Es gibt keinen Bundestrainer auf Abruf, weil es seit zehn Jahren einfach nie zur Debatte stand, dass dieser Job neu zu besetzen wäre. Inklusive 2006 hat der aktuelle Jobinhaber ja sechs leidlich erfolgreiche Turniere zu verantworten. Wenn Joachim Löw also zu dem Entschluss kommen sollte, dass er nicht mehr der Richtige sei, käme wohl eine externe Lösung. Ob es so kommt - das hängt von der Frage ab, ob Joachim Löw der Meinung ist, dass er dem Konstrukt Nationalmannschaft noch mal einen Impuls Richtung Europameisterschaft 2020 oder Richtung Nations League (ein sensationell unbekanntes Turnier der Uefa, das schon in diesem September mit einem Spiel der Deutschen gegen Frankreich in München startet) geben kann.
Und ob er in der Lage ist, aus seinen Fehlern die richtigen Schlüsse zu ziehen. Vor allem dem Verkennen der "Selbstherrlichkeit" (O-Ton Löw) seiner Mannschaft und auch seiner Unfähigkeit, die sich zersetzende Dynamik aufzuhalten, die zu jenem pathologischen Auftritt gegen Südkorea führte. Vielleicht beantwortet sich die Frage nach dem Posten aber auch einfach so. Es kommt sowieso zu einem Wechsel: entweder ein neuer Trainer oder ein neuer Löw.
Die Mannschaft auszuwechseln, ist, wie das eingangs erwähnte Beispiel Kroos zeigt, ebenfalls nicht so einfach. Mario Gomez ist der Einzige in diesem Kader, der mit bald 33 Jahren so alt ist, dass ein Ende im Nationalkader nahe rückt. Der Rest ist nicht mehr jung, aber auch nicht alt genug, um sofort alles hinzuschmeißen. Sie sind, wie man so schön sagt, im besten Fußballer-Alter von Ende zwanzig. Höchstens Mesut Özil könnte der Nation den Rücken kehren, da er den Eindruck haben muss, dass sie ihn nicht mehr will. Aber sonst? In Russland scheiterte so offensichtlich das Gesamtkonstrukt, dass sich ein Sündenbock nicht anbietet.
In Russland war die sogenannte Zukunft ja schon dabei. Joshua Kimmich, Niklas Süle, Marc-André ter Stegen, Timo Werner, Leon Goretzka, Julian Brandt, Julian Draxler - diese Spieler werden in einem fließenden Übergang die kommenden Jahre der Nationalelf prägen. Vielleicht kommt Mario Götze zurück (er ist 26 Jahre alt), vielleicht startet ein Jann-Fiete Arp durch oder ein Talent, das man jetzt noch nicht auf dem Schirm hat. Auch Leroy Sané, den Joachim Löw ja aus dem Kader geschmissen hatte, wird Teil dieser Zukunft sein müssen.
Einfache Lösungen liegen nicht auf dem Tisch
Eine weitere populäre These ist es dieser Tage, der Bundesliga eine Mitschuld zu geben. Der deutsche Fußball, heißt es, sei ja schon seit längerem international weniger konkurrenzfähig als er denkt. In der Europa League verliert Hertha BSC gegen Östersund, in der Champions League kommt nur der FC Bayern weit. Diese Beobachtung ist sowohl richtig als auch falsch. Es stimmt natürlich, dass ein Jahr vor dem WM-Titel in Rio zwei deutsche Teams im Champions-League-Finale standen, es stimmt aber auch, dass im letzten EM-Finale mit Portugal und Frankreich zwei Nationalmannschaften standen, deren Ligen noch weniger konkurrenzfähig sind als die Bundesliga. Die mit Abstand erfolgreichste Liga Europas - die spanische La Liga - bringt eine Nationalmannschaft hervor, die 2014 als Weltmeister in der Vorrunde scheiterte und 2016 im Achtelfinale an Italien.
Die Gemengelage ist kompliziert, einfache Lösungen liegen nicht auf dem Tisch. Joachim Löw wird sich in der kommenden Woche erklären, davon hängen weitere Schritte ab. Der deutsche Fußball steht nicht am Abgrund, mit 2000 und 2004 hat er tatsächlich nur die Tatsache gemein, dass alle drei Turniere mit einem Vorrunden-Aus endeten. Der große Unterschied: Damals war in der Vorrunde Schluss, weil keine Qualität da war. Diesmal ist in der Vorrunde Schluss, obwohl Qualität da war. Das ist eine neue Situation - Erfahrungswerte, wie man sie löst, gibt es bisher nicht.
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