Süddeutsche Zeitung

Deutsche Nationalelf:Und sie wollen doch den WM-Titel

Die gute Nachricht: Deutschland wird weiterhin versuchen, 2014 in Brasilien Weltmeister zu werden. Trainer Joachim Löw versucht angestrengt, eine Debatte einzufangen, die Manager Oliver Bierhoff ausgelöst hat.

Von Boris Herrmann, Herzogenaurach

Eigentlich wird das Wörtchen "eigentlich" eher überschätzt. Oft steht es nur sperrig im Satz herum, wo eigentlich gar nichts stehen müsste. Seine ursprüngliche Bedeutung im Sinne von "wesentlich" oder "essenziell" hat es im allgemeinen Sprachgebrauch längst eingebüßt. Schon war es auf bestem Wege zu einem ganz und gar belanglosen Füllwort zu verkommen. Jetzt ist es auf einmal wieder wichtig. Am Montag fand im Quartier der deutschen Nationalelf in Herzogenaurach eine Renaissance der Eigentlichkeit statt.

Der Bundestrainer Joachim Löw hat das Wort eigentlich sage und schreibe sechs Mal benutzt, um eine Debatte einzufangen, die Oliver Bierhoff tags zuvor ausgelöst hatte. Der DFB-Manager sagte mit Blick auf die WM 2014 in Brasilien: "Für Europäer ist es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, dort zu gewinnen."

Diese Einschätzung beruht durchaus auf historischen Fakten. In Südamerika fanden bislang vier Weltmeisterschaften statt, drei weitere gab es in Nordamerika. Bei keiner einzigen siegte ein Team aus Europa. Bierhoff hatte also nichts falsch gemacht. Eigentlich. Man könnte ihm, dem Medienprofi, allenfalls vorhalten, dass er unterschätzte, wie wenig sich die Öffentlichkeit heutzutage um Zwischentöne schert, wenn sich die anderen Töne laut genug verstärken lassen.

Über Nacht brach also ein Sturm der Entrüstung los. Von einem fatalen Signal, von Kapitulation war die Rede. Der DFB sah sich am Montagmorgen allen Ernstes mit der Frage konfrontiert, weshalb er überhaupt noch zum WM-Qualifikationsspiel an diesem Dienstag in Nürnberg gegen Kasachstan antrete, wenn der WM-Titel doch ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit sei?

Joachim Löw verteidigte Bierhoff am Montag mit dem kurzen Satz: "Eigentlich." Dann sagte er, etwas lauter und deutlicher, so dass es alle hören konnten: "Er hat gesagt: ei-gent-lich." Schließlich merkte Löw noch an: "Eigentlich hat auch niemand erwartet, dass Griechenland 2004 Europameister wird."

Die gute Nachricht ist mithin: Offenbar wird Deutschland weiterhin versuchen, 2014 in Brasilien Weltmeister zu werden. Die schlechte Nachricht, die indes kaum Neuigkeitswert besitzt, ist aber: Das wird gar nicht so einfach. Nach menschlichem Ermessen, formulierte Löw in aller Vorsicht, sei es sogar sehr schwer, in Brasilien den Pokal zu holen.

Die Einschätzung beruht zum einen darauf, dass dieses Land schon aufgrund seiner Größe eine gewaltige logistische Herausforderung darstellt - vor allem für die Abteilung Bierhoff, die für Planung, Logis und Wellness zuständig ist. Zum anderen werden, nach menschlichem Ermessen, auch in Brasilien wieder einige Gegner dabei sein, die ebenfalls gewinnen wollen. Brasilien, Argentinien, Spanien und Italien fallen Löw zum Beispiel ein. Dass seine geliebten Spanier wieder mitmachen dürfen, trotz ihrer großen Qualifikations-Sorgen, da ist er sich "aaabsolut sicher". Eigentlich.

Ebenso eigentlich hält es Löw generell für Schwachsinn, jetzt über mögliche Titelchancen zu diskutieren. Er findet: "Es ist ganz wichtig für uns in Deutschland, auch mal wieder ein bisschen Demut zu zeigen. Wir sind ja noch gar nicht qualifiziert." Am Dienstag in der dritten und vierten Halbzeit des Doppelqualifikations-Spiels gegen Kasachstan soll daran aber weiterhin mit der Akribie eines natürlichen WM-Titelanwärters gearbeitet werden.

Dabei ist mittlerweile entschieden, dass der Schalker Verteidiger Benedikt Höwedes und der Münchner Stürmer Mario Gomez ihre Mitarbeit nicht wie gewünscht einbringen können. Beide sind angeschlagen abgereist. Um eine etwaige Neuauflage der Falscher-Neuner-Debatte aber im Keim zu ersticken, teilte der Bundestrainer feierlich mit: "Wir spielen mit einem Torhüter. Wir spielen mit Abwehrspielern. Und wir spielen natürlich mit einem Stürmer!" Dieser Stürmer dürfte erneut der Gelegenheitsstürmer Mario Götze sein.

Bei aller Aufregung ist im Übrigen fast ein wenig untergegangen, dass der Bundestrainer am Montag in Herzogenaurach lediglich eine Einsatzgarantie für Torhüter, Abwehr und Sturm abgab. Manch einer mag das vielleicht für ein Ding der Unmöglichkeit halten, aber die Frage muss trotzdem erlaubt sein: Will er etwa ohne Mittelfeldspieler spielen?

Das wäre eigentlich wirklich mal ein Skandal.

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Quelle:
SZ vom 26.03.2013/jüsc
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