Eiskunstlauf-Meister Hase und Wolodin:Realitätscheck auf Kufen

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Schlusspose nach einem strapaziösen Paarlauf: Minerva Fabienne Hase und Nikita Wolodin verteidigen in Oberstdorf ihren Meistertitel. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die Grand-Prix-Sieger Minerva Hase und Nikita Wolodin verteidigen ihren Meistertitel in Oberstdorf trotz einiger Fehler. Eiskunstlaufen ist auch die Kunst, zu verstehen, warum man gestürzt ist – und wieder aufzustehen.

Von Barbara Klimke, Oberstdorf

Bei einem Titelkampf drei Tage vor Weihnachten sind frostige Gefühle unangebracht, auch wenn sich der Wettbewerb, dem Sport gemäß, bei Tiefkühltemperaturen abspielt. Im Falle der Eiskunstläuferin Kristina Isaev, der derzeit besten Solistin hierzulande, schmolz am Samstag der Rest des Konkurrenzdenkens dahin, als sie die knapp geschlagene Sarah Pesch mit den Tränen ringen sah. Sie nahm die junge Rivalin in die Arme und raunte ihr zu: „Du wirst auch deutsche Meisterin, Sarah, ganz bestimmt.“ Man dürfe einfach nicht aufgeben in diesem Sport.

Kristina Isaev, 23, die in Dortmund trainiert, hat ihren nationalen Titel in Oberstdorf souverän verteidigt. Allerdings lag sie zur Hälfte des Wettkampfs noch überraschend zurück hinter der sechs Jahre jüngeren Sarah Pesch aus Aschaffenburg, die unbekümmert und mutig ein fabelhaftes Kurzprogramm aufs Eis gezaubert hatte. In der langen Kür allerdings missglückten der 17-Jährigen die Dreifachsprünge, die sie tags zuvor so sicher auf den schmalen Kufen gelandet hatte. Als die Musik verklang, schlug sie die Hände vors Gesicht.

Eiskunstlauf
:Chickaboom!

Die Paarläufer Minerva Hase und Nikita Wolodin weisen eine nahezu makellose Bilanz auf und wollen in Oberstdorf ihren nationalen Titel verteidigen. Ziel ist Olympia – sofern der Russe Wolodin rechtzeitig einen deutschen Pass erhält.

Von Barbara Klimke

Sie blieb nicht die Einzige, die sich vom Eis aufrappeln musste. Den Weltklassepaarläufern Minerva Hase und Nikita Wolodin, vor zwei Wochen Sieger im Grand-Prix-Finale, dem höchsten Vergleich der internationalen Wettkampfserie, unterliefen am Wochenende ebenfalls untypische Fehler. Aber Eiskunstlauf ist auch die Kunst, immer wieder aufzustehen. Nur wer weiß, warum er stürzt, kann den nächsten Sturz vermeiden.

Das Berliner Duo verteidigte den Meistertitel zwar mit üppigem Punktevorsprung vor Letizia Roscher/Luis Schuster aus Chemnitz, dem einzigen anderen Paar, das angetreten war. Minerva Hase, 25, verließ trotzdem kopfschüttelnd das Eis, weil sie weder den Dreifach-Salchow noch den Wurf-Rittberger nach dem Flug durch die Luft korrekt auf dem Schlittschuh abgefangen hatte. Das Malheur, sagte sie, habe sich abgezeichnet: „Ich bin mental und körperlich gegen eine Wand gelaufen.“

Schon das Training am Morgen sei nicht optimal verlaufen. Sie merkten, dass ihnen „Power und mentale Reserven fehlten“, was nicht verwunderte nach einer strapaziösen Saison. Im späten Frühjahr nach Platz drei bei der WM hatten sie mit dem Einstudieren neuer Programme begonnen, sich nur eine kurze Auszeit im Juni gegönnt, dann weitertrainiert. Was folgte, war eine Siegesserie bei Wettbewerben in Oberstdorf, Nizza, Angers, ein zweiter Platz in Chongqing/China und schließlich der Triumph beim Grand-Prix-Finale in Grenoble, auf das sie alle Kräfte konzentrierten. Die Kür am Samstag im Allgäu war ein Tiefpunkt, aber Hase befand: „Besser jetzt als später.“

Die beste Solistin hierzulande: Kristina Isaev vertritt die DEU bei der EM in Tallin. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Im vergangenen Jahr, der ersten gemeinsamen Saison des damals neu formierten Duos aus Berlin und St. Petersburg, kam der Leistungseinbruch ein paar Wochen später: bei der Europameisterschaft, die sie als Favoriten auf Platz fünf beendeten. Sie waren nach einer Grippe geschwächt, was für alle offensichtlich wurde, als sie aus Sicherheitsgründen eine komplizierte Hebung abbrechen mussten. „Man kann das höchste Niveau nicht unbegrenzt halten“, hat am Samstag ihr russischer Trainer Dmitri Sawin stoisch erklärt, der wie üblich zum Wettkampf angereist war; das tägliche Training in Berlin findet unter der Ägide des Paarlaufexperten Knut Schubert statt.

Auch Minerva Hase glaubt, dass dem kleinen bodennahen Realitätscheck kurz vor der Weihnachtspause eher Nutzen als Schaden zuzuschreiben ist: „Das wird uns nicht noch mal passieren.“ Die verpatzten Landungen, Sekundenbruchteile zu spät, seien individuelle Fehler, also etwas, das sich im Training ändern lasse: Wichtig war beiden die Erkenntnis, dass eine Qualitätssteigerung bei einzelnen Paarlaufelementen erkennbar war, bei Kür-Bestandteilen, die nur in Koproduktion entstehen können: Für den Twist – eine Nummer, bei der der Partner die Partnerin wirft und fängt – erkannten ihnen die Juroren erstmals den höchsten Level zu. Auch die Todesspirale wurde besser als üblich benotet, und nach Auskunft der Preisrichter, sagte Hase, „war das nicht etwa ein Weihnachtsgeschenk“.

Am Sonntagabend war für die WM-Dritten noch ein Auftritt in einer Eislauf-Show in Ingolstadt geplant; auch Eiskunstläufer müssen ein paar Euro dazuverdienen. Danach haben sie sich Ruhe verordnet, ehe in der zweiten Januarwoche das Training für die EM in Tallinn aufgenommen wird.

Im Paarlauf hat die Deutsche Eislauf-Union (DEU) dank der Meriten von Hase/Wolodin das Privileg, drei Duos nach Estland zu entsenden: Auch Letizia Roscher/Luis Schuster und die derzeit verletzen früheren Meister Annika Hocke/Robert Kunkel sind nominiert. Im Tanz wird der Verband von den Oberstdorfern Jennifer Janse van Rensburg/Benjamin Steffan vertreten, die ein brillantes Programm boten: Die Kür zum Musical „Phantom der Oper“ war nach ihrer Ansicht ihre beste Vorstellung der Saison. DEU-Sportdirektorin Claudia Pfeifer war in Oberstdorf besonders von den Auftritten der Junioren und Nachwuchsläufer der Meisterklasse beeindruckt. Von der 17-jährigen Sarah Pesch; vom 18-jährigen Luca Fünfer aus Regensburg, der auf Anhieb Zweiter hinter Meister Nikita Starostin wurde; und vom Junioren-Tanzpaar Darya Grimm/Michail Savitskiy, das kürzlich beim Grand-Prix-Finale Platz drei belegte. Die Olympiaqualifikation im nächsten Jahr, prognostizierte Pfeifer, verspreche eine Portion Spannung im Eiskunstlauf.

Aber erst einmal ist Weihnachten. Und damit Gelegenheit „ein paar Tage nicht über Eiskunstlauf nachzudenken“, wie Minerva Hase sagte.

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