Deutsche Nationalelf besiegt Belgien:Auf Monate hinaus unschlagbar

Zehn Siege in zehn Spielen, eine unglaubliche Dominanz und eine immense Fülle an Talenten in der Hinterhand. Wer soll diese deutsche Elf bei der EM schlagen können? Bundestrainer Löw überrascht mit einer Wendung - denn er rückt von der Fokussierung auf das Duell Deutschland gegen Spanien ab und erweitert den Kreis der Favoriten.

Thomas Hummel, Düsseldorf

Nicht einmal Status Quo konnte die belgischen Fans stoppen. Der Ohrwurm Whatever You Want der ewig präsenten Rockband dröhnte schon Sekunden nach dem Schlusspfiff aus den Lautsprechern der Düsseldorfer Arena. Und das in einer Lautstärke, die locker mit der nahen Flughafen-Startbahn mithalten konnte. Doch der belgische Block wollte nicht schweigen. Er sang und klatschte unverdrossen gegen den Uralt-Rock'n'Roll an, als ginge es um die Ehre des Landes. Sieh her, verwöhntes deutsches Vergnügungspublikum, wir feiern und jubeln unseren Spielern zu, auch wenn sie mal nicht gewinnen!

Nun, wenn das tatsächlich die Botschaft der energischen Gäste-Fans war, dann kann ein Anhänger des deutschen Teams darüber höchstens milde lächeln. Verlieren? Den Gefühlszustand kennt die deutsche Nationalmannschaft seit einiger Zeit nicht mehr. Das 1:2 im März gegen Australien ist zu vernachlässigen, weil es keine Gefühle hinterließ. Zehn Qualifikationsspiele zur Europameisterschaft 2012 hat das Team des DFB gespielt, zehn Mal hat es gewonnen. Auch diese letzte Partie gegen Belgien souverän mit 3:1.

Die deutsche Elf wiederholte dabei ihren Auftritt vom Freitag in Istanbul. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fiel aus einer der ersten Möglichkeiten das 1:0, diesmal durch Mesut Özils Gewaltschuss (29.). Das 2:0 (André Schürrle, 32.) folgte kurz darauf - und die Partie war entschieden.

Der Rest des Abends muss nur noch erbringen, wie hoch Deutschland gewinnt. Diesmal fielen noch die Tore von Mario Gomez (47.) und dem Belgier Marouane Fellaini (86.). Ein Zweifel, das Spiel könne noch kippen, kam nie auf. Europäische Mittelklasse-Mannschaften wie die Türkei oder Belgien sind derzeit einfach nicht in der Lage, mit der deutschen Elf mitzuhalten - selbst wenn es für sie noch um Platz zwei in der Qualifikationsgruppe A geht und für die Deutschen um nichts mehr.

Das Ziel: Europameister 2012

Und so hielt man sich nicht mehr lange mit Mittelklasse-Mannschaften auf und ließ die Gedanken nach vorne schweifen. Auch wenn es am Dienstag in Düsseldorf so deutlich niemand aussprach, es stand greifbar über den Aussagen aller Beteiligter: In Polen und in der Ukraine soll der Titel her, alles andere wäre eine Enttäuschung.

"Das war die Pflicht", sagte Mittelfeldakteur Toni Kroos, "aber was wir draus machen wollen, das kommt erst im Sommer." Abwehrspieler Per Mertesacker äußerte sich ähnlich: "Unsere Leistung schürt eine Erwartungshaltung, auch weil wir in den vergangenen Turnieren immer unter den ersten Drei waren." WM-Dritter 2006, EM-Zweiter 2008, WM-Dritter 2010. Bei der EM 2012 wollen die Spieler nun auch die "eigenen Erwartungen erfüllen", fügte der Spieler von Arsenal London an. Und was soll das anderes sein als Platz eins?

Ein Niveau zwischen Glanz und Gloria

Auf dem Weg dorthin ist Joachim Löw froh über den Erfolg gegen Belgien gewesen. "Mit jedem Sieg erarbeitet man sich mehr Respekt", sagte der Bundestrainer, "die anderen Länder sehen: Diese deutsche Mannschaft ist stark, sie ist hungrig." Wenngleich Löw eine überraschende Wende vollzog. Bislang schien es so, als fokussiere sich alles darauf, endlich die Spanier besiegen zu können - jenen in Löws Augen fast perfekten Welt- und Europameister, vor dem er bislang immensen Respekt gezeigt hatte.

EM-Qualifikation - Deutschland - Belgien

Deutsche Jubelei: André Schürrle, Mario Gomez, Mesut Özil und Thomas Müller (von links).

(Foto: dpa)

In Düsseldorf sagte er nun: "Ich habe mich von dem Duell Deutschland gegen Spanien verabschiedet." Dabei degradierte er nicht die Spanier, sondern erhob weitere Nationen in den Favoritenstand: "England, Portugal, Frankreich, die Niederlande - es werden mehrere eine Hauptrolle spielen."

Nun ist es verständlich, dass Joachim Löw schlecht mit der Aussage "Außer Spanien kann uns sowieso keiner schlagen" zur EM fahren kann. Obwohl es den Anschein hat, dass dem durchaus so sein könnte. Erstens, weil keines der von Löw genannten Länder einen problemfreien letzten Doppelspieltag erlebt hat. Und zweitens, weil das Niveau des DFB-Kaders im Herbst 2011 irgendwo zwischen Glanz und Gloria liegt. Vom Torwart angefangen über die in der Türkei wie auch gegen Belgien standhafte Abwehr. Das Mittelfeld funktionierte in Düsseldorf auch ohne den zuvor sehr guten Bastian Schweinsteiger, und über die Offensive schwärmt ohnehin das ganze Land.

Erster Einsatz für Ilkay Gündogan

Der nüchterne Badener Löw bestreitet die komfortable Lage auch nicht. Die Auswahl des EM-Kaders im Sommer werde ihm so leicht fallen wie nie zuvor eine Nominierung, auch wenn es Härtefälle und Enttäuschungen geben werde. Aber bislang habe er immer einige Spieler mitnehmen müssen, "von denen ich fußballerisch nicht überzeugt war". Weil nun eine weitere, hochveranlagte Generation nachgewachsen ist, werde er im kommenden Jahr "20, 25 Spieler vorfinden, die ich jederzeit bedenkenlos einsetzen kann".

Eine Chance, zu diesem Kreis zu gehören, hat nun auch Ilkay Gündogan. Der Bundestrainer verhalf dem Dortmunder Mittelfeldspieler gegen Belgien zu den ersten neun Minuten Spielzeit in der deutschen Nationalmannschaft. Weil es ein Pflichtspiel war, hat sich der 20-Jährige endgültig für den DFB und gegen die Türkei entschieden.

"Ich gehöre hierher und ich bin stolz darauf", verkündete er. Wenngleich er nun zusammen mit Mesut Özil der türkischen Mannschaft für die Relegation "die Daumen drückt". Die beiden waren damit aber wohl die Einzigen im deutschen Lager, die sich noch für eine Mittelklasse-Mannschaft interessieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: