Süddeutsche Zeitung

Deutsche Nationalelf:"Jetzt ist ein bisschen Reibung da"

Die Auseinandersetzung um den Führungsstil in der Nationalmannschaft nimmt kein Ende. Genüsslich antwortet Teammanager Oliver Bierhoff auf die Vorwürfe von Uli Hoeneß. Dass es innerhalb dieser Mannschaft Unstimmigkeiten gab, will aber auch Bierhoff nicht leugnen.

Philipp Selldorf, Frankfurt

Die Frage, wie die Tischtennisplatte nach Dublin kommt, wurde Oliver Bierhoff erstaunlicherweise nicht gestellt, als er am Dienstag in Frankfurt das Publikum auf das am Freitag anstehende WM-Qualifikationsspiel in Irland einstimmte. Ob sie als Sperrgepäck mitfliegt oder vom DFB-Tischtennis-Beauftragten bereits im Dubliner Teamhotel errichtet wurde, das wird aber sicherlich noch jemand ermitteln.

Bisher stellten Tischtennisplatten im Kreis der Nationalmannschaft nur dadurch ein geringfügiges Politikum dar, dass sich Arne Friedrich in diesem edlen Sport als Führungsspieler profilierte; nachdem sich nun aber Uli Hoeneß polemisch darüber beschwert hatte, beim DFB ließe man zur fortgesetzten Zerstreuung der Spieler das Ping-Pong-Mobiliar "womöglich noch auf den Mont Blanc" hieven, hat die Sache eine völlig neue Brisanz.

Die Thesen, die Hoeneß im Spiegel zur Freizeitpolitik beim Nationalteam und zum seiner Meinung nach allzu liberalen Führungskurs des Bundestrainers vorbrachte, prägten den Diskurs beim Start in den Doppelspieltag. So stand also ein weiteres Stück Vergangenheitsbewältigung auf der Tagesordnung, die Nationalmannschaft scheint sich in einem endlosen Sommer zu befinden.

Auch wenn das EM-Halbfinale gegen Italien vor mehr als drei Monaten stattgefunden hat - seine Nachspielzeit ist immer noch nicht vorbei. Neulich war es Bastian Schweinsteiger, der Aufmerksamkeit erregte, als er sich über Zeichen eines mangelnden Miteinanders im Team äußerte, nun ist es Hoeneß, der in der Folgedebatte richterlich feststellte, dass Joachim Löw "mehr Druck, nicht immer nur auf gute Laune machen" müsse, dass die flache Hierarchie ein Irrtum sei, und dass es ein Ende haben müsse mit der quasi spätrömischen Verwöhnkultur beim DFB-Team.

Bierhoff fiel es nicht schwer, dem nicht besonders sachlichen Kritiker mit Argumenten und ein paar Pointen entgegenzutreten. Hoeneß habe sich in den vergangenen Wochen und dem betreffenden Interview ja zu vielen Dingen geäußert, "Weißrussland, Ukraine - dann darf wohl auch die Nationalmannschaft nicht fehlen", spottete er und belustigte sich über die neueste Leidenschaft des Bayern-Präsidenten: "Dass er da lieber Basketballkörbe statt einer Tischtennisplatte hätte, das kann ich verstehen."

Es war alles in allem eine clever konstruierte Replik des Teammanagers. Einerseits übte er generös Nachsicht ("wir nehmen das locker, zumal wir wissen, dass Uli Hoeneß es gut meint"), andererseits erinnerte er moralisch an die Pflicht zur Gemeinsamkeit: "Ich finde es nicht gut, wenn sich Verantwortliche öffentlich übereinander äußern, wir haben uns letztes Jahr doch auch nicht über die Bayern ausgelassen." Ebenso moralisch wertvoll wusste er Hoeneß' herabwürdigende Bemerkung über die Trefferstatistik von Miroslav Klose zu kontern, die empfand er als "schon ein bisschen abfällig" und als persönliche Enttäuschung.

Im Kern trägt diese sicherlich nicht weltbewegende, aber ständig präsente Auseinandersetzung um Stil und Auftritt der Nationalmannschaft unverändert die Züge eines Kulturkampfs. Inhalte der klassisch-konservativen Anschauung treffen auf die Fürsprecher von Reform und Fortschritt. Ältere Spieler wie Oliver Kahn, Torsten Frings und Michael Ballack haben an diesen Differenzen gelitten, bis sie nicht mehr dazugehörten. Am deutlichsten werden die Gegensätze bei den unterschiedlichen Ansichten zur Machtverteilung in der Mannschaft.

Während der Bundestrainer, angesprochen auf Hoeneß' Ratschlag, bloß ermüdet erwiderte, es sei ihm "mittlerweile egal, wer was zu diesem Thema sagt", machte sich Bierhoff mit großem Vergnügen die Mühe, ins Detail zu gehen. Er wusste, dass er damit zumindest an diesem Dienstag gewinnen würde: "Wer ist Kapitän bei den Bayern?", fragte er und antwortete: "Philipp Lahm. Und wer ist Kapitän bei der Nationalmannschaft? Philipp Lahm."

Dieses rhetorische Spielchen setzte er munter fort, er führte die Bedeutung der Bayern Schweinsteiger und Manuel Neuer im Nationalteam an und erteilte Hoeneß freundlich Nachhilfe über moderne Fußballteams: "Hierarchie wird heute anders ausgelebt. Es gibt nicht mehr die ganz harte Hackordnung: Du trägst das Tor, ich mache nichts."

Dass es innerhalb dieser Mannschaft in der jüngeren Vergangenheit Unstimmigkeiten gab, das wollte aber auch Bierhoff nach seinem Gespräch mit Schweinsteiger - an dem auch der Bundestrainer teilnahm - nicht leugnen. Er nennt es "unterschiedliche Wahrnehmungen", Schweinsteiger wollte sich zu diesen Wahrnehmungen aber nicht mehr explizit äußern.

"Ich habe meine Meinung, dazu stehe ich", erklärte er, und dass er seine Meinung nur deshalb geäußert habe, "weil ich will, dass wir einen Schritt weiterkommen". Bierhoff nutzte die Offenbarung dieser kleinen Divergenz sogleich zur Werbung in eigener Sache: "Über die Nationalmannschaft heißt es immer: Wohlfühloase, es wird immer nur gekuschelt. Jetzt ist ein bisschen Reibung da - wir sehen es positiv."

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Quelle:
SZ vom 10.10.2012/jüsc/gba
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