Deutsche Nationalmannschaft:Acht Bubis für den Bundestrainer

Leroy Sané, Max Meyer oder Joshua Kimmich: Diese Nachwuchsspieler könnten es noch zur Fußball-EM schaffen - eine Analyse der DFB-Jugend.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf

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Julian Brandt, 19

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Quelle: getty

Es war ein großer Tag für den Kaderplaner Michael Reschke: Er hatte es doch tatsächlich geschafft, den 17-jährigen Julian Brandt für Bayer Leverkusen zu verpflichten. Heute ahnt Reschke, dass der Tag vielleicht doch nicht so groß war. Reschke plant ja inzwischen den Kader des FC Bayern, in dem leider kein Julian Brandt steht. Die Bayern gehörten damals zu den Geschlagenen, sie waren natürlich auch an diesem Brandt interessiert. Allerdings wird dieser Wechsel nicht der letzte in Brandts Leben gewesen sein. Zwar schien sich der Offensivspieler zuletzt etwas auf dem berüchtigten Leverkusener Komfortzonen-Niveau einzupendeln, aber auf einmal ist alles wieder da: seine schneidigen Soli, seine Kaltschnäuzigkeit, seine Kombinationsgabe. Brandt ist wieder ein Versprechen. Einlösen kann er es nur selbst.

Nächster Halt: Sein Karriereweg wird ihn noch nicht zur EM, sondern erst mal zu Olympia nach Rio führen. Aber spätestens bei der WM 2022 in Katar könnte Brandt ein Weltstar sein. Vorausgesetzt natürlich, dass er Leverkusen rechtzeitig verlässt.

Fotos: Getty (7), dpa

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Mahmoud Dahoud, 20

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Das Interview mit Lucien Favre im vorigen Sommer dauerte etwa zwei Stunden, und wenn man das Begrüßungs- und Verabschiedungsgeplauder sowie die gemeinsame Wasserbestellung abzieht, dann blieb am Ende etwa eine Nettozeit von 1:57h, um über Mahmoud Dahoud zu reden. "Dahoud! Merken Sie sisch diesen Namen!", rief Favre ständig begeistert, egal, ob man über Fußball, Politik oder die nächste Bestellung (mit oder ohne Kohlensäure?) diskutierte. Favre ist nicht mehr in Gladbach, Dahoud umso mehr. Man könnte sagen, dass der Deutsch-Syrer inzwischen die Kohlensäure im Spiel der Borussia ist, er sprudelt über vor Ideen, und er hat eine Lunge, mit der er ohne Atem zu holen zu Favre in die Schweizer Berge rennen könnte. Dahoud ist ein defensiver Özil und ein offensiver Gündogan, und er dürfte irgendwann mal 50 Millionen wert sein, wobei "irgendwann" sehr bald sein könnte.

Nächster Halt: Ist gerade erst vorzeitig von der U20 in die U21 befördert worden, deshalb: erst mal Olympia in Rio. Danach ein Spieler ohne Grenzen.

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Leon Goretzka, 21

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Leon Goretzkas Revier ist die freie Wildbahn zwischen beiden Strafräumen. Dieses weite Feld pflegt er umfassend zu bereisen, er ist ein Mittelfeldspieler, der sich kaum auf eine bestimmungsbezeichnende Nummer festlegen lässt. Goretzka ist als Sechser tätig, er ist auf den vorgezogenen Halbpositionen unterwegs, und am Rande der Angriffszone trifft man ihn ebenfalls öfter an. Gelegentlich mag er sich mit dieser Vielfalt an Beschäftigungen übernehmen, aber seine Vorgesetzten sehen seinen universellen Eifer nicht ungern. Trainer Breitenreiter nennt ihn "brutal ehrgeizig". In seinen ersten beiden Schalker Jahren bremsten ihn brutal die Verletzungen, dennoch ließ er mitunter erkennen, dass die Experten keinen hemmungslosen Blödsinn geredet hatten, die Lothar Matthäus oder Michael Ballack als Vergleichsgrößen heranzogen. Inzwischen hat Goretzka die Hemmungen abgelegt und begonnen, sein energisches Spiel zum persönlichen Stil entwickeln. Es könnte auch beim DFB zum Markenzeichen werden.

Nächster Halt: Kapitän in Rio. (Foto: Patrik Stollarz/AFP)

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Joshua Kimmich, 21

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Vor den jüngsten Länderspielen haben viele Reporter etwas über Joshua Kimmich wissen wollen. Sie haben es bei Joachim Löw versucht oder bei seinem Assistenten Thomas Schneider, aber es war halt so: Beim DFB wollten sie offiziell nichts sagen über diesen Spieler. Zu groß war die Sorge, die Sätze könnten aus dem Zusammenhang gerissen und aufgebauscht werden, das müsse man bitte verstehen, sonst würden die Erwartungen an den armen Spieler ja noch viel mehr steigen. Kimmichs Problem ist ja, dass er hauptberuflich beim FC Bayern spielt, wo alles, was man tut und auch nicht tut, ohnehin aus dem Zusammenhang gerissen und aufgebauscht wird. Deshalb, dem DFB zuliebe: keine Hymne über Kimmich. Kimmich ist einfach nur so'n Talent. Ein Talent, das nicht nur auf der Sechs, sondern auch in der Innenverteidigung spielen kann, und das sogar in der Champions League, und das ganz schön reif und. . . nein. Jetzt aber Schluss.

Nächster Halt: Trainingslager im Tessin? Möglich. EM? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Falls doch, dann: psst!

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Max Meyer, 20

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Max Meyer war so erstaunt wie der Rest der Welt, als ihn Jens Keller zum Einsatz herbeiwinkte. Schalke lag in Mainz zurück, und wie üblich sah es nicht gut aus für den Erhalt von Kellers Cheftrainerstelle. Dass er nun den 17-jährigen Meyer für den bewährten Raffael einwechselte, schien ein tollkühnes Manöver zu sein. Natürlich bereitete Meyer dann Schalkes Ausgleich vor - Keller war wieder mal vorläufig gerettet. Drei Jahre später erinnert sich mancher Schalker wehmütig dieser Zeiten, nicht wegen Keller allerdings: Es geht um Raffael, der in Gladbach Wunder wirkt. Trotzdem braucht Manager Heldt kein schlechtes Gewissen zu haben, dass er den damals geliehenen Raffael nicht gekauft hat, denn er ließ Raffael weiterziehen, um Meyer Platz zur Entfaltung zu lassen. Und wenn es jetzt völlig zu Recht heißt, dass Raffael in der Form seines Lebens sei, dann gilt das sicher auch für Max Meyer. Bloß dass er halt zehn Jahre jünger ist.

Nächster Halt: Rio. Ob's für Katar reicht? Mal schau'n: In der Offensive gibt's (zu) viel Konkurrenz. Siehe auch: Sané.

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Leroy Sané, 20

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Dass Leroy Sané unter den Talenten ein außergewöhnlicher Fall ist, das sehen nicht nur die mit Vereinsbrillen ausgestatteten Schalker so. Das ist auch Löw längst bekannt, er gehörte zu den Ersten, die wegen des Flügelspielers in Gelsenkirchen vorstellig wurden. Im November nahm er ihn mit zum Länderspiel nach Paris, aufgrund der tragischen Umstände an jenem Freitag, den 13., fand Sanés Premiere kaum Beachtung. Das Drama dieser Nacht hat der Debütant aber gut überstanden - vier Tage später war er die herausragende Erscheinung in der U 21. Diese Rolle ist aus Gelsenkirchen bekannt: Ohne Sané hätte Schalke statt 44 Punkten wahrscheinlich nur vier. Zuletzt schien er sich aber in einen gewöhnlichen Erdenmenschen verwandelt zu haben, er lief sich öfter mal fest, der Ball verweigerte ihm den Gehorsam, der Trainer setzte ihn auf die Bank. An Sanés Fähigkeiten zweifelt aber trotzdem keiner. Oder soll man sagen: koaner? Außer Löw gilt auch der FC Bayern als interessiert.

Nächster Halt: EM in Frankreich. Und natürlich Katar 2022, als neuer Messi.

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Jonathan Tah, 20

tah

Quelle: dpa

Jonathan Tah spielt auf einer Position, auf der man einiges aushalten muss. Er spielt im Abwehrzentrum, dort, wo es im Zweikampf gern mal weh tut. Aber Tah gilt diesbezüglich als bestens vorbereitet: Er ist Schmerzen gewohnt, er war jahrelang beim HSV. Dort hat er neben einigen Indiskretionen über seinen Vertrag auch mehrere Hundert Trainer und Manager über sich ergehen lassen, aber keiner war in der Lage, ihn in der Stadt zu halten. Im Großraum Hamburg soll es bei den jüngsten Länderspiel-Übertragungen zu Sendeausfällen gekommen sein: Im Trikot der Nationalelf verteidigten Tah und Shkodran Mustafi, ehemalige Jugendspieler vom HSV. Tah ist der einzige der acht Perspektivspieler, den Löw für die jüngsten A-Länderspiele schon in seinen Kader geholt hat.

Er hatte erhöhten Bedarf im Abwehrzentrum, Jérôme Boateng und Benedikt Höwedes fehlten verletzt, Per Mertesacker hat seine DFB-Karriere immer noch beendet. Der für sein Alter erstaunliche beständige Tah ist nun der nächste Kandidat, in dem die Experten den neuen Boateng erkennen: einerseits athletisch und zweikampfstark, andererseits schnell und geschmeidig. Das sagen die Experten allerdings auch vom unbeständigen Antonio Rüdiger.

Nächster Halt: Tessin, Trainingslager. Und dann, je nach Leistung und Personalsituation: vielleicht sogar EM in Frankreich. In Katar 2022 ist er dann - anders als Rüdiger - sowieso der deutsche Abwehrchef. (Foto: Annegret Hilse/dpa)

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Julian Weigl, 20

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In seinem sagenumwobenen Sabbatical hat der Trainer Thomas Tuchel nicht nur seine Ernährung revolutioniert, mit interessierten Vereinen Gespräche geführt und sich bei Volleyball- und Basketballtrainern weitergebildet. Er hat auch ferngesehen. Einmal, es muss ein Montagabend gewesen sein, ist er in die Übertragung eines Zweitligaspiels hinein geraten, und angeblich hat er extra seine Frau gerufen, um ihr zu zeigen, was er da auf dem Bildschirm sah: ein Kind, das die Platzwahl machte. Julian Weigl war damals knapp 19 Jahre alt und im Zuge jener Wahnwitzigkeiten, die es nur beim TSV 1860 München gibt, war er vorübergehend zum Kapitän ernannt worden.

Kurz darauf hat ihm derselbe sonderbare 1860-Trainer, der ihm die Binde gegeben hatte, die Binde wieder weggenommen, aber seiner Karriere konnte das nichts mehr anhaben. Thomas Tuchel hat sich diesen Spieler gemerkt. Er hat Weigls Weg nach seinem Fernseh-Erlebnis weiter verfolgt und ihn nach Beendigung des Sabbaticals nach Dortmund geholt, er hat ihn sofort spielen lassen und binnen weniger Monate zu einem DFB-Perspektivspieler hoch gecoacht. Aus dem Kind, das die Platzwahl machte, ist jetzt ein stiller, aber schon recht reifer Sechser geworden, der nicht viele auffällige Sachen, aber eben auch sehr wenig Fehler macht.

Nächster Halt: Rio. Ob es mal für mehr reicht? Mal schau'n. Könnte zumindest ein solider dritter Bender-Zwilling werden.

© SZ vom 2.4.2016/jbe
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