Deutsche Nationalelf:Löws Küche schmeckt exzellenter denn je

Der Bundestrainer testet beim 0:0 gegen Italien die nächste Generation der DFB-Fußballer - mit Erfolg. Löw hat bessere Zutaten denn je, er kann jetzt sogar Konkurrenzkampf fördern.

Von Martin Schneider, Mailand

Der Abend endete mit einer Klarstellung von Mats Hummels. Er sei erst 27 Jahre alt und das sei ein Alter, in dem schon noch was ginge und in dem er noch ein bisschen was hinkriege. Die Erkenntnis, dass man mit 27 aber auch nicht mehr so jung ist wie früher, hat ihn schon ereilt. "Tatsächlich bin ich jetzt einer der erfahrenen Spieler, das geht schneller als man denkt", sagte Hummels altersweise.

Das Amt des Dorfältesten hat er beim 0:0 im Testspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien noch nicht angetreten, das bekam der zehn Monate früher geborene Benedikt Höwedes, der im biblischen Alter von 28 Jahren die rechte Abwehrseite beackern musste. Ansonsten lieferte ein Quartett der 21-Jährigen bestehend aus Leon Goretzka, Julian Weigl, Joshua Kimmich und später auch noch Serge Gnabry am Dienstagabend in Mailand ein sehr unterhaltsames Spiel gegen robuste Italiener. Yannick Gerhardt (22 Jahre) feierte zudem sein Debüt, Jonathan Tah (20) wurde eingewechselt.

"Ich finde das schon wirklich beeindruckend, wie viele Talente nachkommen", sagte Hummels. "Man hat das Gefühl, alle zwei Jahre tauchen nicht nur ein oder zwei, sondern ein ganzer Haufen auf, den man direkt reinwerfen kann. Ich hoffe, dass die Entwicklung so weitergeht." Besonders gut gefalle ihm die Mentalität der Jungen. "Da denkt keiner, er ist schon Weltmeister", sagte der Weltmeister Hummels. "Wir haben viele gute Jungs in Deutschland. Ich bin stolz, sie heute als Kapitän aufs Feld geführt zu haben", lobte Thomas Müller.

Zu dem ganzen Haufen vieler guter Jungs zählen auch noch Max Meyer (21) und Benjamin Henrichs (19, beide auf der Bank), Julian Brandt (20, verletzt) und Leroy Sané (20). Der teuerste deutsche Fußballer der Geschichte ist seit seinem Wechsel nach Manchester ein bisschen aus dem Blickfeld gerutscht. Sané verlor mit der U21 am Dienstagabend 0:1 in Polen, aber seine Rückkehr in die A-Nationalmannschaft ist eine Frage der Zeit. Und dann ist da noch Ilkay Gündogan, der mit 26 Jahren kein Jungspund mehr ist, aber wegen seiner vielen Verletzungen quasi ein Neuling in der Nationalmannschaft. Gündogan muss im Gegensatz zu den anderen Neuen internationale Klasse nicht erst entwickeln, er hat sie schon. Gegen Italien war er der beste deutsche Spieler.

Diese Schwemme an Talent und Qualität sorgt dafür, dass die Nationalmannschaft am Ende des Jahres in einem so guten Zustand ist wie lange nicht mehr. Chefkoch Löw hatte in seinen acht Jahren Küchendienst vielleicht noch nie so exzellente Zutaten für das Menü zur Verfügung. Und so viele verschiedene.

Jetzt neu: Konkurrenzkampf beim DFB

Sogar auf den - Trommelwirbel - Außenverteidiger-Positionen kann der Bundestrainer jetzt wählen. Dort gab es zehn Jahre lang nur einen einsetzbaren Spieler für beide Seiten; die Lösungsvorschläge für das Problem reichten von "Philipp Lahm klonen" bis "David Alaba einbürgern". Beides ging nicht, also musste ein Innenverteidiger her (erst Jérôme Boateng, dann Höwedes). Nun hat Löw links das Duo Jonas Hector/Gerhardt und rechts Kimmich/Henrichs. Der Leipziger Lukas Klostermann wird nach auskuriertem Kreuzbandriss eventuell ein Thema sein, vielleicht sogar der Berliner Mitchell Weiser. In der Innenverteidigung gibt es die Chef-Kombination Hummels/Boateng, dahinter bieten Höwedes, Tah, Shkodran Mustafi (überzeugender Auftritt gegen Italien), Antonio Rüdiger und der Hoffenheimer Niklas Süle allesamt gehobene Qualität und die Möglichkeit, nach Bedarf eine Dreierkette zu bilden.

Im defensiven Mittelfeld können Gündogan, Toni Kroos und Sami Khedira die Plätze ausknobeln, sie sind in Manchester, Madrid und Turin unangefochtene Stammkräfte. Goretzka und Weigl werden sich artig anstellen und warten, bis ihre Zeit gekommen ist, der Liverpooler Emre Can wird sich anstrengen müssen, um den Anschluss zu halten. Im Dribbel-Sektor macht Gnabry nun mächtig Druck auf Marco Reus, André Schürrle, Julian Draxler und vielleicht auch noch Karim Bellarabi. Mesut Özil, von dem man das Gefühl hat, er spielt zumindest beim FC Arsenal jede Saison ein bisschen besser, ist übrigens ebenfalls noch da und auch für Müller muss man noch einen Platz finden.

Nur ganz vorne im Sturm bleibt es ein bisschen dünn. Mario Gomez ist weiter der einzige, der verlässlich verhindern kann, dass die Kunst der anderen brotlos wird. Im Ball-über-die-Linie-drücken fordert ihn bisher keiner heraus. Höchstens Mario Götze, aber das Experiment mit ihm als falscher Neun hat nie wirklich geklappt.

Joachim Löw hat den Plan bis zur Weltmeisterschaft in Russland klar abgesteckt. Den Confederations Cup im kommenden Jahr hat er "Perspektiv-Turnier" genannt, er will ihn zum Testen nutzen. Löw scheint fest entschlossen, aus den Möglichkeiten das Maximale rauszuholen. Er weiß, dass die Qualität auch schon bei der Europameisterschaft in Frankreich sehr gut war. Es hat ja sowieso im Kalenderjahr 2016 eigentlich alles geklappt. Bis auf den EM-Titel.

Die Rhetorik des Bundestrainers ist schon in Nuancen schärfer geworden, jetzt kann er auch noch so etwas wie Konkurrenzkampf in der Nationalmannschaft fördern. Und zwar echten Konkurrenzkampf, denn jeder sogenannte etablierte Spieler hat gesehen, dass die zweite Garde gegen eine aggressiv spielende italienische Mannschaft (sie foulte laut Statistik häufiger als im EM-Viertelfinale) im San Siro bestehen kann. Und formal sind nach dem Rücktritt von Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski nur zwei Stellen frei. Wer ins Team will, muss also entweder eine der beiden Positionen besetzen - oder jemand anderen aus dem EM-Kader verdrängen.

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