenverteidiger nachnominieren", sagte Joachim Löw auf der Pressekonferenz in Evian am Mittwoch. Tah habe sich seit dem Saisonende durch einen individuellen Trainingsplan fit gehalten. Weil der Leverkusener in den letzten Bundesliga-Spielen mit einer Lebensmittelvergiftung ausfiel, war das sein privates Anliegen. Es habe keine Aufforderung vom DFB gegeben. "Ich weiß, dass Jonathan Tah sehr professionell ist. Auch im Urlaub liegt er nicht auf der faulen Haut. Für mich war diese Basis ausreichend", sagte der Bundestrainer. Er sei optimistisch Tah schnell in die Mannschaft integrieren zu können.

Tahs Name steht schon länger auf vielen Zetteln, auch auf denen des Bundestrainers. Ganz oben sind diese Zettel jedoch mit "WM 2018" oder "EM 2020" überschrieben, denn der 20-Jährige gilt als Mann für die Zukunft. Auf der Innenverteidigerposition verspürte Löw eigentlich keine personellen Probleme, so ließ er Tah nicht einmal bei den Vorbereitungsspielen zur EM auflaufen. Seine Zeit würde noch kommen, hieß es.

Hummels verletzt, Rüdiger abgereist

Diese Gemengelage hat sich nun rasant verändert. Zum einen, weil in Mats Hummels ein gesetzter Mann für die Innenverteidigung zumindest für die ersten Spiele ausfällt - und auch Jérôme Boateng gerade erst wieder fit geworden ist. Zum anderen, weil sich Hummels' Ersatzmann Antonio Rüdiger am Dienstagabend im Training einen Kreuzbandriss zuzog. Löw entschied sich gegen eine größere Personalrochade, bei der er etwa einen Außenverteidiger wie Sebastian Rudy hätte nachnominieren und Benedikt Höwedes ins Abwehrzentrum hätte stellen können.

Löw entschied sich, Rüdiger positionsgetreu zu ersetzen - und da fiel die Wahl schnell auf den jungen Mann mit den ivorischen Wurzeln. Schon in jungen Jahren beim Hamburger SV, als Tah mit 17 Jahren in der Bundesliga debütierte, war der gebürtige Hamburger so gut, dass er dem verunsicherten Team als jüngster Spieler manchmal den Halt gab, den sich die jeweiligen Trainer von seinen älteren Kollegen erwartet hätten. Doch Tah fiel in Ungnade, wurde unter Mirko Slomka in die zweite Mannschaft abgeschoben und schließlich an Zweitligist Fortuna Düsseldorf verliehen, was auch damit zu tun hatte, dass Vertragsdetails an die Öffentlichkeit gelangten, woran Tahs Vater wohl nicht ganz unschuldig war. Nach einem Jahr schlug Bayer Leverkusen zu - und gab ihm einen Fünfjahresvertrag.

Tah spielte in der Champions League

Eine formidable erste Spielzeit in Leverkusen genügte schließlich für seine erste EM-Nominierung. Tah wurde schnell Stammspieler in Leverkusen, imponierte mit seiner Robustheit und seiner Schnelligkeit, durfte auch in der Champions League ran. Er verpasste nur die letzten drei Saisonspiele wegen einer Lebensmittelvergiftung. Wohin sein Weg nun führt? Im schlechtesten Fall schaut er von draußen zu, wie die Nationalelf um den Titel spielt, schnuppert so in sein erstes großes Turnier hinein, sammelt wichtige Erfahrungen für 2018 oder 2022.

Ganz vielleicht ergeht es ihm aber ähnlich wie Mustafi. Der brachte es 2014 zu immerhin zwei WM-Einsätzen, ehe er sich im Achtelfinale verletzte. Und darf sich heute Weltmeister nennen.

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