Fußball-WM:Pflegestufe für die Ochsenabwehr

Deutsche Nationalmannschaft: Mats Hummels bereitet sich im Trainingslager in Südtirol auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland vor.

Mats Hummels: Will im Trainingslager wieder wendiger werden als zuletzt

(Foto: dpa)
  • "In einem kleinen körperlichen Loch" sei er zuletzt gewesen, sagt Mats Hummels bei der Pressestunde im DFB-Trainingslager.
  • Die Geschichte von Mats Hummels ist im Moment auch die Geschichte der deutschen Abwehr: Joachim Löw muss sie im Trainingslager fit bekommen für die WM.
  • Löw habe nicht nur viel Erfahrung, sondern auch "ein überragendes Gespür, was die Wiedereingliederung angeschlagener Spieler angeht", sagt Assistenztrainer Thomas Schneider. Es ist das Spezialgebiet des Bundestrainers.

Von Christof Kneer, Eppan

Es gibt vor der anstehenden Weltmeisterschaft eine gute und eine nicht so gute Nachricht für den Abwehrspieler Mats Hummels. Die nicht so gute Nachricht ist, dass der Stürmer Ante Rebic auch in Russland sein wird, er steht im Aufgebot der Kroaten. Die gute Nachricht ist, dass Hummels dafür dem Stürmer Anastasios Donis nicht begegnen wird. Dessen Griechen haben sich nicht qualifiziert.

Mats Hummels, 29, macht im WM-Trainingslager der Nationalmannschaft in Südtirol allerdings nicht den Eindruck, als würden ihn derartige Nachrichten besonders aus der Ruhe bringen. Hummels ist ein Vollprofi, auf und neben dem Platz, er weiß sehr genau, was er tun und lassen sollte. Neben dem Platz sagt er zum Beispiel keine Sätze, denen er zutrauen würde, dass sie im Internet Karriere machen, es sei denn, er will das so. Und auf dem Platz ist er zwar ein furchtloser Zweikämpfer, und niemand würde ernsthaft bestreiten, dass Hummels in seiner Disziplin zu den führenden Autoritäten weltweit gehört. Hummels gehört zu den Unersetzlichen im Team, aber er beherrscht eben auch die Kunst, manchmal den einen oder anderen Zweikampf nicht zu führen. Es sind meist jene Zweikämpfe, die man gegen ihn verwenden könnte.

Er beherrscht das ganz gut: Risiken abwägen und auf Basis dieser Abwägungen eine Entscheidung treffen, bei der er gut aussieht. Und gut aussehen kann Hummels wirklich ganz hervorragend.

Selbstverständlich hat der Vollprofi Hummels also schon vorher gewusst, in welche Zweikämpfe ihn die Reporter im Medienzentrum im schönen Eppan verwickeln würden. Hummels kennt ja die Macht der Bilder, und er weiß, dass es in seinem Fall kompromittierende Bilder waren. Es haben ja alle gesehen: Wie ihm der Frankfurter Rebic im Pokalfinale einfach davon rennt. Und wie ihn eine Woche zuvor der Stuttgarter Donis stehen lässt, am letzten Bundesliga-Spieltag.

Die Ochsen haben den Karren bis nach Rio gezogen

"In einem kleinen körperlichen Loch" sei er zuletzt gewesen, sagt Hummels also oben auf dem Podium, gleich zu Beginn der Pressestunde. Verbale Vorwärtsverteidigung, er weiß ja, dass die da unten das sowieso gleich fragen werden. Er bekommt diese Bilder nicht durch Ignorieren aus der Welt, er muss sie erklären, und auch das kann er ziemlich überzeugend. Wenn man in großen Spielen ein Ziel vor Augen habe, könne man "manchmal ein paar körperliche Schwächen übertünchen oder wegreden", sagt er, aber nach einer Enttäuschung merke man die Schwäche umso mehr. Dann könne man das "auch mit Willen nicht mehr überbrücken".

Hummels' Erklärungsmuster geht also so, dass er ein paar Wehwehchen verdrängt hat, um zum Beispiel im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid zu spielen. Und als er mit den Bayern ausgeschieden war, waren Kopf und Herz derart gekränkt, dass die Wehwehchen sich ihr Recht zurückgeholt haben. Und deshalb also wirkte Hummels so schwergängig gegen Rebic oder Donis, deshalb also wirkte sein Wendekreis wie der eines Siebeneinhalb-Tonners - und deshalb wird er bestimmt wieder wie ein Sportwagen wenden können, wenn dieses Turnier in Russland bald beginnt. Okay: wie ein etwas schwererer Sportwagen vielleicht.

Die Geschichte von Mats Hummels ist im Moment auch die Geschichte der deutschen Abwehr. Neben Hummels spielt normalerweise Jérôme Boateng, und hinter ihm spielt normalerweise Manuel Neuer, und zusammen mit Benny Höwedes und Per Mertesacker haben sie sich bei der WM in Brasilien den feinen Kosenamen Ochsenabwehr erarbeitet. Die Ochsen haben den Karren bis nach Rio gezogen. Vier Jahre später ist der Karren immer noch vom Zug der Zentralochsen abhängig.

Neuer, Boateng, Hummels: Allein diese drei Namen garantieren, dass es Joachim Löw und seinem Trainerstab in Südtirol nicht langweilig wird. Hummels muss mit den Coaches täglich an der Verkleinerung des Wendekreises arbeiten, Neuer muss wieder lernen, sich unter Vernachlässigung seines dreimal gebrochenen Mittelfußes ins Getümmel zu stürzen, und Boateng muss versuchen, seine beleidigten Adduktoren zu besänftigen. Er rennt inzwischen wieder, schnell sogar, aber er sieht beim Rennen noch nicht aus wie Boateng. Er sieht beim Rennen aus wie Boateng, der versucht, beim Rennen seine Adduktoren nicht zu belasten.

2014 hat Löw erfolgreich auf Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira gewartet

Die Geschichte von Mats Hummels ist die Geschichte der deutschen Abwehr, und die Geschichte der deutschen Abwehr ist mal wieder die Geschichte von Löw. Es wäre womöglich minimal übertrieben, wenn man behaupten würde, dass der Bundestrainer sich über jeden angeschlagenen Spieler freut, aber erst recht wäre es eine Falschmeldung zu behaupten, dass er sich Sorgen macht. Joachim Löw macht sich wegen so was keine Sorgen. Er ist bei so was in seinem Element.

Vielleicht hat Löw ja deshalb unterm Jahr so viel frei: Damit er all die angesammelte Energie darauf verwenden kann, die Spieler im Trainingslager in ihre beste Verfassung zu bringen. Es ist Löws liebste Disziplin. Er freut sich auf die Ochsentour.

Löw habe nicht nur viel Erfahrung, sondern auch "ein überragendes Gespür, was die Wiedereingliederung angeschlagener Spieler angeht", sagt Assistenztrainer Thomas Schneider. Löw ist keiner dieser Macho-Coaches, die davon ausgehen, dass Männer weder weinen noch beleidigte Adduktoren haben dürfen; und wenn sie versehentlich welche haben, dass sie dann trotzdem spielen müssen. Löw weiß längst, dass ein Turnier mehr ist als nur das erste Gruppenspiel, 2014 hat er erfolgreich auf Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira gewartet. So wird er auch Boateng die Zeit geben, die der zum Besänftigen der Adduktoren braucht. Ein Einsatz im ersten Spiel ist keinesfalls zwingend.

In den Trainingslagern werde immer hervorragende Arbeit geleistet, auch das hat Mats Hummels später noch gesagt, und das werde "jetzt wieder der Fall sein". Bis zum Auftaktspiel werde das Trainerteam "die Mannschaft sicher in den perfekten Zustand bringen". Und bestimmt wird das dann keiner besser erklären können als der tiptopfitte Mats Hummels.

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