Deutsche Nationalmannschaft:Leer in Köpfen und Körpern

WM 2018 - Südkorea - Deutschland

Thomas Müller (re.) und Mario Gomez: Ausgelaugt nach dem frühen WM-Aus

(Foto: dpa)
  • Die deutschen Nationalspieler können nach dem WM-Aus gegen Südkorea nicht fassen, was ihnen passiert ist.
  • "Sportlich ist das die größte Enttäuschung meines Lebens", sagt Mats Hummels, Manuel Neuer wird noch deutlicher.
  • Selbst Thomas Müller resigniert vor der Macht des Ausscheidens.

Von Martin Schneider, Kasan

Am Ende war Leere und Abendrot. Der deutsche Teambus fuhr die Straße am Stadion in Kasan entlang und weil die nach Westen führt, ging vor der Mannschaft, die gerade aus der Weltmeisterschaft geflogen war, auch noch die Sonne unter. Hinter dem Bus leuchtete erbarmungslos grell die Anzeigetafel an der Außenwand der Arena und schickte den Spielern noch mal die Fahnen der Begegnung hinterher, die sowieso keiner vergessen wird. Dann bog der Bus links ab, und die deutsche Nationalmannschaft fuhr zum Hotel, zum Flughafen und am Donnerstag dann nach Hause. Als immer noch amtierender Weltmeister, als erste deutsche Nationalmannschaft der Geschichte, die in der Vorrunde einer WM scheitert.

Alle Spieler mussten zu diesem Bus, fast alle gingen an den Journalisten vorbei, fast alle blieben stehen und versuchten zu erklären, wie das alles so fundamental schiefgehen konnte, was da gerade beim 0:2 gegen Südkorea auf dem Platz passiert war. Es gelang keinem so richtig. "Schlecht" gehe es ihm, sagte Thomas Müller. "Kopf und Körper sind einfach leer", sagte Joshua Kimmich. "Sportlich ist das die größte Enttäuschung meines Lebens", sagte Mats Hummels. Es kamen Spieler aus der Kabine, denen man den Schock ansehen konnte. Müller sprach so langsam wie noch nie in seinem Leben, Hummels kratzte sich immer wieder am Kopf, Mario Gomez fing Sätze an, ohne sie zu beenden und Kimmich sagte wie zu sich selbst: "Am Ende hat uns ein Tor gefehlt. Ich glaube, eins hätte sogar gereicht." Kurze Pause. "Das hat gefehlt", sagte er leise.

Die deutsche Nationalmannschaft, sie konnte auch eine Stunde später nicht fassen, was da passiert war in Kasan. Und eine Erklärung hatte sie schon gar nicht. Als Kimmich gebeten wurde, das Unfassbare mal nüchtern zu betrachten, also das Spiel einfach aus seiner Sicht zu schildern, da stockte er. "Schwer, das in diesem Moment zu analysieren", sagte er und versuchte es trotzdem so gut er konnte. "Ich glaub, dass wir das in der ersten Halbzeit zu zaghaft gemacht haben, vielleicht nicht mutig genug", fing er chronologisch an. "Wir hatten da auch nicht so viele Chancen, ich kann mich jedenfalls an keine klare erinnern. Es war immer so der letzte Pass, die letzte Flanke, die nicht gut angekommen ist." Er machte eine kurze Pause. Es waren ja auch seine Pässe gewesen, die ihr Ziel nicht fanden. "In der zweiten Halbzeit waren wir zwingender, hatten auch einige sehr, sehr gute Chancen." Wieder eine Pause. "Die haben wir aber nicht gemacht, ich weiß nicht, ob da vielleicht das Glück gefehlt hat - aber Fakt ist: Sie waren nicht drin und deswegen sind wir raus."

Neuer wird grundsätzlicher

Kimmich versuchte, den Fehler im Detail zu finden, auch Hummels haderte mit seinem Kopfball, mit den Situationen, sagte, dass man irgendwie den Spielrhythmus nicht gefunden habe - aber kapitulierte dann auch vor der Aufgabe, dieses Desaster irgendwie zu erklären. "Ich krieg's nicht so gegriffen für mich, die Gedanken, die jetzt alle da sind", sagte er. Gegen Mexiko, da habe er ja noch relativ klar gesagt, was schiefgelaufen sei, heute finde er gar keinen Punkt, wo er sagen könne, dies sei falsch oder jenes sei falsch. Sicher, es sei kein berauschendes Spiel gewesen, aber Chancen seien doch da gewesen. Auch Toni Kroos, gegen Schweden noch mit seinem Freistoß-Tor die Kavallerie in letzter Sekunde, kam nach ein paar ziellosen Sätzen zu dem schwachen Fazit, dass irgendwie der "Punch gefehlt hat, das Tor zu erzielen".

Es war dann der Kapitän, der anders an die Sache heranging. Manuel Neuer war es schon, der nach dem Schweden-Spiel keine Euphorie-Rede hielt, sondern darauf hinwies, dass man in einem entscheidenden Spiel soeben noch in der 95. Minute gewonnen habe. Er formulierte härtere Kritik, wurde grundsätzlicher. "Ich denke, dass alleine wir Spieler das zu verantworten haben. Man muss ganz klar sagen, dass wir es auch einfach nicht verdient gehabt hätten, weiterzukommen."

"Wir sitzen im Verliererboot"

Und selbst wenn man weitergekommen wäre, sagte Neuer, "hätte jeder Gegner gerne gegen uns gespielt". Auf dem Spielfeld probierte es Neuer in der letzen Sekunde noch durch einen Ausflug nach vorne, verlor den Ball und Deutschland kassierte das 0:2, aber das war dann auch egal. "Wir standen schon auf dem Platz, aber man hat nicht gemerkt, dass wir eine Weltmeisterschaft spielen", sagte Neuer. "Dass wir so eine Leistung zeigen und in der Vorrunde ausscheiden, bei so einer Gruppe, das hab ich von einer deutschen Mannschaft noch nie erlebt." Mexiko, Schweden und Südkorea hätten auf die Fehler der Deutschen gewartet und das hätte schon gereicht, es sei kein Respekt und keine Angst da gewesen. Er nannte das Aus "bitter und einfach erbärmlich". Es waren die härtesten Worte des Abends.

Ob Joachim Löw nun weitermache, wurde Neuer noch gefragt. Er sagte: Man müsse sich nun zusammensetzen und schauen, was der Bundestrainer möchte. Dann ging er.

Müller, der auf der Bank saß und bei seiner Einwechslung ebenfalls wirkungslos blieb, resignierte auch irgendwann vor der Macht des Ausscheidens. "Alles, was wir jetzt sagen, wird das Falsche sein", sagte er und ergab sich der Kritik, die nun auf die Mannschaft einprasseln wird. "Wir sitzen im Verliererboot, wir haben die Riesen-Möglichkeit, es nach dem Schweden-Spiel aus eigener Kraft zu schaffen, nicht genutzt. Und darum sind wir gegen alle Argumente machtlos."

Als letzter deutscher Spieler ging Mario Gomez zum Bus, der Älteste im Team, der die Mannschaft nach dem Schweden-Spiel so in Schutz genommen hatte. Auch er wurde gegen Südkorea eingewechselt, auch er hatte zwei Chancen, auch er hätte die leeren Blicke verhindern können. "Das haben wir uns alle ganz anders vorgestellt", sagte er am Ende. Antworten fand man an diesem Abend noch nicht. Nur Leere.

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